Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Название Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang
Автор произведения Johann Gottfried Herder
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066398903



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er sogleich am Kopf an zu malen. Sie saß den andern Morgen beim Frühstück noch einmal; und dann wollt er sie nicht weiter plagen, außer bei der Vollendung, um hier und da nachzuhelfen. Den Nachmittag und ganzen dritten Tag und vierten Morgen bracht er damit fast allein zu: und siehe da! sie kam heraus wie völlig lebendig. Alt und jung bewunderten die erstaunliche Gleichheit. Er hatte sie in einem leichten sömmerlichen Morgenanzuge vorgestellt, meist von grüner Seide, worunter die vollkommnen Formen ihrer jugendlichen Glieder reizend aufwallten und durchleuchteten. Sie stand in Lebensgröße, nachdenkend, wie gerührt, in die Zukunft blickend, den Kopf in der Linken auf einen Pult gestützt, in einem Zimmer, wo durch ein ganz offnes Fenster die Aussicht auf den See ging, an welchem Sirmio in der Nähe und ein wenig blaue Ferne von den Gebirgen wohl angebracht waren. Ardinghello hatte im Gesichte schon Züge von ihrem Charakter ausgespähet, die sich nachher erst entwickelten.

      Kapitel 9

       Inhaltsverzeichnis

      Den fünften Nachmittag gab er sich an den Bräutigam. Nach den ersten Umrissen gestand er ihm gleich, daß ihm sein Kopf sehr schwer vorkomme und daß er noch keine rechte Idee von der ursprünglichen Einheit seines Charakters in der Einbildung habe. Mit allen großen Männern müss' ein Künstler lange leben, um nur eine von ihren bedeutendsten Außenseiten in täuschender Wahrheit fest zu haschen; und überhaupt sei es schier unmöglich, irgend jemand sicher darzustellen, den man nicht an Geist und Kraft gewissermaßen übertreffe.

      Es ging hierbei im Mark Anton eine gewaltige Veränderung vor, und er errötete und wurde wieder blaß augenscheinlich, so daß er aufstehen und ans Fenster gehen und Ardinghello einhalten mußte.

      Dieser faßte darauf all sein Bewußtsein zusammen, und jener kam nach einer langen Pause wieder und setzte sich. Ardinghello zeichnete vom neuen, und ihre Blicke begegneten sich einander wunderbar: die des Ardinghello hell und durchdringend, doch von aufgewühltem Herzen, flammten in die seinigen wie in eine düstre Nacht voll Irrfeuer.

      Mark Anton fragte ihn endlich, ob er sich schon lange in Venedig und der Gegend aufhalte. Ardinghello antwortete mit Besinnung: »Es ist noch nicht lange; die Werke des Tizian und Paul von Verona und Tintorett haben mich dahin gezogen; und auch am Johann Bellini ist noch zu studieren und andern; besonders aber an der herrlichen Menschenart zum Kolorit.«

      »Seid Ihr aus Florenz selbst?« verfolgte er ferner. »Ja«, war die Antwort. »Und Euer Vater?« »Mein Vater ist tot, und meine Mutter ist tot, ich ohne Geschwister bin allein übrig.«

      »Wer war er, was trieb er?« Diese Frage machte Ardinghellon endlich ungeduldig, er schnickte den Pinsel aus und antwortete: »Er war ein Schwertfeger und machte gute Klingen.«

      Bei diesen Worten trat Cäcilia herein und hemmte das Gespräch; denn sie waren vorher ganz allein. »Nun, geht's gut?« fragte sie lächelnd. »Es würde besser gehen«, antwortete Ardinghello, »wenn ich das Glück gehabt hätte, Ihro Exzellenz länger zu kennen.« »An mir ist nicht soviel gelegen«, erwiderte der Bräutigam; »wißt Ihr was, laßt es für jetzt gut mit mir sein und macht die Signora vollends fertig. Wir werden näher bekannt werden, und künftigen Winter einmal ist's bessere Zeit.«

      »Wie Sie befehlen«, versetzte Ardinghello und rückte die Staffelei weg.

      »O nein«, sprach heftig Cäcilia, »im Winter gibt's lauter Nebel und Regen und keine gute Luft zum Malen!«

      »Nun gut«, sagte der Bräutigam, »da kann es ja noch nach unsrer Vermählung hier geschehen. Jetzt bin ich ohnedies zu sehr beschäftigt und kann nicht so ruhig sein wie Sie, mein Herz.«

      Sie nahm ihn bei der Hand und sah ihn zärtlich an und führte ihn fort. Ardinghello gab seiner Zeichnung einen Nasenstüber, brachte die Sachen in Ordnung und ging darauf von ihrem Gut und kam zu mir nach Hause.

      Er erzählte mir, was vorgegangen sei: und mir wurde darüber warm im Kopfe. Ich konnte nicht anders glauben, als Mark Anton habe Lunte gerochen, und warnte und beschwur ihn mit Bitten inständig, äußerst auf seiner Hut zu sein und für jetzt sich ganz stille zu halten. Er aber meinte, seine Art, rot und blaß zu werden, müsse von etwas anderm herrühren als Eifersucht; soviel er sich selbst fühle und an andern beobachtet habe, offenbare sich dieselbe auf eine andre Weise. Jedoch sei wahr, daß die Grundverschiedenheit der Menschen hierin sonderbare Abweichungen mache. Inzwischen hätt er sich noch nirgend so betrogen, wenn dies Eifersucht sein solle; auch reime sich dies nicht zu seinem übrigen Charakter, wie er ihn aus Hörensagen und den wenigen Augenblicken kenne. Daß er auf seiner Hut sein würde, dafür brauch ich nicht zu sorgen; aber ein Feiger nur flieh alle Gefahr. Man müsse standhalten, mit unerschrocknem Mut, solange das Verderben nicht unüberwindlich einbräche; dies allein rette und beglücke den Mann.

      Sein Verdacht ging' auf etwas anders; und ein wahrsagerischer Geist geb ihm ein, der Statthalter von Kandia sei bei Ermordung seines Vaters nicht ganz außer Spiele gewesen und die Ähnlichkeit seiner Gestalt ihm aufgeschossen.

      Mir fiel heiß hierbei ein, daß Mark Anton, vor seiner Statthalterschaft von der Republik abgeschickt, einige Zeit zu Florenz gestanden und mit dem Großherzog auf einem so guten Fuß umgegangen sei, daß er seinen schwierigen Auftrag glücklich ausgeführt habe; ich schwieg jedoch hiervon stille, um nicht Öl ins Feuer zu gießen, und sagte im Gegenteil: dies käme mir nicht wahrscheinlich vor, er solle sich deswegen nichts in Kopf setzen.

      Den folgenden Morgen bracht er das Bild dahin, daß es im Rahmen konnte aufgespannt werden, und bekam für seine Arbeit von Cäcilien selbst einen schönen goldnen Ring mit einem kostbaren Rubin zum Geschenk, der gerad an den Herzensfinger seiner linken Hand paßte. Dies gefiel ihm denn; und er freute sich und lachte darüber, wie die Dinge dieser Welt so sonderbar untereinander laufen. Am dritten Tag hierauf sollte das Beilager gehalten werden; alle Anstalten dazu waren schon gemacht und die Nachbarschaft zu einem festlichen Ball eingeladen.

      Ardinghello ging inzwischen tiefsinnig herum, aß wenig und trank viel, und konnt es nicht länger verbergen, daß er vom Stempel der Liebe mächtig gezeichnet war; er mied alle Gesellschaft. Morgens, abends und des Nachts kam er nie auf sein Zimmer und schlief nur des Mittags. Ich hatte mit dem Armen Mitleiden: aber da war nicht zu raten; er hörte wie ein Meersturm. Die ersten Stunden der Nacht am Tage vor der Hochzeit trat er auf einmal plötzlich hastig auf mein Zimmer, blaß und fürchterlich; ich schrieb eben an einem Briefe. Wie ich ihn aber so erscheinen sah, fiel mir die Feder aus der Hand, und ich sprang auf: »Was gibt's, was hast du?«

      »Mein Argwohn war nur zu gut gegründet; höre!« sprach er und ging mit mir zum äußersten Ende von der Tür weg.

      »Du kennst den schönen einsamen Platz, wo die großen babylonischen Weiden vom hohen Felsengestad herunter nach dem See hangen und das Ganze zu einer stillen melancholischen Vertiefung sich einschließt: dahin war die letzte Zeit immer mein liebster Spaziergang; schon vorher sind wir dort beisammengewesen. Auch diesen Abend ging ich dahin und nahm einmal ein Instrument mit. Es fing an zu dämmern, als ich noch auf der entblößten Wurzel der vordersten Weide nach dem Tale zu saß und meine Leiden sang. Der Inhalt von meinem Liede war: ›Ach, mein Vater tot, meine Mutter tot, meines Lebens Lust in fremder Gewalt! Ist dies nicht, ein junges Herz zu brechen? Saitenspiel, klag's mit mir!‹ Und bei den Worten, nach dem Blick und der Empfindung: ›Flüsterst du Lüftchen in den Blättern mir Trost zu?‹, kam's über mich, als ob ich meinen Vater vor mir und mir winken sähe. ›Warum erscheinst du, was verlangst du von mir?‹ rief ich und sprang auf. Zugleich erblickt ich nicht weit von mir einen Kerl mit dem Messer in der Hand, welcher alsbald davonging mit diesen Worten: ›Flieh, junger Mensch, du dauerst mich, ich sollte dich ermorden! Flieh, so geschwind du kannst, so weit dich deine Beine tragen, und meide den Mark Anton. Schon wurde durch ihn dein Vater umgebracht. Meide das Gebiet des Großherzogs.‹

      Mir wurde dabei das Herz im Leibe umgekehrt; aber ich besann mich doch nicht lange, sondern riß meine Pistole hervor (er ging auf seinen Wegen nie ohne Gewehr aus) und jagte ihm von der Seite eine Kugel durch die Brust, daß er auf der Stelle stürzte. ›Stirb, Elender, für deine Schlechtigkeit in der Schlechtigkeit, und bereite