Meerhabilitation. Oana Madalina Miròn

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Название Meerhabilitation
Автор произведения Oana Madalina Miròn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991310280



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der als einer der besten und schönsten Aussichtspunkte Reykjaviks gilt, sowohl für die Beobachtung der Nordlichter im Winter als auch für die Sommernachtssonne in der wärmeren Jahreszeit; Zudem galt er auch als Oase der Vogelvielfalt, da auf Seltjarnarnes bereits über mehr als 110 unterschiedlichen Vogelarten registriert wurden. Viele Touristen berichteten zudem darüber, dass man von den Pfaden aus die gut genährten Robben an den felsigen Stränden liegen sehen und, manchmal auch Wale beobachten konnte. Für eine Naturliebhaberin, wie ich es war, klang das wie ein Märchen. Ich konnte es einfach nicht erwarten, dieses Naturschauspiel mit eigenen Augen zu beobachten.

      Von Beruf war ich Meeresbiologin. Ich hatte nicht nur Meeresbiologie studiert, sondern lebte es auch. Mein Beruf war zu Berufung geworden. Der Schutz der Meere – und besonders der Widerstand gegen das brutale Abschlachten von Delfinen und Walen – war für mich inzwischen zum Lebensmittelpunkt geworden. Mein letzter Job im „Haus des Meeres“, inmitten der Großstadt Wien, konnte mir auf Dauer keine Befriedigung verschaffen. Fische gehörten ins Meer, nicht in einen Schaukasten. So viel stand fest. Ein Grund mehr, endlich ans Meer zu ziehen. Die Leidenschaft direkt vor der Nase zu haben und sie jeden Tag aufs Neue erleben zu dürfen.

      Wir fuhren weiter. Die weiße, tief verschneite Landschaft zog an uns vorbei. Alles schien so friedlich und verschlafen. Ja, es konnte einfach nur gut werden. Nirgendwo sonst als hier, auf dieser wunderbaren Insel, wäre ein Neubeginn besser denkbar gewesen. Hier würde mich niemand finden, niemand mehr verletzen oder mir mehr wehtun. Hier war ich richtig. Ich würde ganz von vorne anfangen, mich um eine neue Arbeitsstelle kümmern und mein Erspartes wohlüberlegt einteilen. Einen Gang zurückschalten und die Dinge in meinem Kopf neu ordnen, mir mehr Raum zum Atmen geben, um dieses Mal die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ich war jetzt auf mich alleine gestellt, stand seit Langem erst mal wieder auf eigenen Beinen. Es fühlte sich verdammt gut an!

      »So, wir sind da. Das macht dann 289 Kronen«, riss mich der Taxifahrer aus meinen Tagträumen.

      »300, stimmt schon.« Ich reichte ihm das Geld und stieg aus dem Taxi. Mann, oh Mann, ein ganz stolzer Preis. Kein Wunder, dass ich nicht allzu viele Taxis auf dem Weg hierher gesehen hatte. Der Bus wäre sicherlich um einiges günstiger gewesen.

      Mit einem »Viel Glück und herzlich willkommen! Auch wenn es sehr kalt und rau aussehen mag, wir Isländer tragen das Feuer immer im Herzen«, verabschiedete er sich.

      Das Taxi setzte sich in Bewegung und fuhr langsam davon.

      Ich blieb alleine am Gehsteig stehen und sah ihm nach. Es fing an zu schneien. Ich blickte hinauf zum Himmel und schloss entspannt meine Augen. Ich spürte, wie die Schneeflocken mein Gesicht berührten und auf meiner warmen Haut dahinschmolzen. Da ich keine große Eile hatte, genoss ich dieses Gefühl eine Zeit lang. Ich war da. Ich hatte es geschafft. Die gesamte Vorarbeit hatte sich letztendlich gelohnt. Ich schlug ein neues Kapitel auf, die erste Seite eines neuen Buches. Meines Buches.

      Tessas Buches.

      2 Tessa

      Ich hatte mir erst mal für ein ganzes Jahr ein kleines, idyllisches Häuschen direkt an der Nordküste von Seltjarnarnes gemietet. Ich weiß, ganz schön mutig, so nah am Wasser zu leben, wo das Klima hier derart wild und erbarmungslos war, aber für mich war es die einzig richtige Option. Erstens konnte ich so meinem geliebten atlantischen Ozean möglichst nahe sein, zweitens, war ich nicht weit von der Hauptstadt entfernt, wo ich auch Arbeit finden konnte, und drittens hatte ich genug Abstand zu den übrigen Menschen.

      Ich musste erst mal alleine sein und zu mir selbst finden. Mich wieder erinnern, wer ich eigentlich war, und wohin mein Weg gehen sollte. Viel zu lange hatte ich mich in der Vergangenheit herumkommandieren und beeinflussen lassen. Mich „besitzen“ lassen. Damit war jetzt Schluss!

      Nun konnte ich seit Langem wieder meine eigenen Entscheidungen treffen.

      Ich schaute auf die Stadtkarte und versuchte mich zu orientieren. Ohne Google Maps war das eine richtige Herausforderung. Ich blickte in die Richtung, wo sich das Haus hätte befinden sollen.

      Üppige, mit Schnee behangene Bäume, die hörbar unter der eisigen Belastung ächzten, versperrten mir den Blick. Ich sah einen schmalen Trampelpfad, der sich zwischen den Bäumen hindurch schlängelte und ging diesen vorsichtig hinab. Ich machte kleine Schritte, versuchte nicht auszurutschen und plötzlich sah ich es.

      MEIN kleines Haus!

      Ich war endlich an meinem Ziel angekommen. Es war einfach wunderschön. Von der Situation übermannt, blieb ich einfach kurz stehen und genoss den Ausblick.

      Ganz einsam und doch so stabil und stolz, stand es einfach nur da. Zirka zweihundert Meter bis zum Wasser und der leicht zum Ozean geneigte Hang, machten den Ausblick auf den Atlantik einfach perfekt. Ich stand mit offenem Mund da und verfiel in eine Art Starre. So schön hatte ich es mir einfach nicht vorgestellt. Klar, ich kannte das Haus von etlichen Fotografien, doch es hier und jetzt mit eigenen Augen zu betrachten, verschlug mir den Atem. Ich wusste, warum ich mich ursprünglich in dieses Haus verliebt hatte. Wenn man am Hang stand und hinuntersah, konnte man die gesamte Schönheit überblicken. Die unendliche Weite bis zum Horizont ließ mich alles vergessen. Die Kraft der Natur überrollte mich mit voller Gewalt und ließ mich sprachlos zurück!

      Die Fassade des Hauses war an der dem Hügel zugewandten Seite mit dunkelbraunen, vertikal angebrachten Holzlatten verkleidet, die nordisch angehauchten Fenster waren weiß gestrichen. Die in Richtung des Ozeans ausgerichtete Seite war komplett mit rustikalen Natursteinen bis zum Dach hin zugemauert. Nur in der Mitte dieser Steinmauer befand sich eine Tür, wahrscheinlich konnte man durch diese Tür auf die Terrasse gelangen. Zwischen den Steinen, die aussahen, als hätte man sie einzeln in der freien Natur gesammelt und mit viel Liebe an der Hausmauer angebracht, wuchs dichtes Moos, das teilweise unter dem Schnee hervorblitzte. Das Dach war mit einer dicken Schneedecke bedeckt, was dem Ganzen eine gemütliche Note verlieh. Zum Wasser hin konnte ich eine kleine Steinterrasse erkennen, die weiße Pracht ließ meiner Fantasie noch viel Raum übrig.

      Ich konnte es kaum erwarten, das Haus zu betreten. Wie ein Überraschungsei stand es da und wartete darauf ausgepackt zu werden. Rasch ging ich hinunter und suchte den Haustürschlüssel. Wie mit der Vermieterin vereinbart, lag er unter einem großen Stein neben der Eingangstür. Da die Einbruchsrate in Island sehr gering war, wollte die Hausbesitzerin die Tür überhaupt unversperrt lassen, aber ich bestand darauf, trotzdem den Schlüssel zu verstecken.

      Als ob ein Einbrecher unser tolles Versteck nicht ohnehin nach einer fünf minütigen Suche gefunden hätte. Ich lachte kurz in mich hinein. Typisch österreichische Mentalität. Ich musste mich langsam davon lösen und freier, wilder werden. Öfter Risiken eingehen … Ja, ich musste unbedingt an mir arbeiten!

      Ich schloss die Tür auf und öffnete die aus massivem Holz bestehende, mit Metallbeschlägen und isländischen Ornamenten versehene Eingangstür. In der Mitte war ein schwerer Messingtürklopfer in Form eines Pferdekopfes, dem Nationaltier Islands, angebracht. Mit einem leisen Knarren ging sie auf. Mein Herz machte einen freudigen Satz als ich hineinging. Ich konnte meinen Augen nicht trauen.

      Der Innenbereich war riesig! Ich blickte auf einen offenen loftähnlichen Wohnbereich und stand plötzlich in einem riesigen Raum, der schöner nicht hätte sein können. Die Wände waren in einem ruhigen, graublauen Ton gestrichen, der untere Wandabschnitt mit marineblauen, vertikalen Holzlatten verziert. Es hatte einen maritimen, skandinavischen Touch. Eine riesige, dunkelbraune Vintage Ledercouch, die auch als ausziehbare Schlafcouch diente, ein massiver Holztisch, ein gemütlicher Schaukelstuhl in der Ecke, ein paar Sitzpölster, geschmackvolle Wandlampen und ein weißes Bücherregal – das war die gesamte Inneneinrichtung. Der Kochbereich bestand aus einer Kochnische mit den nötigsten Geräten, einem stabilen, quadratischen Holzesstisch mit zwei Stühlen und einer dunkelblauen Glasvitrine. Flauschige Tierfelle waren über den graubraunen Parkettboden verteilt. In die Nordwand, die dem Meer zugewandt war, hatte man ein drei mal vier Meter großes Panoramafenster eingebaut, mit einer endlos langen, mit Pölstern verzierten Fensterbank davor. Ich wusste jetzt schon, dass ich an diesem Platz viele Stunden mit Lesen verbringen würde. Die vielen Fenster ließen so viel Licht hinein, dass die Sonnenstrahlen das