Название | Die letzte gute Tat |
---|---|
Автор произведения | Ralf Peter Paul |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991078951 |
„Florian, wir kennen uns ja vom Fußball. Mein Angebot gilt natürlich auch für dich. Gib mir Bescheid, wenn ich irgendetwas für dich tun kann!“
Behrens war mit seinem Vater und ihm zweimal ins Olympiastadion zu Hertha BSC gegangen. Bei der Gelegenheit erzählte sein Vater ihm, dass Kolla von einfacher Natur wäre und einer der Menschen, die nie mehr besitzen würden, als sie gerade in der Tasche trugen.
„Doch ein treuer Kamerad, der für seine Freunde jede Last und Schuld auf sich nimmt, um zu helfen und anerkannt zu werden. Bei ihm liegen Dummheit und Stärke dicht beieinander. Ein eindimensionaler Mensch.“ Das waren die Worte seines Vaters, die Behrens im Gedächtnis geblieben waren.
„Ich kann mich noch gut an unsere Treffen beim Fußball erinnern, Herr Kollakowski. Wenn etwas Zeit vergangen ist, wird es sicher eine Gelegenheit geben, bei der wir auf Ihr Angebot zurückkommen“, bedankte sich auch Behrens für die angebotene Hilfe. „Sie waren nicht nur der Freund meines Vaters, sondern sind auch unser Freund“, versicherte er Kolla und wandte sich wieder seiner Mutter zu.
Er teilte ihr mit, dass er sich von der Arbeit freigeben lassen werde, um in den nächsten Tagen an ihrer Seite sein zu können.
Behrens arbeitete offiziell als Buchhalter in einer kleinen Reifenfirma. Tatsächlich war er, wie man so sagt, der Mann für alle Fälle. Er kümmerte sich um den Einkauf der Ware, stand gelegentlich hinter dem Verkaufstresen oder wurde, wenn gebraucht, vom Junior-Chef zum Auslieferungsfahrer „umfunktioniert“. Sein Gehalt war bescheiden, so wie er auch.
Nach drei Wochen, in denen Behrens nicht zur Arbeit gegangen war, machte ihm seine Mutter den Vorschlag, eine Auszeit zu nehmen und mit dem Geld, das ihm der Vater vererbt hatte, eine Weile zu ihrem älteren Bruder nach Calpe in Spanien zu gehen.
Ihr Bruder Ferdinand, den dort alle nur Nando nannten, hatte bereits seit vielen Jahren ein Restaurant mit Namen „La comadreja“ gepachtet, welches er selbst betrieb. Auf demselben Grundstück befand sich ein kleines Haus, in dem er auch wohnte. Behrens’ Familie hatte dort schon mehrfach Urlaub gemacht.
Ferdinand war nur vier Jahre älter als Behrens’ Mutter, doch sah man ihm sein Alter, im Gegensatz zu seiner Schwester, deutlich an. Seine Haut war von der Sonne gegerbt, die vormals blonden Haare hatten sich in Weiß verwandelt und mit 172 Zentimeter Größe waren 95 Kilo erkennbar zu viel.
Behrens kannte seinen Onkel nicht nur durch seine Urlaube in Spanien, sondern auch von dessen Besuchen in Deutschland. Ferdinand war Anhänger von Eintracht Frankfurt und hatte ihn schon mehrfach zum Spiel in die Commerzbank-Arena eingeladen. Sie wohnten in einem Vier-Sterne-Hotel im Stadtteil Bockenheim. Ferdinand kam drei bis vier Mal im Jahr, immer wenn die Eintracht ein Sonntags- oder Montagsspiel hatte, und blieb in der Regel bis Dienstagmorgen. Sonntag und Montag waren auch die Ruhetage in seinem Restaurant.
Ferdinand stimmte dem Besuch seines Neffen zu, genauso wie der Junior-Chef dem Wunsch von Behrens, das Arbeitsverhältnis sofort zu beenden.
Calpe
September 2013
Behrens wurde von seinem Onkel am Flughafen Alicante abgeholt und herzlich begrüßt.
„Mein lieber Florian, schön, dass du da bist, auch wenn die Umstände alles andere als erfreulich sind. Es muss eine schwere Zeit für dich sein. Dein Vater war wirklich ein Pfundskerl, den jeder mochte. Jetzt versuch erst einmal, eine Weile abzuschalten, später schauen wir dann weiter! Du wohnst bei mir im Haus. Bleib so lange du willst!
Leider konnte ich nicht zur Beerdigung kommen, ein paar Herren im weißen Kittel hatten etwas dagegen. Wie geht es meiner Schwester?“
„Mama ist eine starke Frau. Sie hat mir gesagt, dass du im Krankenhaus warst. Ist es etwas Ernsthaftes, wenn ich fragen darf?“
„Was soll ich mich beklagen, vom Gastwirt erwarten die Leute, dass er auch trinkt, wozu er eingeladen wird. Ein paar Jahre wird meine Leber noch aushalten müssen“, witzelte Ferdinand.
Behrens befolgte den Rat seines Onkels und versuchte, das schreckliche Ereignis hinter sich zu lassen. Selbst mit seiner Mutter telefonierte er nicht mehr täglich.
Er besuchte bekannte Orte, bummelte durch die schöne Altstadt, bestieg zur Hälfte den „Penon de Ifach“, das Wahrzeichen des Ortes, und landete schließlich im Hafen, wo er den Fischern zusah, wie sie ihren Tagesfang in Kisten von Bord in die große Auktionshalle brachten. Dort warteten bereits die Händler mit ihren Kühlwagen, um das Meeresgetier in die umliegenden Restaurants oder ins Landesinnere zu bringen.
Obwohl Behrens Mitleid mit den sich noch bewegenden Krabbeltieren hatte, bewunderte er die Arbeit der Fischer, die, anders als er, von kräftiger Statur waren und gebräunte Haut besaßen.
Nach einigen Tagen kam bei ihm Langeweile auf und er fragte seinen Onkel, ob er im Restaurant mithelfen könne. Ferdinand nahm die Hilfe gerne an und beorderte Behrens zunächst in die Küche zum Spülen. Nicht immer gab es dort genügend zu tun, dann servierte er den Gästen das Essen an den Tisch.
„La comadreja“ war ein in die Jahre gekommenes Gasthaus mit überwiegend spanischen Spezialitäten. Auf der Speisenkarte konnte man Gazpacho, Paella und Patatas Bravas finden, aber auch Wiener Schnitzel mit Pommes. Das Restaurant lag außerhalb des Zentrums direkt an der Landesstraße 332. Kein typisches Touristenlokal, eher ein Treffpunkt für Einheimische und Menschen, die ihr Heimatland verlassen hatten, um ihre letzten Jahre ohne spürbaren Winter zu verleben.
Manouch
Ein solcher Mensch war Manouch, die mit bürgerlichem Namen Greta Berger hieß. Eine ältere Juwelierswitwe aus der Schweiz, die schon viele Jahre im Rollstuhl saß. Trotz der Decken auf ihren Beinen und dem eleganten Poncho über Schulter und Rücken konnte man eine große, schlanke Figur vermuten. Den Geschichten nach zu urteilen, die sie Bekannten und Freunden erzählte, muss sich ihre Sturm-und-Drang-Zeit in den 80er-Jahren abgespielt haben. Ihr wahres Alter würde sie wahrscheinlich nicht einmal unter Drogen verraten.
Sie kam zwei bis drei Mal in der Woche und wurde immer von ihren Bediensteten begleitet. Meistens waren es ihre Haushälterin Lucia und deren 16-jähriger Sohn Fabio.
Sie bestellte ein Gericht, welches sie nie ganz aufaß. Je mehr sie trank, desto unterhaltsamer wurde sie. Dabei übertönte ihre Stimme die ohnehin sehr lauten Gespräche der Spanier. Sie entschuldigte sich mehrfach am Abend, spendierte Wein und Brandy sowie die letzte Runde vor Lokalschluss.
Eines Abends, als es mal wieder nicht so viel in der Küche zu tun gab, brachte Behrens den Gästen das Essen. Als er an den Tisch von Manouch kam, sprach sie ihn auf Schwyzerdeutsch an: „Ich glaube, ich habe Sie hier noch nie gesehen, sind Sie neu? Verstehen Sie mich überhaupt?“
Bevor Behrens antworten konnte, eilte Nando hinter dem Tresen hervor und sagte: „Das ist Flo, mein Neffe aus Deutschland, der Sohn meiner Schwester. Er hilft mir ein wenig in der Saison aus.“
„Da hast du mir ja die ganze Zeit einen feinen jungen Mann verschwiegen. Sind Sie das erste Mal in Calpe, Flo?“, fragte Manouch interessiert und schaute dabei mit einem Lächeln im Gesicht an Behrens hoch.
„Meine Freunde nennen mich Max, bitte. Nein, ich war schon einige Male im Urlaub hier“, gab Behrens artig zur Antwort.
„Dann will ich dich jetzt auch Max nennen. Bitte bring mir noch einen Vino tinto; für Lucia und Fabio ein Wasser sin gas und eine Cola light.“
Sichtlich verärgert ging Behrens zu Nando, der inzwischen wieder hinter dem Tresen stand.
„Onkel, ich möchte dich nochmals bitten, mich vor anderen nicht Flo zu nennen. Du weißt, dass ich diese Abkürzung schon in der Schule nicht mochte.“
Nando hörte gelassen zu, füllte die Gläser und brummte leise: „Bueno und nun bring die Bestellung an den Tisch, Florian.“
In den nächsten zwei Wochen wiederholte sich dieser Ablauf noch einige Male: Manouch