Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein

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Название Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen
Автор произведения Ludwig Bechstein
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742749215



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das war

       es, was der fahrende Schüler riet: Ein Stierkalb nehmt

       ihr, das füttert ihr bei Leib und Leben mit nichts als

       frischer Milch. Im ersten Jahr von einer Kuh, im

       zweiten von zwei Kühen und so fort, alle Jahre die

       Milch von einer Kuh mehr. Nach vollendeten neun

       Jahren laßt ihr den Ochsen durch eine reine Jungfrau

       hinauf auf die Alpe führen, dann wird der Ochse mit

       dem Untier kämpfen und es bezwingen. Das geschahe

       denn, die Urner erbauten einen Stall, darin sie das

       Stierkalb aufzogen, des Stelle zeigt man heute noch

       und nennt sie den Stierengaden. Dann leitete nach

       vollendeten neun Jahren eine reine Jungfrau denselben

       zur Alpe hinauf und verließ ihn. Gleich erschien das

       greuliche Untier, und der Stier stürzte sich auf dasselbe

       und kämpfte lange und sehr heftig mit ihm, bis er

       es endlich überwand und zu Tode stieß. Ganz erhitzt

       von dem Kampfe rann der Stier nach dem Bache hin

       und trank und trank ohn Ende, bis er hinstürzte und

       auch tot war. Davon hat der Bach den Namen Stierenbach

       erlangt, und oberhalb desselben sieht man noch

       im Felsgestein die Hufe des Stieres eingedrückt, mit

       denen er sich im Kampfe gegen das ungeheuerliche

       Bergwunder stemmte.

       23. Der Besserstein

       Im Aargau, da, wo Reuß und Limmat in die Aar und

       die Aar in den Rhein fließen, liegt der Geißberg, der

       trägt auf seinem Gipfel die Trümmer einer Ritterburg.

       Ein Herr von Villigen baute die Burg auf das schönste

       und festeste, hatte seine Herzensfreude daran, gedachte

       in ihr glücklichen Alters froh zu werden und in

       Leutseligkeit und Güte seinen Untersassen ein treuer

       Vater zu sein. Fertig stand der Bau, und festlich sollte

       er eingeweiht werden. Des Bauherrn Söhne und alle

       Gefreundete rings im Gau waren versammelt, und die

       Humpen kreisten. Der Ritter von Villigen sprach zu

       den Söhnen: Da schaut nun, wie gut sich's hier wohnen

       wird in der Pracht der Gegend, rund um uns her

       unsre fleißigen Leute und Mannen, mitten im Kreis

       der Dörfer unser stattliches Burghaus, fest gegen den

       Feind, offen dem Freund, den Bedrängten ein Schutz,

       den Dürftigen ein Hospitium! So wollt ich's haben.

       Ja, Vater, sprachen die Söhne, das ist traun eine

       wackre Trutzburg worden; da mag sich das nichtsnutzige

       Volk auflehnen oder nicht, wir zwingen es von

       hier aus, wir werden ihm den Fuß auf den Nacken setzen.

       Von hier aus können wir Zölle legen auf die

       Flüsse und den Rheinstrom, auf Wege und Stege. Der

       ganze Gau muß uns tributpflichtig werden, damit

       unser Gut sich mehre und unser Name ein gefürchteter

       sei im Rhein- und Schweizerlande. – Als der Herr von

       Villigen diese Rede seiner Söhne vernahm, war es

       ihm, als wolle sein Blut stocken und sein Herz brechen,

       und zürnend brach er aus: Entartete Söhne! So

       ist euer Sinn? Wartet, den will ich euch bessern! –

       Und warf seinen vollen Humpen zur Erde, daß er in

       tausend Scherben zerklirrte. Wie dieser Humpen zertrümmert

       liegt, so soll dieser stolze Bau, meine Lust

       und meine Freude, zertrümmert liegen! – Und berief

       seine Mannen, seine Untersassen, sein ganzes Volk,

       und hieß sie den neuen Bau abbrechen und verfluchte

       die Hand, die ihn wiederum zu bauen beginnen werde.

       Besser Stein, ein wüster Stein, als eine Zwingburg

       des Volkes und des Gaues, die Schimpf auf den edeln

       Namen derer von Villigen häuft! rief er – und seitdem

       liegt auf dem Geißenberge der öde Mauerrest und

       heißt allwege im Volke der Besserstein.

       24. Der Kreuzliberg

       Auch im Aargau, ohnweit Baden, wohnte auf einem

       Burgberge eine Königstochter, die oft zu einem nahen

       Bühel ging, wo sie im Schatten ruhte und der schönen

       Landschaft sich freute. Sie wußte aber nicht, daß Geister

       in dem Bühel hausten, deren Art keine gute war.

       Eines Tages kam sie abermals zu ihrem Lieblingsplatz,

       aber kaum erkannte sie ihn wieder; wildes Geklüft

       und geborstenes Erdreich starrte ihr da entgegen,

       wo sie noch kurz zuvor auf schwellendem Moos im

       kühlenden Baumschatten geruht hatte, und weit hinab

       in die Tiefe gähnte eine jähe Schlucht. Die Jungfrau

       aber war unerschrocknen Sinnes, weil sie rein und

       schuldlos war, und so setzte sie die Füße in den düstern

       Gang, um zu schauen, wie es darinnen beschaffen

       sei. Da gewahrte sie, daß es ein ungeheurer Keller

       war, Fässer lagen da über Fässern, und siehe, schreckhafte

       Gestalten huschten an sie heran, ergriffen sie an

       den Händen und zogen sie über alle die Fässer weiter

       und weiter zur Tiefe fort, so daß sie endlich aus Angst

       und Bangigkeit die Besinnung verlor und nicht mehr

       wußte, was mit ihr geschah. Da sie nun in der Burg

       daheim vermißt wurde, ward ausgesandt, sie zu suchen,

       und ward also gesucht an allen Orten und Enden

       ringsumher. Siehe, da fand sie einer nicht gar weit

       von dem Geisterhügel auf einer kleinen Anhöhe stehend,

       mit in die Erde gewurzelten Füßen, der Leib

       steinhart und die Arme in Äste ausgewachsen und gen

       Himmel ausgestreckt, wie die Jungfrau Daphne in der

       heidnischen Fabel. Alle, die das sahen, entsetzten sich

       vor dem grausenhaften Anblick solcher Baumverwandlung,

       und da ward nach dem nahen Kloster Wettingen

       hinübergesendet, von dort ein Wunderbild zu

       holen. Als das Bild gebracht ward, da schwand der

       unheimliche Zauber, der die Königstochter umstrickt

       hatte, und sie ward wieder erlöset. Des zum Andenken

       setzte man ein Kreuz auf den Berg, wo diese

       Sache sich begeben, der hieß fortan der Kreuzliberg,

       und jener Bühel, darin die Jungfrau die Fässer erblickt,