Название | Meerhabilitation |
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Автор произведения | Oana Madalina Miròn |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991310280 |
Ich schloss die Augen und atmete den neuen Duft der Freiheit ein. Es roch nach Zedernholz mit einem Hauch von Mut und Selbstbewusstsein. Ich wusste, dass alles gut werden würde. Den schwersten Abschnitt hatte ich bereits hinter mir gelassen. Jetzt konnte mein neues Leben beginnen, mit allem, was dazugehört.
An den nächsten Tagen machte ich mir eine Liste mit den nötigsten Sachen, die ich besorgen musste. Essen und Trinken, Gläser und Besteck, Körperpflegeartikel und einige Dekoartikel, um dem neuen Zuhause meine eigene Handschrift zu verleihen. Ja, ich hätte mir nichts Schlimmeres vorstellen können, als im verschneiten Island ohne Tampons festzusitzen. Da ich mein gesamtes Hab und Gut zurücklassen musste, empfand ich es nun als eine riesengroße Erleichterung, mich komplett neu einzurichten und neue Sachen zu kaufen.
In den darauffolgenden Tagen hatte mich schon so gut eingelebt, dass ich beschloss, es endlich mit der Stadt aufzunehmen. Ich war wieder bereit, Menschen um mich zu haben, und mich mit dem einen oder anderen auszutauschen. Isolation funktionierte nur bedingt, es war wieder an der Zeit, meine kleine, schützende Blase zu verlassen. Ich packte mich im Inuit-Style gut ein, streifte mir meine pinken Moonboots über und schon konnte es losgehen!
Dieses Mal nahm ich mutig den Bus. Die Taxifahrten würden meine Ersparnisse auf Dauer deutlich minimieren. Ich kam besser als erwartet zurecht. Kaum im Zentrum Reykjaviks angekommen, führte mich mein allererster Weg zum größten Autohändler, den ich finden konnte. Ich betrat den Laden und kam mir vor wie im Land der Riesen, denn anscheinend fuhren hier alle nur SUVs und riesige Geländewagen, deren Reifen fast so groß waren wie ich selbst. Hier herrschte die Devise »bigger is better«.
»Guten Tag! Kann ich Ihnen behilflich sein?«, begrüßte mich der freundliche Autoverkäufer mit einem gekonnten Perlweißlächeln. In seinem dunkelblauen Anzug sah er eigentlich eher aus wie ein Politiker. Ich mochte keine Politiker. Sein Aftershave machte die Situation nicht besser, denn er roch, als hätte er darin gebadet. Ich versuchte durch den Mund zu atmen.
»Guten Tag, wenn sie mich schon so fragen, ich bin auf der Suche nach einem Auto«, antwortete ich leicht irritiert. Man konnte es mir nur allzu gut ansehen, dass ich mit dem Fahrzeugangebot deutlich überfordert war. Autos zählten für mich zu den Gebrauchsgegenständen, die mich von A nach B beförderten, mehr nicht.
»Zum Kauf oder als Leasing?«, fragte er mich.
Aha, der Kunde wurde anscheinend bereits bei der ersten Frage klassifiziert und in Schubladen gesteckt. Hätte er mich gleich fragen sollen, wie viel Geld ich auf dem Konto hatte?! Irgendwie amüsierte mich die Situation.
»Ich würde gerne ein praktisches, kleines Auto kaufen, wenn geht, gebraucht, nicht älter als drei Jahre. Allerdings bin ich nicht gleich davon ausgegangen, mit einem Truck nach Hause zu fahren«
Der Verkäufer leckte sich kurz die Lippen, als er das Wort „kaufen“ hörte und ich könnte schwören, winzig kleine Dollarscheine in seinen Pupillen erkannt zu haben.
»Ich bin eher auf der Suche nach einem kleineren Wagen, einen VW Polo, oder so?« Ich war mir aber ziemlich sicher, dass ich mit solch einem Auto nicht nach Hause fahren würde.
»Wenn Sie mir eines glauben können, ist es die Tatsache, dass Sie in ganz Island keinen VW Polo finden werden. Bitte vertrauen Sie mir, wenn Sie den Winter hier überleben möchten, dann würde ich Ihnen dazu raten, sich die großen Jungs hier anzusehen«, sagte er stolz und zeigte auf die Ausstellfahrzeuge. Von Jeep, Nissan, Kia, Opel bis BMW, VW und Audi, alles was einen Namen hatte, war hier bunt vertreten und stehts in XXL-Ausführung.
»Na ja, einen Blick kann ich ja mal darauf werfen«, sagte ich verunsichert, wusste aber insgeheim, dass der Verkäufer recht hatte. Die Winter hierzulande waren sehr lang und rau. Ich lebte hier quasi am Nordpol und wollte mich im Straßenverkehr sicher bewegen.
Tja, das waren auch schon meine letzten Worte, bevor ich eine halbe Stunde später in meinem nigelnagelneuen, moosgrünen Jeep das Autohaus verließ. Hoch über dem Boden schwebend und mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht, der mich selbst überraschte, düste ich die Straße hinunter Richtung Mall. Der Autoverkäufer hatte nicht nur einen guten, sondern einen ausgezeichneten Job gemacht. Seine Monatsprovision war ihm jetzt schon sicher. Doch alles in allem hatte ich mich vollkommen richtig entschieden. Der isländische Winter ließ mir keine andere Wahl.
»Carpe diem, Tessa! Carpe diem!«, sagte ich leise zu mir.
»Das hast du dir so was von verdient!«
Das Fahren in diesem Monstrum bereitete mir solch eine Freude, dass ich deutlich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen. Rechte Kurve, linke Kurve, in den Außenspiegeln konnte ich den Pulverschnee in allen Richtungen davonspritzen sehen. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das ins Bällebad hüpfen durfte.
Plötzlich huschte vor meinen Augen ein schwarzes Etwas vorbei! Direkt vor mein Auto!
VOLLBREMSUNG!!!
Ich schrie erschrocken auf, der Jeep geriet ins Wanken, Spurhaltung ade! Wie in Zeitlupe konnte ich erkennen, wie ich mich im Uhrzeigersinn zu drehen begann. Die Umgebung drehte sich im Kreis, weiße Landschaft, Bäume, weiße Landschaft, Bäume … Ich hielt das Lenkrad so fest, dass sich sogar meine kurz geschnittenen Fingernägel ins Leder zu bohren begannen. Das war’s dann wohl mit meinem neuen Wagen, wie gewonnen, so zerronnen. Im Radio lief „At last“ von Etta James. Das Auto drehte sich rhythmisch im Takt zur Musik. Das hatte beinahe schon etwas von einer gefühlvollen Tanzeinlage auf dem Eis, wie im Eiskunstlauf. Was für eine absurde Situation! Ich kam von der Straße ab und landete mit einem lauten Knall im nächstgelegenen Schneehaufen!
Stille.
Ich wagte es nicht mal, mich zu bewegen. War ich verletzt? Gelähmt oder etwa tot?!
»Tessa, jetzt mal tief durchatmen!«, ermahnte ich mich mit einem leicht panischen Unterton. Ich öffnete die Augen, bewegte vorsichtig meine Finger, meine Arme, meine Beine und hob schließlich ganz langsam den Kopf. O. k., soweit ich das beurteilen konnte, war ich o. k. Meine Hände zitterten, ich spürte wie das Adrenalin durch meine Adern zischte.
»Oh, mein Gott, Miss, alles o. k?!«, hörte ich draußen jemanden rufen. Eine männliche Stimme. Warum nannten mich alle nur »Miss«?. Das war auf so vielen Ebenen falsch, aber eigentlich sollte es mir schmeicheln. Er hämmerte gegen meine Fensterscheibe und versuchte den Schnee wegzuwischen.
»Hallo?!! Ja, ich bin hier drinnen!«, rief ich instinktiv zurück.
»Ich hole Sie hier raus! Nur keine Panik!«, antwortete der Fremde.
»Ist gut! Ich warte dann so lange.«
Herrgott, wie peinlich, Tessa! Sehr intelligente Antwort. Na klar, wo sollte ich denn sonst hin? Ich war ja regelrecht im Auto gefangen. Schamesröte stieg mir ins Gesicht.
Der nette Helfer schaffte es irgendwie mit viel Mühe und Not, die Fahrertür mit den Händen vom Schnee freizuschaufeln und öffnete sie mit einem kräftigen Ruck. Da ich mich dagegenstemmte, um ihm zu helfen, plumpste ich im gleichen Moment hinaus und fiel hochkant auf ihn drauf! Gemeinsam fielen wir wie ein Fleischklops in den Pulverschnee.
Er landete rückwärts im Schnee und ich klatschte recht tollpatschig auf ihn drauf.
»Ähm, hallo. Ich meine, danke!«, stammelte ich vor mich hin.
Mit einem breiten und gleichzeitig unwiderstehlichen Lächeln sah er mich an. Unsere Gesichter waren nur fünf Zentimeter voneinander entfernt, ich konnte seinen warmen Atem spüren.
»Gern geschehen«, antwortete er.
Oh, mein Gott! So nah war ich einem männlichen Wesen sage und schreibe seit Jahren nicht mehr gewesen! Er lag einfach nur da und machte keine Anstalten, sich von mir wegzubewegen. Er fand unsere verzwickte Lage sehr amüsant und lächelte mich unentwegt an. Dumpfe, stampfende Geräusche lenkten mich plötzlich ab und mit