Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Название Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang
Автор произведения Johann Gottfried Herder
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066398903



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um über Klippen zu schäumen. Jeder von uns ahndete so das Gefühl seiner Laufbahn.

      Nachdem wir lange in Genuß und Empfindung gelegen hatten und mit den Wellen und Kieseln gespielt und Kräutern und jungen Sprossen, brach ich zuerst das Stillschweigen und fragte leise: »Und Cäcilia?«

      »Ach, Cäcilia«, erwidert' er hastig, »ist für mich verloren; ein schwarzer Unhold entführt sie mir. Selige Augenblicke, wo an mir alles Irdische sich bei ihr zu Geist erhöhte, ich vor mir selbst verschwand, in einem Meer untergetaucht von unsterblicher Reinheit und Klarheit! Die Arme dauert mich; aber da ist keine Rettung, wo ein Gott nicht hilft.

      Das goldne Geschöpf hat über mich vermocht, was ich nie glaubte. Unsre nächtlichen Zusammenkünfte in Venedig waren leider selten, und wir sahen uns einander nur bei größter Sicherheit. Noch während dieser Zeit warb mancher um sie, so wie schon viele vorher um sie geworben hatten; besonders der junge Bartholommeo F** mit einer völligen verliebten Raserei, übrigens ein Mann nicht ohne treffliche Eigenschaften, wie du weißt, nur von geringem Vermögen: aber keine Partie war ihren Eltern und Brüdern gut genug, und keiner von den Helden ergriff ihr Herz. Mir gab sie nach und nach alles preis, Seel und Leib, nur die letzte Gunst ward mir vorbehalten; ihr Entschluß hierin war stahlfest und unwankbar: weder Beredsamkeit noch Gewalt und die feinste Verschlagenheit konnt etwas ausrichten. Sie hat mir gute Proben abgelegt, daß ein Weib vor der Verführung sicher sein kann, wenn es nicht verführt sein will. Du magst immer darüber lächeln; aber sie hat es geleistet. Ich sehe dich in Gedanken fragen, was wir zusammen taten. Was Adam und Eva, lieber Freund, ehe sie aus dem Paradiese verstoßen wurden: Wir lebten im Stande der Unschuld nach und nach; freilich ging dies auf einmal aus der bürgerlichen Welt nicht, wo alles seine sündliche Blöße doppelt und dreifach bedeckt. Wir offenbarten uns so wie von Angesicht zu Angesicht unser Innres. Du kannst mich immer zu dieser Zeit einen holden einfältigen Schäferknaben nennen: aber ohne solche Vorbereitung gelangst du nie bis in den achten und neunten Himmel; nur höchstens auf die grüne Wiese, wo, wie man sagt, diejenigen hinkommen, die weder selig noch verdammt sind. Wer alle Himmel durchwandert hat und in jedem genossen und gelitten zum Aufflug in den höhern: darf von dem Reiche der Liebe reden. Glaube nicht, daß ich hier wie Petrarca schwärme; dieser war ein armer Sünder und hing nur am Schein, nie an der Wirklichkeit; er hat mit seinem Geächz und Jammer schier unsre ganze Poesie zugrunde gerichtet. Die Toren seufzten ihm jahrhundertelang nach, und mancher besang bei einer feilen Dirne die Grausamkeit der berühmten Provenzalin in unerträglichem Einerlei, anstatt die verschiednen Reize der Erdentöchter in ihrer Mannigfaltigkeit wie die heitern Griechen aufzuempfinden. Er selbst zwang die kluge Frau zur unerbittlichen Strenge: sie schwebte ja in augenscheinlicher Gefahr, daß er bei der ersten Gunst noch einen Band Sonette und berühmtere Oden auf etwas anders als ihre schönen Augen machte.

      An Planen von Entführung und ewiger Verbindung wurde von uns im Anfange stark gearbeitet; aber weil wir keine Luftgestalten waren und Sinn hatten und sie auf keine Weise von ihrer Familie lassen wollte, die sie allzu zärtlich liebte, und besonders ihre Mutter totzukränken befürchtete: legten sie sich bei näherer Bekanntschaft nach und nach. Wir sahen die mißlichen Folgen bei den großen Hindernissen zu deutlich und erkannten inzwischen innig, daß die Natur unter allem bürgerlichen Verhältnis bei Menschen von reiner Empfindung und klarem Begriff immer durchgeht, trotz allen Gesetzen. Sie richten sich zwar im Äußerlichen nach der Ordnung des großen Haufens: betreiben aber im Geheim ihre eigne Art von Glückseligkeit, ohne welche kein Leben Wert hat. So verstrichen denn die himmlischen Tage, und wir ließen die Götter walten.

      Eben im Frühling nach geschloßnem Frieden kam endlich Mark Anton G*** aus Griechenland dahergestürmt mit neuem Gold und Schätzen. Sein Weib und seine zwei kleinen Kinder, Töchter, waren dort an der Pest gestorben; und die heißen Strahlen, die Cäciliens Schönheit von sich warf, schienen während der ersten Besuche bei ihren Eltern gerade den Reiz zu haben zu andern Erben für sein Vermögen. Gleich einige Wochen nach seiner Ankunft hielt er um sie an: und sie ward ihm versprochen und mußte drein willigen; ob er gleich schon in die Vierzig, sie erst mannbar ist und ihn nicht leiden kann; aber er hat seine großen Besitzungen bei seiner Statthalterschaft in Kandia noch reichlich vermehrt mit Grausamkeiten und Erpressungen, und Unterschleifen in Verhandlungen mit den Türken, steht in großem Ansehn; und ihre Familie, obgleich bemittelt, bedarf doch wegen ihrer Brüder einer solchen Verwandtschaft. Unser Liebesknoten schlang sich dadurch nur fester; jedoch drohte das nahe Hagelwetter in der Ferne die Blumen aller unsrer Freuden zu zerschlagen.

      Mein Aufenthalt diesen Sommer hier am Lago in kurzen Lustreisen von Venedig aus war schon beschlossen, eh ich mit dir bekannt wurde; und dein Antrag, mit dir zu ziehen, setzte mich anfangs in Verlegenheit: allein ich wußte nun der Sache keinen bessern Rat. Auch Cäcilia, die äußerst besorgt ist, wurde furchtsam darüber; doch ist alles insoweit nach Wunsch abgelaufen.

      Hier kamen wir weit öftrer zusammen. Sie hat ihre Wohnung auf dem Gut in dem Garten, gerade vor einer Pflanzschule von jungen Bäumen, nicht weit von einem Brunnen mit einem weiten Marmorbecken, von hohen Ahornen umgeben, wo man sehr bequem über die Mauer klettert. Sie kann von der Seite zu einer Tür herein; und überdies ist ein Fenster in ihr Zimmer wegen des Lattenwerks für die Reben daran leicht zu ersteigen; welches ich aber doch, aus Furcht, gesehen zu werden, nur einigemal die letzten Nächte, wo es völlig dunkel war und weder Mond noch Stern leuchtete, um die Umschweife zu ersparen, gewagt habe: und ich erstieg immer damit alle neun Himmel; mit der Nachricht von der Ankunft des Bräutigams zur Hochzeit erobert ich endlich, ach, unter wieviel Schmeicheleien, beredten Bitten, heißen Wollustküssen und Gewalttätigkeiten! das heilige Palladium, umrungen von Glanz und Feuer, jede Fiber süße Wut.«

      Ardinghello hatte sich bei den letzten Reden von mir abgewandt und hielt nun sein Gesicht in den frischen klaren Quell hinein, um die Glut davon abzukühlen.

      Wir machten uns vom neuen über die Flaschen her, und ich gab ihm den Rat, weder sie noch ihn zu malen und lieber sich zu rechter Zeit zu entfernen; die Sache käme mir allzu gefährlich vor.

      »Flieh du«, antwortete er, »wenn du keinen Willen hast und dir die Füße gebunden sind! Ja, fliehen möcht ich, aber mit ihr; jedoch wohin?«

      Schon senkte sich der Tag, und der Abend rückte näher; wir erstiegen noch die Höhen und übersahen weit die Lombardei und ihre Lustreviere. Beim Heruntergehen nahmen wir einige Zeichnungen von reizenden Winkeln und Aussichten ab, fanden alsdenn unsern Steurmann auf uns warten, verließen Quell und Wäldchen und den leichten erhebenden Äther: wandelten wieder in die Tiefe und segelten unter dem lieblichen Zauberspiel von Abendröte nach Hause, zwischen den Gesängen frohlockender Winzer über den Segen des Herbstes.

      Ardinghello wagte noch dieselbe Nacht eine Zusammenkunft mit Cäcilien. Sie hielten Rat, und es wurde beschlossen, daß er die Porträte malen sollte, indem es anstößig sein würde und sogar Verdacht erregen könnte, wenn er es nicht täte. Übrigens verließen sie sich auf ihre Gegenwart des Geistes und Verstellungsgabe und nahmen deswegen die sichersten Maßregeln.

      Den dritten Tag darauf holt' ihn auch ihr jüngrer Bruder dazu ab, und er begleitete ihn mit allen Zugehörigen; der Bräutigam wollte ihr Ebenbild noch vom Stand ihrer Jungfräulichkeit.

      Sie hätte gar nicht nötig gehabt, ihm zu sitzen; aber er zauderte mit Fleiß und schien auf nichts achtzugeben, als die eigensten und bedeutendsten Züge von ihr recht zu fassen. Er bat sie, so ganz bloß als unbekannter Maler, sie möchte sich nur völlig frei ihrem Wesen überlassen und tun wie sonst in der Gesellschaft oder als ob sie allein wäre; er müsse von selbst aus den mancherlei Bewegungen ihrer Seele auf der Oberfläche des Körpers ihren Charakter abnehmen und seine Phantasie das Ganze bilden. Ein gutes Porträt sei platterdings keine bloße Abschrift, und es gehöre dazu das tiefste Studium des Menschen, wovon er noch leider weit entfernt, wozu er auch zu jung wäre; aber er wolle nach Vermögen das Seinige tun.

      Ihre Mutter war immer dabei zugegen, und der Bräutigam und einige von seinen und ihren Verwandten gingen auf und ab. Cäcilia war sehr aufgeräumt, sprach und scherzte und hatte die Malerei zum besten; schien zwar dem holden Jüngling in seiner Beschäftigung gern zuzusehen, warf so gar unverstellte Blicke auf ihn, wie man auf Schönheit wirft: aber alles wie fremd und zum ersten Mal; und ihre Worte hatten immer etwas von dem vornehmeren