Das Leben ent-ERNST-en. Cornelia Hürlimann

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Название Das Leben ent-ERNST-en
Автор произведения Cornelia Hürlimann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991079392



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Das Huhn fragt den Pfau: „Weißt du, was ‚Notenge‘ ist?“ Der Pfau schaut das Huhn fragend und liebevoll an, verneint die Frage. „Schlimm sind die permanenten Vergleiche!“ Wie hilfreich und liebevoll der menschliche Umgang ist, wenn die anhaftenden Vergleiche von heute auf Morgen untersagt wären!

      Buona sega

      Ja, schon richtig gelesen ;-)

      Meine italienische Freundin Fiona hat eine Schwester, Angela. Diese beiden Frauen haben sich verliebt und buchten eine Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer. Leider haben beide Gentlemen kalte Füße bekommen, eine Woche Schifffahrt erschien beiden zu eng und der Fluchtweg zu nass und kühl. Statt diese Kabine zu stornieren, fragte mich meine Freundin Fiona, ob ich mitkommen würde. Ja, warum nicht und sie führte mich mit einer mir fremden Frau aus Poschiavo zusammen, mit der ich eine Woche die eher enge Kabine teilen durfte. Ich verstand mich mit Maria auf Anhieb. Als sie mir von ihrem Leben erzählte, stellten wir einige Parallelen fest. Es war aufregend. Es wurde viel italienisch gesprochen oder übersetzt, da Angela kein Deutsch spricht und nur wenig versteht. Mein italienisch ist mittelmäßig. So versuchte mich Angela zu verunsichern, dass Buona Sera Buona Sega heißt. Nun, da alle drei über diesen Ausdruck lachten, fragte ich Maria in der Kabine, was dieses Buona Sega zu bedeuten habe. Sie klärte mich auf: Hol dir gut einen runter/Orgasmus. Ich ließ es im Raum stehen. Da Angela jedoch während dieser Schifffahrt Geburtstag feierte, beschlossen Maria und ich, ihr eine dementsprechende Geburtstagsüberraschung zukommen zu lassen. Am Abend zuvor stand ich mit Maria an dem Infoschalter und bestellte eine Geburtstagstorte mit der besonderen Aufschrift „Buona Sega“. Der Mann hinter der Theke fragte uns, ob er unseren Wunsch richtig verstanden habe. Maria und ich, wir kugelten uns vor Lachen, denn wir sahen schon die Augen von Angela. Natürlich, wenn jemand auf dem Schiff Geburtstag feiert, wird mit einigen schönen Servierboys ein schönes Ritual mit Wunderkerzen und Gesang veranstaltet. Alle acht Servierboys trugen an diesem Abend ein besonderes Lächeln im Gesicht. Als der Zeitpunkt da war, die Geburtstagskinder zu überraschen, liefen sie in einer Kolonne durch den Saal, um die Beglückwünschende noch etwas zappeln zu lassen, denn Angelas Gesicht zeigte Freude. Obwohl der Geburtstagskuchen bestellt werden muss und nicht einfach so daherkommt, hoffte sie insgeheim, dass sie die Beschenkte ist. Nun endlich standen die Männer an unserem Frauentisch und wir begannen herzhaft zu lachen. Als Angela Buona Sega las, wurde sie knallrot und wusste beinahe nicht, wohin sie schauen sollte. Dies war so korrekt platziert und wird sie bestimmt niiiiie mehr vergessen.

      ERNST trifft auf STERN

      Aus denselben Buchstaben von ERNST gelingt es, auch ein STERN zu formulieren. Während dieser Erkenntnis von so nahe beieinanderliegenden Worten spüre ich einen Schauer über meinem Rücken.

      Im Dezember 2009 erwachte ich an einem Sonntagmorgen und hörte die Kirchenglocken läuten, welche zu einem Rorate-Gottesdienst einluden. Eine starke Kraft drängte mich zum Aufstehen. Trotz Dunkelheit stand ich auf, ging zur Kirche und dort geschah etwas Unglaubliches.

      Die Pastoralassistentin erzählte folgende Geschichte (geschrieben von Sonja Suhner):

      „Coni der Sternenclown“ (Mein erster Gedanke war: muss das sein, dass heute Morgen die Hauptdarstellerin auch noch meinen Namen trägt? Ich bin hellwach.)

      „Coni ist ein Zirkuskind, das beobachtet, wie die meisten Menschen im Zirkuszelt lachen und staunen. Coni geht am anderen Tag ins Dorf und trifft dort auf einige Zirkusbesucher. Leider vermisst Coni die Freude und das Strahlen in den Gesichtern, welche sie am Abend zuvor entdeckt hatte. Bei keinem Menschen ist ein Funke des Vorabends zu erkennen. Enttäuscht macht sich Coni auf den Heimweg. Gedankenversunken steht Coni am Abend vor dem funkelnden Sternenhimmel. So wie diese Sterne sollten doch die Augen der Menschen leuchten. (Ein Schauer rann mir über den Rücken, diese Geschichte ging mir unter die Haut. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Zusammengekauert saß ich in der Kirchenbank. Die Hände versteckte ich in meiner Manteltasche. Tiefes Mitgefühl suchte mich heim und auch ein Staunen, warum wohl bewegte mich diese Geschichte derart?)

      Coni sagt sich: „Wenn ich doch nur allen einen solchen leuchtenden Stern schenken könnte, damit alle Menschen ihr Leuchten behalten können“. Doch die Sterne scheinen weit entfernt zu sein. Da bietet ihr der Mond seine Hilfe an. Er kommt ihr entgegen und mit seiner Unterstützung kommt sie den Sternen immer näher. Dank der hilfsbereiten Mondsichel erreicht sie ihren ersten Stern. Lange sitzt sie mit ihrem kostbaren Stern in der Mondsichel und niemand weiß genau, was in dieser Zeit alles geschieht, was Coni berührt und was sie fühlt (Ich fiel in ein Schluchzen. Dieses Gefühl war so unfassbar und überraschend.)

      Coni spürt auf einmal, was es heißt, Sterne zu verschenken. Sorgfältig gibt sie ihren Stern wieder dem Himmel zurück. Langsam und mit einem großen Schatz in ihrem Herzen kehrt Coni zur Erde zurück. Coni weiß jetzt, dass man Sterne nicht einfach verschenken kann, sondern dass „Sterne verschenken“ vielmehr heißt, sich Zeit nehmen für andere und ihnen zuhören, Freude weiter-verschenken, z. B. mit einem Brief, einer Zeichnung oder einem selbstgepflückten Blumenstrauß. Und es heißt auch, miteinander lachen oder mitzufühlen, wenn andere traurig sind. (Plötzlich stand ein verdeckter Wunsch klar vor meinen Augen – dank dieser Geschichte. Ein Geschenk wurde mir in Form dieser Geschichte überreicht. Und ich verstand, warum ich aufgewacht bin, nämlich damit ich im richtigen Moment am richtigen Ort sein konnte. Damit ich dieser Geschichte keine Zweifel anhaftete und es mich betraf, trug die Hauptdarstellerin bestimmt meinen Namen.)

      Coni will ihre Sterne in alle Dörfer der Welt hinaustragen – als kleiner Sternenclown. Wer weiß, vielleicht begegnet auch dir Coni bald einmal.“

      Ergriffen und in Schweigen gehüllt kehre ich nach Hause. Der erste Schritt zu einer wahrhaftigen Verwandlung von innen ist angesagt.

      CLOWN – Philosophische Aufgabe

      Im Clown steckt beides: Der ERNST, um seine oft komische Rolle optimal hinzukriegen, dass die Leute lachen, und das Spielfeld der Intuition, des unvorhergesehenen und blamierenden lustigen „Baias“, der sich „Scheitern“ erlaubt. Viel mehr als wir uns „normale“ Menschen zugestehen. Als „STAR“ oder „STERN“ in seinem Element – hinter der kleinsten Maske der Welt, der roten Nase – entspannt sich die Menschenmenge. Schauen wir dem Clown zu, verändert sich in uns die innere Atmosphäre. Auf der Entdeckungsreise nach dem Komischen, Narrenhaften, Andersartigen und Besonderen begegnen wir unserem „normalen Selbst“. Würden wir uns erlauben, diesen wundervollen Clown zu zeigen, wären wir 100 % von uns überrascht, was in uns steckt.

      Der Clown und sein Spielplatz. Wann warst du das letzte Mal auf deinem Spielplatz zuhause? Kennst du deinen Spielplatz oder wo befindet sich dein Spielplatz? Ist nicht unser gesamtes Leben ein Spielplatz, wo alles erlaubt wäre? Wenn uns im Hinterkopf bloß nicht immer dieser vertraute Satz lauern würde: „Nimm di zäme … suscht muess ich mi mit dir schäme“ (Benimm dich, ansonsten muss ich mich mit dir schämen). Ja kein Aufsehen erregen. Ja nicht auffallen.

      Meine Eltern stammen aus einer katholisch geprägten Gegend. Wöchentlich mussten wir Kinder zur Kirche. Normalerweise entdeckten wir in der Kirche fast immer eine Kleinigkeit oder etwas Komisches, das uns zum Lachen verführte. Wir mussten das Lachen unterdrücken. Es war mir nicht erlaubt und angebracht damals, in der Kirche zu Lachen, sonst hätten sich meine Eltern im kleinen Dorf, wo sich alle kennen, über ihre ungehobelte Tochter schämen müssen. Alleine beim Schreiben dieser Worte läuft es mir kalt den Rücken hinunter.

      In der Masse nicht auffallen, galt die Devise. Was manchmal äußerlich nicht einfach war. Denn auf dunkelblauen, schon vorgängig getragenen Manchesterhosen, orange aufgenähten Stoffherzen am Po, und an den Hosenenden angenähte, zur Verlängerung dienende orange Stoffstreifen, waren automatisch ein Hingucker.

      Das Leben ist nicht einfach, hörte ich schon früh die Erwachsenen reden. Und ich habe lange diesen Glaubenssatz für das einzig wahre erachtet. Es floss tröpfchenweise über Jahre in meinen Verstand. Eine fundierte ERNSThaftigkeit und gesellschaftliche Schwermut dem Leben gegenüber gehörte zu mir. Doch ich versuchte, in kleinsten Winkeln in meinem Leben dieser ERNSThaftigkeit zu entrinnen und spaßig zu sein. Vor allem