Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen. Ludwig Bechstein

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Название Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen
Автор произведения Ludwig Bechstein
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742749215



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Kuh und Hund – Haus und Gehöft – alles fand

       seinen Untergang, und über die Alpe lagerten sich

       Gletschereis und Felsentrümmer. Auf diesem öden

       Gefild spukte nachher der Geist des Hirten umher und

       klagte:

       Ich und min Kathryn,

       Min Kuh Brandlin,

       Und min Hund, der Rhyn

       Müssen stetig uf Klaride syn!

       Es geht die Sage, diese umirrenden Geister wären

       zu erlösen, wenn einmal an einem Karfreitag ein

       frommer Senne die gespenstige Kuh ganz stillschweigend

       ausmelke, der Dornen an den Handschuhen

       habe. Einstmal wagt' es einer, ob die Kuh sich wegen

       der Dornen noch so wild stellte, und hatte schon den

       Eimer halb voll. Da klopft' ihn ein Mann auf die

       Schulter und fragte: Schäumt's auch wacker? – Der

       Senn vergaß des Schweigens Bedingung und sagte: O

       ja, es schäumt wohl. – Da riß mit einem Ruck die

       Kuh sich los, trat den Eimer um und verschwand, und

       die Geister der Blümelis-Alp blieben unerlöst.

       18. Der ewige Jude auf dem Matterhorn

       Hoch im Alpengebirge, ohnweit Welschlands Grenzen

       und dem hohen Monte Rosa, des Name schon italienisch

       genannt wird, hebt sich ein mächtiger Bergstock,

       das Matterhorn geheißen, darunter liegt der

       Matterberg mit einem Gletscher, dessen ablaufendes

       Gewässer die Visper bildet, welche noch ihre Wellen

       nach deutschem Boden herabrollt. Da droben, wo

       jetzt nur das Schweigen der Öde lagert oder das Eis

       der Gletscher donnernd kracht, habe voreinst, so geht

       die Sage, eine blühende Stadt gelegen. Dahin sei auf

       seiner ewig rastlosen Wanderung auch der ewige

       oder, wie man in der Schweiz sagt, der laufende Jude

       gekommen, da haben die Leute ihm angesehen, daß er

       der laufende Jude war, und kein Mensch habe ihn in

       sein Haus aufnehmen wollen. So habe der laufende

       Jude gesagt, indem er bekümmert über der Menschen

       Härte hinweggegangen: Jetzt finde ich hier eine Stadt,

       und wenn ich werde wiederkommen, wird hier doch

       wachsen Gras, und werden stehen Bäume, und werden

       liegen große Felsen, und wird nichts mehr zu sehen

       sein von Häusern und Gassen, Mauern und Türmen.

       Und wenn ich nochmal werde kommen wieder, wird

       hier doch nichts mehr zu sehen sein von Gras und

       Kräutern, Bäumen und Steinen, sondern als nur

       Schnee und Eis, und wird liegen, als so lang ich noch

       muß wandern. – Und alles ist so in Erfüllung gegangen,

       wie der laufende Jude gesagt hat, der wandern

       muß bis an der Welt Ende, weil er unsern Heiland auf

       seinem Todesgange nicht Ruhe vor seiner Haustüre

       vergönnt hat, und wird allemal, wenn er hundert Jahre

       alt geworden, wieder so jung, wie unser Heiland war,

       da er nach Golgatha wanderte.

       Tiefer drunten im Vispertale, wo man von oben

       herein in das Nicolaital eingeht, liegt ein Dorf unterm

       Weißhorn, das heißt Täsch, und über Täsch rechter

       Hand lag auf sonniger Matte noch ein Dorf gleichen

       Namens, da stand einmal eine reiche Bäuerin, die

       hatte überm Feuer einen Kessel mit Anke (Rahm),

       den sott sie, und sollte gute Butter geben. Da kam ein

       armer alter Mann herein und bat, sie möge ihm doch

       ein Weniges von ihrer Anke zur Speise geben, ihn

       hungere gar sehr. Geh weg, du Lump! sagte die Frau,

       hier ist nichts übrig für solche Stromer. – O Bäuerin!

       sprach der Mann, hättest du mir etwas gegeben, so

       hätt' ich deinen Kessel segnen wollen, daß er nimmermehr

       leer geworden, so aber sei verflucht mit dem

       ganzen Dorfe! – Und da krachten alsbald droben der

       Cimagipfel und das Mittaghorn zusammen und schütteten

       Fels auf Fels herunter, und der ganze Ort wurde

       unter Trümmern begraben, und blieb nichts mehr

       sichtbar als die Fläche des Kirchenaltars, und über

       diesen fließt jetzt ein Bächlein aus dem Praborgne-

       Gletscher, der das Dorf überdeckt, herunter nach

       Täsch durch die Felsenschluchten in die Visp.

       19. Mutter Gottes am Felsen

       Unterhalb Täsch, wo das Dorf St. Nicolaus das Nicolaital

       beschließt oder dem, der im Gebirg von unten

       heraufkommt, eröffnet, hebt sich hoch über St. Nicolaus

       der Räti mit einer schroffen Felswand gegen das

       Tal; an dieser Wand steht ein kleines Muttergottesbild

       von Stein. Früher stand es unten am Weg, da

       flehte einer zu ihm, blieb aber unerhört, da griff er, als

       er wiederkam, hin und warf das Bild mit Unrat, und

       da weinte das Bild. Dennoch warf er's noch einmal,

       da hob sich das Bild hoch hinauf an die Felswand,

       dort stand's nun, und niemand konnt' es erlangen. Den

       Talleuten jammerte das, sie hatten das Bildchen lieb

       gehabt und es sehr verehrt und mochten's gar zu gern

       wieder herunter haben. Aber der Felsen an jener

       Wand war gar zu steil, keiner vermochte daran emporzuklimmen,

       und keine Leiter reichte zu solcher

       Höhe. Darauf wurden sie in St. Nicolaus Rates einig,

       sie wollten's von oben versuchen, und eine Schar erkletterte

       den Rätigipfel, und sie hatten sich Merkzeichen

       gemacht, und gerade über dem Bilde wurde nun

       an starken Seilen ein Mann hinabgelassen, der sollte

       es heraufholen. Schon war der Mann fast am Bilde, er

       sah es schon stehen, da sah er, wie das Seil immer

       dünner wurde, wie ein Bindfaden, und dachte, daß es

       nicht halten werde und er jämmerlich in den tiefen

       Abgrund stürzen, und schrie: Zieht auf, zieht auf, der

       Strick wird dünne! – Sie ließen ihn aber noch immer

       weiter herab, jetzt war er am Bilde, jetzt hätt' er's nehmen

       können, aber da war das Seil dünn geworden wie

       ein Haar, und er schrie nochmals: Um Gottes willen,