Название | Das Leben ent-ERNST-en |
---|---|
Автор произведения | Cornelia Hürlimann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991079392 |
Sonntagsgeburtstag
Bei starkem Schneefall liefen wir an einem meiner Geburtstags-Sonntage in dieser wundervollen Stille zum Bodmerstübli, ca. eineinhalb Stunden von unserm Ferienhaus entfernt. Dort angekommen, genehmigten wir uns einen halben Liter Weißwein. Typischer, ‚leichter‘ Walliser-Johannesberg. Unsere mittlerweile volljährigen Kinder waren eingeladen, mitzutrinken, mit mir auf meinen Geburtstag anzustoßen. Doch beide verneinten. Oh weh, ich weiß – Weißwein ist nicht optimal für mich! Der Schneefall nahm in der Zwischenzeit zu und irgendwie fühlte ich eine Schwere in meinen Beinen, als ich wieder draußen an der frischen Luft stand. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Vorwärts zu gehen war eine Anstrengung. Als dann beide Kids noch den Lobspruch gaben, dass ich schwanke, lag ich im Schnee und konnte alleine beinahe nicht mehr aufstehen. Lachen erschwerte zudem das Aufstehen und meine Kinder amüsierten sich hochkarätig über ihre lachende, beschwipste „Mutti“. Die Rückkehrzeit zog sich in die Länge, denn der Schnee wurde immer mehr und mehr. Diese Droge lag zentnerschwer in meinen Beinen und ich werde mich hüten, eine solche Erfahrung reicht!
Schlittenfahrt auf dem Bauch
Es war eher neblig, und zum Skifahren auf Torrent wenig ansprechend. Deshalb legten wir einen Schlitteltag auf dem Gemmi ein. Wunderbar warm eingepackt mieteten wir die Schlitten und sausten die Piste hinunter. Papa voraus. Den Kindern vorzeigend natürlich bäuchlings, denn so schlittelte ‚Mann‘ ja schon als Kind den Hang hinunter. Eben frech und möglichst schnell. Es hatte ca. 20 cm Neuschnee. Ich nahm es gemütlich und saß auf dem Schlitten, ohne Eile. Wie durch ein Wunder hörte ich an einer meiner Schlittenkufen etwas metallartiges kratzen und bremste meinen Schlitten. Auf allen Vieren verfolgte ich meine Schlittenspur und fand tatsächlich den Schlüsselbund von meinem Mann im Schnee. Ich traute meinen Augen nicht. Dass ich den fand; da waren anscheinend kluge Helfer am Werk. Ich steckte die Schlüssel ein und schloss den Reißverschluss. „So, warte nur“, ging es mir durch den Kopf. Unten angekommen, traf ich auf meine Familie. Wir fuhren mit der Gondel wieder hoch und wiederholten die Schlittenfahrt weitere Male. Als wir bei der großen Luftseilbahn in der Kolonne standen – um von der Gemmi wieder nach Leukerbad zu kommen – sah ich, wie mein Mann in allen offenen Taschen begann, nach seinen Schlüsseln zu suchen. Hände rein, Hände raus. Hosentaschenkontrolle. Sein Gesicht veränderte die Farbe, denn schließlich waren ALLE Schlüssel – auch die vom Geschäft – an diesem Schlüsselbund. Ich fragte mal so beiläufig, was er den suche. Ungern gab er mir eine Antwort auf diese Misere. Ich spürte, wie in mir die ‚Schaden-Freude‘ hochkam und zückte den Schlüsselbund. „Suchst du diese?“, fragte ich ihn. Er: „Ja! Wo hast du diese gefunden?“ – „Nun, die lagen im Schnee und ich bin mit meinem Schlitten darübergefahren“, sagte ich. „Ja, und mein Militärmesser, das ich seit der RS habe, hast du das auch gefunden?“, fragte mein Mann ernsthaft. Mein Mund blieb offen. Wie konnte er eine derartige Frage stellen? Weder ein ‚Zum Glück hast du die Schlüssel gefunden‘ noch ein ‚Danke‘ bekam ich zu hören. Ich verstand in dem Moment die Welt der Wichtigkeitsmaterie nicht.
Hinterher war er bestimmt froh, doch diese Erkenntnis folgt oft zeitverzögert.
Sonnencreme Desaster
Zu viert fuhren wir in die Berge zum Skifahren. Ein Kollege meines damaligen Freundes (heute Ehemann) lernte spät Skifahren und fuhr eher etwas unsicher den Berg hinunter. So kam es, dass er ab und zu hinfiel. Nichtsahnend musste bei einem solchen Hinfallen seine Sonnencreme-Tube in seiner Skijackentasche zerplatzt sein. Er bemerkte dies erst, als wir uns am Nachmittag auf der Sonnenterrasse sonnten und er sich eincremen wollte. Er griff mit seiner Hand in die Tasche und meinte: „He, das ist doch praktisch. Da hast du die Sonnencreme viel schneller aufgetragen“, und strich sich mit der weißen Hand, voll von Sonnencreme, über sein Gesicht. So, dass es schön weiß aussah. Natürlich haben die Gäste dies von den Nebentischen mitbekommen und wir mussten herzhaft lachen.
Genau dieser VIRUS ist fatal, wenn dieser sich verbreitet! Mitlachen – auch dann, wenn man vielleicht gar nicht richtig mitbekommen hat, weshalb die anderen lachen. Einfach im Wissen, dass dabei pro Lacher 6 Kalorien verbrannt werden.
Beobachtungsstudien belegen, dass vom Lachen Schmerzen gelindert, Ängste reduziert und Stress abgebaut werden. Ebenfalls begünstigt Lachen das Einschlafen und verbessert die Schlafqualität, und mit Lachen verbessert sich die Sauerstoffversorgung des Immunsystems. Also, wo immer gelacht wird: Kräftig mitlachen und mithelfen, diesen Virus zu verbreiten, auch genau dann, wenn du vielleicht nicht weißt, warum die lachen! Nutze diese Auslöser, um dein Leben ein Stück zu ent-ERNST-en.
Es kommt schon wieder gut
Ich kenne ausgelassene, frohlockende, freie, beglückende „Cornelia-Momente“, welche mir noch heute freudvolle Gefühle hervorzaubern. Die Blauring-Mädchenzeit galt dem Austoben, Lachen, Spielen, Herumalbern, Singen, Bewegen und einfach Ich-sein.
Ich bin ein einfach gestricktes Kind. Was bedeutet, dass ich mit wenig materiellen Gütern aufgewachsen bin – als zweite Tochter von drei Geschwistern. Schon als Kind lernte ich von meiner Mutter, wie sie uns lustige Geschichten oder Gegebenheiten mit viel Zwischenlachen erzählte. Das beeindruckte mich. Diese Einfachheit und Leichtigkeit, angeknüpft an eine bildhafte Sprache. Beim Witze erzählen lachte sie weit davor. Holte ihre Zuhörer mit ins Lachboot, bis sie endlich die Pointe zum Besten gab. Sie konnte über manche Panne, die uns Kindern passierte, herzhaft und manchmal unverfroren und auch mutig lachen. So, dass der „ERNST“ der Lage aus dem Hause getrieben wurde. Sie nahm uns vier Kinder so an, wie wir waren. Wie oft ermunterte sie uns mit dem Spruch, dass „alles wieder gut wird“. So überzeugend konnte nur unsere Mutter lügen. So oft verweilte ich in meiner Ungeduld, als ich damals als Kind mehrere Wochen wegen Angina mein Bett hüten musste. Doch in diesem Satz lag ein Zauber inne und half, an die Heilung zu glauben.
Essigsaure Tonerde gegen Mayonnaise
Während einer Episode höre und sehe ich unsere verstorbene Mutter heute noch vor meinem geistigen Auge, frühmorgens herzergreifend lachen. Meine Schwester, die oft von Stechmücken gepeinigt wurde, versorgte diese Stiche jeweils mit Essigsaurer Tonerde aus der Tube. Um den Juckreiz und die Schwellung in der Heilung zu unterstützen, griff sie an diesem Morgen – wegen ihrer geschwollenen Augen – zur Essigsauren Tonerde Heiltube. Durch ihr eingeschränktes Sehvermögen (wegen der zugeschwollenen Augen) drückte sie anstellte der Mayonnaise Essigsaure Tonerde auf ihr Brot. JA, dieses mutige, echte Lachen von unserer Mutter, diente zur Auflösung von einiger Lebensdramatik.
Der nasse Waschlappen
Vor 4 Jahren ist meine Lebensspenderin dorthin zurückgekehrt, von wo wir alle herkommen.
Den Todestag vergesse ich nie. So kam es, dass der 6. Oktober 2016 in einer gewissen Hektik über die Bühne ging, um einiges zu organisieren. Als wir Kinder und Vater morgens um 6 Uhr vor ihrem Leichnam standen, lag sie friedlich und endlich schmerzfrei da. Leider hatte das Personal ihr die falschen Wunschkleider angezogen. Wir wussten, dass sie aufgebahrt werden wollte. Und sie bestimmte, in welchem Kleid das sein muss. Ich muss hierzu erwähnen, dass sie ihren gesamten Abschied würdevoll ins Detail geplant hat. Welche Lieder der Kirchenchor singen musste, was es als Leichenmahl gab etc.
So schnitten wir an diesem Morgen von hinten das gewünschte dunkelblaue schicke Kleid auf und halfen der Krankenpflegerin beim Um- und Anziehen. Als sie dann eingesargt wurde, entspannten kleine Witze die Situation. Als ob sie uns in dem Moment einen Lachtrost zusendete. Wie besprochen und gewünscht, legte ich ihren kleinen „Pfüdi“ (aus Filz hergestellte Kugel) in den Sarg, damit ihr damals vor 55 Jahren totgeborenes Kind auch eine anständige Beerdigung mitfeiern durfte. Das waren ihre Worte.
Damit ich von meiner Mutter gebührend alleine Abschied nehmen konnte, fuhr ich spät abends zur Leichenschauhalle im Hospiz. Eine Nachtschwester öffnete mir die Tür und fragte mich, ob sie mir einen Tee bringen soll/darf. Ich bejahte und es war stimmig, mich mit ihr neben dem Leichnam zu unterhalten, denn ich empfand ihren Körper nur noch als eine Hülle. Ihre befreite Seele schwirrte sehr wohl im Raum umher, um den traurigen Blicken