Melea. Alexandra Welbhoff

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Название Melea
Автор произведения Alexandra Welbhoff
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783903861749



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befähigt, den Rat von einem Bündnis zu überzeugen!“

      Lea schüttelte heftig den Kopf.

      „Ausgerechnet ich soll die Herrscher von einem Bündnis überzeugen, und dann auch noch Torgulas? Ihr seid wirklich verrückt geworden! Wie soll ich das denn anstellen? Ich bin nur eine Fischerstochter! Und dann dieser Mann vorhin. Du sagst, er habe etwas mit meiner Zukunft zu tun. Jetzt mal ganz ehrlich! Ich habe nicht den Drang, ihm nochmal zu begegnen. Der hat mich in dem Traum fast erwürgt. Und dass du mich in deiner zweiten Vision nicht gesehen hast, könnte auch den Schluss zulassen, dass es ihm beim nächsten Mal gelingt.“

      Respa und Mo sahen sich vielsagend an.

      „Wir können nur darüber spekulieren, was es mit ihm auf sich hat. Aber eines ist sicher: Du wirst mit ihm zusammentreffen. Und es war kein Traum, Lea, du warst tatsächlich dort. Zwar nicht körperlich, aber er hat dir trotzdem schaden können. Sieh dir deinen Hals an, auf dem Tisch liegt ein Spiegel“, sagte Respa. Unwillkürlich hob Lea ihre Hände an den Hals und verspürte sofort Schmerzen, die sie bislang erfolgreich verdrängt hatte. Dennoch stand sie auf, schnappte sich den Spiegel und starrte auf die geröteten Fingerabdrücke, die ihren Hals zierten.

      „Ich brauche frische Luft“, keuchte sie.

      Der Spiegel entglitt ihrer zittrigen Hand und polterte zu Boden. Dann verließ sie fluchtartig die Kajüte und rannte die Stufen zum Deck hinauf.

      Mo sah nachdenklich zur Tür.

      „Ich befürchte, das wird alles zu viel für sie. Lea versucht, das Erlebte zu verdrängen, was auch kein Wunder ist. Wir hätten sie viel früher einbeziehen müssen. Dies alles an einem Tag zu erfahren, und dann auch noch ihre Erlebnisse. Und da spreche ich nicht nur von der Flucht. Lea kam schon völlig aufgelöst zu mir, bevor der Sturm losbrach. Dem Hai begegnete sie heute Abend nicht zum ersten Mal.“

      Seufzend schüttelte er den Kopf, bis Respa sprach.

      „Ja, und dabei weiß sie noch nicht einmal alles. Und ich denke, das ist auch besser so. Es ist noch zu früh! Wir müssen warten, bis sich weitere Attribute zeigen.“

      „Sehe ich auch so. Derzeit hat sie genug zu verarbeiten.“

      „Stimmt es, dass Rion sie geschlagen hat?“

      „Ja, aber es ist nicht wie du denkst. Es war Sorge, die ihn dazu verleitet hat“, sagte Mo.

      Respa ergriff sein Handgelenk.

      „Zu ihrem Wohl sollten wir versuchen, miteinander zu arbeiten. Wir müssen sie beschützen, auch vor ihrem besorgten Vater.“

      Mo nickte überrascht, denn bisher waren Respa und er stets uneinig gewesen, was Melea betraf. Dennoch war er gespannt auf die Zusammenarbeit mit der Hexe.

      „Zunächst sollten wir uns über unsere Visionen austauschen. Sie ähneln sich zwar, aber ich möchte ausschließen, dass wir etwas übersehen oder sogar falsch deuten“, meinte Respa.

      Mo ging zur Tür und schloss diese.

      „Also gut, Respa. Aber zuvor sollte ich dir vom Untergang meiner Heimat berichten.“

      „Was hat das mit Melea zu tun?“

      „Deine Visionen handeln nicht nur von ihr, sondern auch von einem feindlichen Heer, das sich erhebt. Einem Heer, wie man es in unserer Welt noch nie gesehen hat. Nicht wahr?“

      Die Alte nickte nur, woraufhin Mowanye den Stuhl heranzog und sich vor sie setzte.

      „Diese Kreaturen sind bereits seit etlichen Jahresumläufen in der bekannten Welt. Sie haben meine Heimat überrannt, und ich überlebte als Einziger.“

      „Was sagst du da?“

      „Es begann in meiner Heimat, einer kleinen Inselgruppe weit im Süden. Mein Volk lebte auf der größten Insel, wir nannten sie Ruls. In der Mitte der Insel erhob sich ein großer Berg, der ab und an Feuer spie. Und wenn dies geschah, flüchteten wir auf eine der drei kleineren Inseln, die Ruls umgaben. Denn mit den glühenden Feuerströmen kamen auch andere Gefahren, aber dazu später mehr.“

      „Was interessieren mich die Gefahren eines Vulkans? Wir haben wahrlich andere Probleme.“

      „Sie werden dich garantiert interessieren, weil Melea einen meiner Feuerahnen in sich trägt und ich in einer Vision sah, dass ich ihr etwas geben muss.“

      „Einen was?“

      Mo seufzte anhaltend.

      „Unterbrich mich nicht ständig, und du wirst es heute noch erfahren. Ansonsten sitzen wir wahrscheinlich morgen noch hier.“

      „Dann rede nicht um den heißen Brei herum“, maulte sie.

      „Unser Dorf befand sich in der Nähe eines langen Sandstrandes. Ich war damals etwa so alt wie Melea heute. Alles nahm seinen Anfang mit einem aufziehenden Unwetter und seltsamen Lichtspiegelungen im Meer.

      Unser Oberhaupt rief die Schamanen und Ältesten der Insel zusammen, um ein Ahnenritual durchzuführen. Ich war ebenfalls dort, denn ich war bei einem Schamanen in der Ausbildung.“

      „Oh je, die Arbeit hätte er sich sparen können.“

      Mo räusperte sich ungehalten, sprach aber weiter.

      „Unser Dorf besaß vier Schamanen, und jeder von ihnen stand für ein Element: Wasser, Luft, Erde und Feuer. Höchst selten beherrschte ein Schamane zwei Elemente, und noch nie kam es vor, dass jemand drei oder vier in sich vereinen konnte. Da ich ein Schüler war, durfte ich nur beobachten. Mein Element war das Feuer, und so hatte sich mein Augenmerk vorerst auf den Feuerschamanen gerichtet. Aber ich spürte auch eine Verbundenheit zu den anderen Elementen, daher schaute ich auch den übrigen Schamanen über die Schultern.

      Wenn alle Elemente gerufen wurden, führten wir die Rituale am Strand aus.

      Das Ahnenritual war etwas Besonderes und wurde nicht sehr oft durchgeführt. Die Schamanen riefen dabei die Seelen unserer Verstorbenen und baten sie um Hilfe.“

      „Was hat das mit den Elementen zu tun?“

      „Wir glauben, dass nach dem Tod unsere Seele in einem dieser Elemente wartet, bis sie schließlich wiedergeboren wird.“

      „Die Geister, welche ich rufe, um Visionen zu erhalten, haben absolut nichts mit den Elementen zu tun. Und sie sind ebenfalls Ahnen von irgendwem.“

      Mo blickte sie erbost an, worauf Respa genervt die Augen verdrehte.

      „Ist ja gut, rede weiter. Was geschah während des Rituals?“

      „Die Schamanen nahmen ihre Plätze ein und setzten sich Rücken an Rücken und mit untergeschlagenen Beinen in den Sand. Einer saß direkt an der Wasserlinie zum Meer, der dahinter an einem Lagerfeuer. Der Erdschamane grub seine Hände in den Sand, und der dahinter Sitzende hielt seine Hände in die Höhe. Sie flüsterten ihre Beschwörungen, und ich umkreiste sie langsam, weil ich nichts verpassen wollte.

      Zur Abenddämmerung hin wurde der Sturm immer heftiger, und Regen setzte ein. Und in dem Moment zeigten sich die ersten Ahnen. Sie umkreisten den jeweiligen Schamanen, und es wurden stetig mehr. Die Luftelementare, bestehend aus dichtem, waberndem Nebel, schwebten um den Kopf des Schamanen. Um den Erdschamanen erhoben sich ebenfalls die Ahnen, groß wie eine Faust. Ihre tropfenförmigen Körper bestanden aus Sand, und sie bildeten Gliedmaßen aus, um am Schamanen emporzuklettern. Die Wasserelementare flossen an den Armen ihres Schamanen hinauf, bis auch sie sich zu Tropfen formten. Sie vereinnahmten seinen Oberköper, Hals und Kopf. Tja, und die Feuerahnen haben eine rundliche Form. Auch sie umkreisten ihren Schamanen, so wie die Luftelementare. Alles verlief völlig normal, bis ganz plötzlich sämtliche Ahnen zum Stillstand kamen. Und anstatt sich den jeweiligen Schamanen zu öffnen, scharten sie sich alle um eine andere Person.“

      „Um dich“, hakte Respa nach, da er nicht weitersprach.

      „Die Wasser- und Erdelementare krochen an mir empor, und die Feuer- und Luftelementare umkreisten mich, wobei sie immer schneller wurden.