Die letzte gute Tat. Ralf Peter Paul

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Название Die letzte gute Tat
Автор произведения Ralf Peter Paul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991078951



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      „Wir haben aktuell keine weiteren Fragen mehr an Sie. Wir bitten jedoch um Ihre Zustimmung, Ihnen Blut abnehmen zu dürfen und eine DNA-Probe und ein Foto von Ihnen zu machen. Ist das ein Problem für Sie, Herr Behrens?“, fragte der Kommissar mit bissigem Unterton.

      Behrens war in sich versunken und wehrte sich nicht mehr. Seine Gedanken und Befürchtungen waren bei seiner Verlobten.

      „Bitte folgen Sie meiner Kollegin ins Labor und verlassen Sie in den nächsten 48 Stunden nicht die Stadt. Wir melden uns zeitnah bei Ihnen. Die Kollegen, die Sie abgeholt haben, fahren Sie auch wieder nach Hause“, verabschiedete sich Spies von Behrens.

      Die angekündigten Handlungen im Labor wurden zügig durchgeführt. Eine halbe Stunde später saß Behrens wieder in dem Polizeiwagen mit denselben beiden Beamten auf dem Weg nach Hause.

      Er war sich nicht im Klaren darüber, was ihn mehr beunruhigte, das Verschwinden von Thea oder die anzüglichen Bemerkungen des Kommissars.

      „Glaubt der tatsächlich, dass ich etwas mit der Entführung zu tun habe? Und warum hat er kein Team mit nach Hause geschickt, um den nächsten Anruf abzufangen; so macht man das doch wohl?“, hinterfragte Behrens die Handlungsweise des Kommissars.

      Im Kommissariat besprachen sich Spies und seine Kollegin Susemihl.

      „Wie war er im Labor? Was halten Sie von seiner Geschichte?“, wandte sich Spies an seine Kollegin.

      Susemihl, Ende 20, eine mittelgroße Frau ohne sichtbare weibliche Konturen, war zum Abschluss der Polizeischule Jahrgangsbeste gewesen und die jüngste Kommissarin in Mecklenburg-Vorpommern. Sie war mit ihren Eltern als Vierjährige aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Ihre kinderlose Ehe mit einem Polizisten aus Graal-Müritz hielt nur neun Monate. Spies und sie arbeiteten erst seit Juni diesen Jahres zusammen.

      „Er wirkte verunsichert, doch nicht mehr als andere, denen man in diesem kalten, weißen Raum Blut abzapft. Irgendwie passt die Story zu ihm“, antwortete Susemihl.

      „Was meinen Sie damit: passt zu ihm?“, interessierte sich Spies.

      „Ich meine, man soll ja kleine Männer nicht unterschätzen, doch seine genaue Beschreibung der Vorfälle deutet auf eine gewisse Buchhaltermentalität.“

      Spies fiel seiner Kollegin ins Wort.

      „Ja, gerade diese Buchhalter! Haben Sie noch nie von den besonders ehrgeizigen kleinen Männern gehört?

      Die Weltgeschichte ist voll davon, Napoleon, Sarkozy, Berlusconi und so weiter. Oder spielen Sie mal Fußball gegen so einen kleinen Zwerg von Linksverteidiger: Sie glauben, Sie haben ihn umspielt, da steht er schon wieder vor Ihnen. So sind die!“

      „Herr Spies, unser kleiner Mann spielt höchstens Canasta. Ich glaube ihm grundsätzlich“, entgegnete Susemihl.

      In diesem Moment klingelte das Telefon, Spies nahm den Hörer ab, hörte kurz zu, legte wieder auf und triumphierte.

      „Ich hab’s doch gewusst. Es ist dasselbe Blut; kommen Sie mit ins Labor.“

      Thea und Behrens’ Mutter

      Die Beamten setzten Behrens vor seinem Haus ab. Er ging hinein und rief seine Mutter an.

      „Hallo Mama, ich war auf der Polizeistation und habe dort alles über die Entführung erzählt. Sie haben auch den Wagen gefunden und mir komische Fragen gestellt. Ich glaube, der Kommissar misstraut mir.“

      „Was meinst du mit komischen Fragen?“

      „Ich weiß auch nicht, nur so ein Gefühl. Wovon ich lebe, wollten sie wissen und Blut haben sie mir abgenommen“, berichtete Behrens.

      „Wovon du lebst? Dann sagst du, von dem Erbe deines Vaters, Punkt! Und außerdem geht das die Polizei gar nichts an. Die sollen gefälligst ihre Arbeit machen, die Entführer finden und dein Geld zurückbringen“, empörte sie sich.

      Stille am Telefon.

      „Dass dir kein Wort über Spanien und Manouch herausrutscht. Willst du zu mir nach Berlin kommen?“

      „Nein Mama, ich soll die Stadt vorerst nicht verlassen, und ich könnte jetzt auch nicht hier weg. Was ist, wenn sich die Entführer wieder melden oder Thea plötzlich vor der Tür steht und ich bin nicht da …“ Behrens kämpfte gegen seine Traurigkeit an und war den Tränen nahe.

      Seine Mutter nahm die Stimmungslage ihres Sohnes wahr.

      „Ist gut. mein Junge, das verstehe ich. Hätte ich sie doch bloß besser kennengelernt, deine Thea. Dein Vater und ich konnten auch keine zwei Tage voneinander getrennt sein. Ruf mich an, wenn es etwas Neues gibt oder wann immer du willst!“, waren ihre tröstenden Worte. bevor sie auflegte.

      Merkwürdig, das war Behrens vollkommen aus dem Kopf: Thea und seine Mutter hatten sich bisher nur einmal gesehen, als er sie mit nach Berlin nahm, um sie ihr vorzustellen. Es war ein Tagesausflug ohne Übernachtung.

      Er erinnerte sich noch gut an das Treffen, weil es zwischen den beiden Frauen nicht so harmonisch ablief, wie es sich Behrens erhofft hatte.

      Seine Mutter hatte Thea nach ihren Familienverhältnissen befragt. Sie erzählte, dass ihre Eltern bereits tot seien, sie keine Geschwister habe und nur noch Kontakt zu einer Cousine in Bremen halte.

      Daraufhin berichtete Behrens’ Mutter von ihrer Freundin in Bremen, die sie zweimal im Jahr besuchte, und erkundigte sich nach dem Stadtteil, in dem Theas Cousine wohnte. Es schien, als wollte Thea darüber nicht gerne Auskunft geben.

      „In der Innenstadt, in Bahnhofsnähe“, war Theas knappe Antwort.

      Mutter Behrens ließ sich jedoch nicht beirren und unterbrach Thea. Dabei strahlte sie sie in der Art an, so wie es nur Frauen fertigbringen, wenn sie nicht miteinander können.

      „Dann werden wir uns sicher in Bremen treffen, wenn wir wollen. Meine Freundin wohnt in der Breite Straße 8. Das ist nur ein Steinwurf vom Bahnhof entfernt und in welcher Straße, sagten Sie, wohnt Ihre Cousine?“, bohrte sie verschmitzt nach.

      Thea war sichtlich genervt, wollte aber beim ersten Zusammentreffen nicht allzu unhöflich sein, zumal sie um das besondere Verhältnis zwischen Sohn und Mutter wusste.

      „Frau Menzel“, Behrens’ Mutter hatte acht Monate nach dem Tod ihres Mannes wieder ihren Mädchennamen angenommen, „ich bin im Merken von Namen, insbesondere Straßennamen, wirklich nicht gut. Wenn es für Sie doch so wichtig ist, dann schaue ich zu Hause in meinem Adressbuch nach und rufe Sie an.“

      Behrens’ Mutter hatte den kleinen Seitenhieb verstanden und begnügte sich von diesem Moment an mit den üblichen Oberflächlichkeiten wie dem Wetter in Kühlungsborn und der Frage, was die beiden Jungverliebten wohl den ganzen Tag so trieben. Den Nachmittag verbrachten noch alle drei bei Kaffee und Kuchen zusammen und bemühten sich, keine weiteren Reizthemen aufkommen zu lassen. Noch bevor es dunkel wurde, machten sich Behrens und Thea wieder auf den Heimweg nach Kühlungsborn. Auf der Rückfahrt verspürten beide aus ganz unterschiedlichen Gründen ein mulmiges Gefühl. Sie vermieden es, das Treffen in irgendeiner Weise zu kommentieren und schwiegen die meiste Zeit.

      In den darauffolgenden Monaten gab es immer wieder Anläufe für ein weiteres Treffen der beiden Frauen, aber entweder Thea konnte/wollte nicht mit nach Berlin fahren oder Behrens’ Mutter war zu Zeiten in Kühlungsborn, in denen Thea sich bei ihrer Cousine in Bremen aufhielt.

      Liesbeth

      Freitag, 15. November 2019

      Eine Zeit lang sinnierte Behrens noch im Wohnzimmer vor sich hin, bis ihm die Idee kam, die Freundin aus der Boutique zu besuchen, um diese noch einmal persönlich nach Thea zu befragen.

      Der Laden befand sich in einer Seitenstraße, circa 70 Meter abseits der Hauptgeschäftsstraße, die direkt zur Seebrücke führte. Es war gerade einmal eine 1b-Lage, in die sich selbst in der Saison nur wenig Laufkundschaft verirrte.

      Kein