Название | Die letzte gute Tat |
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Автор произведения | Ralf Peter Paul |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991078951 |
„Morgen, Florian, ich muss mit dir sprechen. Deine Mutter hat schon einige Male bei mir angerufen, sie vermisst dich! Gestern schien es mir besonders schlimm. Sie bekommt zwar ab und zu einen Anruf von einem ehemaligen Freund deines Vaters, Kowalski oder so, der bietet ihr immer wieder seine Hilfe an oder fragt, ob er sie besuchen darf, doch fühlt sie sich einfach einsam ohne dich.“
Behrens war sichtlich betroffen.
„Das überrascht mich. Wir telefonieren mindestens zwei Mal in der Woche und sie hat nie etwas darüber gesagt.“
„Ich soll dir auf keinen Fall etwas davon erzählen. Tu ich aber doch, denn sie ist meine kleine Schwester und ich habe sie genauso lieb, wie du sie hast.“
„Dann ist es Zeit, wieder nach Hause zu fahren. Der Mann heißt übrigens Kollakowski und war tatsächlich ein Freund von Papa“, klärte Behrens auf.
„Vielleicht wohnst du sogar ein paar Tage bei deiner Mutter. Platz ist sicher genug und eigentlich bist du ja auch dort nie so richtig ausgezogen“, schmunzelte Nando vor sich hin und zog sich dafür einen kurzen, bösen Blick von Behrens zu.
Danach rief Behrens seine Mutter an, um ihr mitzuteilen, dass seine Aufgabe hier erledigt sei und er in den nächsten Tagen nach Hause kommen würde. Er wollte nur noch zu Manouch, um sich ordentlich zu verabschieden. Sie gab ihm die versprochene Belohnung: einen Damenring, besetzt mit einem roten Rubin und Smaragden. Den Wert des Ringes bezifferte sie auf über 3.000 Euro.
Behrens bedankte sich für das großzügige Geschenk und versprach, bald wiederzukommen.
Der Anruf
Donnerstag, 14. November 2019
Behrens legte einen großen Umschlag mit den geforderten 10.000 Euro in den Briefkasten und ging zur Bushaltestelle. Er war früh dran und musste noch 20 Minuten auf den Bus warten. Für die über eine Stunde dauernde Fahrt hatte er sich von zu Hause den Roman „Die Aula“ von Hermann Kant mitgenommen. Die Handlung spielte in der noch jungen DDR und beschrieb die Entstehung sowie Schließung der Arbeiter- und Bauernfakultät. Bei einem seiner wenigen Menschenkontakte im Ort hatte ihm ein in Kühlungsborn geborener Mann erzählt, dass dieses Buch das weltweit am häufigsten übersetzte Werk eines deutschen Schriftstellers sei. Diese Behauptung machte Behrens neugierig und er besorgte sich eine Ausgabe. Er las von Zeit zu Zeit immer mal wieder ein paar Seiten. Doch die Zeitsprünge und wechselnden Handlungsorte sowie die akribisch genau beschriebenen Nebenhandlungen ließen ein zügiges Durchlesen des Romans für Behrens nicht zu. Er tat sich schwer mit dieser Kost, obwohl er die Schilderungen aus der Sicht des DDR-Bürgers Kant über ein Stück deutsche Wirklichkeit als Bereicherung empfand.
Das Buch blieb in der Tasche. Es war die falsche Wahl, um sich abzulenken. Seine Gedanken drehten sich ausschließlich um Thea und ihren möglichen Aufenthaltsort.
Als Behrens am Hauptbahnhof ankam, setzte er sich ins Restaurant und bestellte eine große Cola light ohne Eis. Nachdem eine Stunde vergangen war und kein Anruf kam, fragte er die Bedienung, ob er noch weiter hier sitzen dürfe, auch wenn er nichts mehr bestellen würde.
Die Bedienung war über so viel Höflichkeit irritiert.
„Alles gut, wir schließen erst um 20 Uhr. Dann aber müssen Sie und ich gehen.“
Behrens schmunzelte. Unter anderen Umständen hätte er diese Aussage als Einladung verstanden, doch die aktuelle Situation ließ nicht einmal ansatzweise einen Flirt zu. Ihm war es jedoch wichtig, weiter nett zu sein, las das Namensschild und sagte: „Ich danke, Frau Ines, und wünsche Ihnen später einen angenehmen Feierabend.“
Behrens nahm sein Buch aus der Tasche und versuchte darin zu lesen. Die Kellnerin sah noch das ein oder andere Mal zu Behrens hinüber, ging aber nicht mehr an seinen Tisch. Erst als es kurz vor 20 Uhr war, stand sie wieder vor ihm, um mitzuteilen, dass das Restaurant gleich schließen werde. Er nickte, schaute auf seine Uhr und bedankte sich nochmals für die Großzügigkeit, hier sitzen bleiben zu dürfen. Dann stand er auf und ging vor das Bahnhofsgebäude.
„Kein Anruf“, dachte er und überlegte, ob er mit dem nächsten Bus wieder nach Hause fahren oder noch eine Fahrt abwarten sollte. Inzwischen hatte er auch Hunger bekommen. Die Speisen am Dönerstand gehörten nicht zu seinen Favoriten, bis auf Falafel mit Salat. Er bestellte eine Portion und ließ den nächsten Bus aus. Dem folgenden Bus um 22 Uhr 18 musste er jedoch nehmen, da es der letzte war, der an diesem Abend nach Kühlungsborn fuhr.
Kurz vor Mitternacht war er wieder in seinem Haus. Er öffnete sofort den Briefkasten, doch der Umschlag mit dem Geld war weg.
In Sekundenschnelle war ihm klar, dass die ganze Aktion nur ein Ablenkungsmanöver gewesen war, um ihn vom Haus wegzulocken. Doch was war mit Thea? Er wählte noch einmal ihre Handynummer: „Teilnehmer nicht zu erreichen.“
Er sackte auf dem Sofa zusammen. Verzweiflung, Tränen und Wut kamen über ihn und die bittere Erkenntnis, dieser Situation hilflos ausgeliefert zu sein. In diesem Moment wünschte er sich jemanden zum Reden, einen Freund, dem er seine Nöte und Gefühle anvertrauen konnte. Doch die einzige Person, die dies alles in sich vereinte, war seine Mutter. Doch die wollte er jetzt nicht mehr anrufen. Er blieb im Wohnzimmer, trank noch zwei Brandy, nahm eine Schlaftablette und schlief auf dem Sofa ein.
Die erste Befragung
Freitag, 15. November 2019
Am nächsten Morgen hatte er leichte Kopfschmerzen und suchte nach einer Tablette in der oberen Schublade des Flurschranks, worin sich diverse medizinische Dinge wie Pflaster, Salben und eben auch das gewünschte Aspirin befand.
Erst jetzt entdeckte er das Blinken des Anrufbeantworters. Es war die Nummer seiner Mutter, die er gleich zurückrief.
„Hallo Mama.“
„Was ist passiert? Du wolltest mich doch anrufen. Ich habe mir solche Sorgen gemacht“, warf seine Mutter ihm vor.
„Ich habe bis zum letzten Bus am Bahnhof gewartet, doch es kam kein Anruf und das Geld haben sie sich auch geholt“, gestand Behrens.
„Ist dir schon der Gedanke gekommen, dass dies nur ein übler Scherz ist und Thea sich eine kleine Auszeit nimmt? Oder hast du vielleicht vergessen, dass sie für ein paar Tage bei ihrer Freundin in Bremen übernachtet?“, versuchte die Mutter zu beruhigen, wohl wissend, dass bei ihrem Sohn solche Termine nie in Vergessenheit geraten würden. Dafür war er ein zu großer Pedant.
Behrens wollte Ruhe bewahren, sich unter Kontrolle halten und keine vorschnellen Schlüsse ziehen. So seltsam, wie die Dinge sich auch zeigten, es musste für alles eine Erklärung geben.
„Nein Mama, 10.000 Euro sind wirklich kein Spaß und die wissen so viel über mich und Manouch. Den Umschlag mit dem Geld haben sie aus dem Briefkasten genommen, ohne ihn zu beschädigen. Also haben sie Theas Schlüssel.“
„Dann musst du jetzt zur Polizei gehen. Alleine schaffst du das nicht. Und du darfst nichts von Manouch erzählen. Das geht auch niemanden etwas an“, gab sie ihm mit auf den Weg.
Sie war besorgt um ihren Sohn und darüber, dass er die vor ihm liegenden Aufgaben nicht ohne Hilfe bewältigen konnte. Auch der Gedanke, wieder tief in die Vergangenheit, die für sie und ihn schon längst abgeschlossen schien, zurückzukehren, löste bei ihr eine gewisse Unruhe aus. Zuviel Unsagbares war damals geschehen.
„Wie recht sie hat“, war Behrens klar und er nickte ins Telefon.
„Das mach ich, Mama! Ich gehe jetzt zur Polizeistation und melde mich später bei dir“, versprach er und legte auf.
Zuerst wollte er sich noch etwas frisch machen und seine Sachen wechseln. Plötzlich fiel sein Blick auf den Monatskalender, der auf das gestrige Datum gestellt war. Doch nicht von ihm. Der Kalender wurde ausschließlich von Thea geführt, doch sie fehlte seit zwei Tagen im Haus. „Seltsam“, dachte er.
Bevor er darüber weiter