Licht und Schatten – der Alltag eines Krankenhausarztes. Gerd Sodtke

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Название Licht und Schatten – der Alltag eines Krankenhausarztes
Автор произведения Gerd Sodtke
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076544



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sich, um sich keinen Ärger einzuhandeln. Über das aktuelle Stimmungsbarometer des Chefarztes waren wir aber stets zuverlässig informiert, ein nicht zu unterschätzender Vorteil besonders vor einer angekündigten Chefarztvisite. Ihre eigentlichen Pflichtaufgaben als Chefsekretärin erledigte sie im Handumdrehen, ihre flinken Finger flogen in einer schwindelerregenden Geschwindigkeit über die Tastatur des Computers. Ich hegte schon den ernsthaften Verdacht, dass sie sich dieses rasante Arbeitstempo nur angeeignet hatte, um genügend Zeit für ihr Hauptinteresse, nämlich den gepflegten Informationsaustausch, zu finden. Oftmals begann sie ihre Vorträge mit den bedeutsamen Worten „Stellen Sie sich nur vor …“ oder „Haben Sie schon gehört …?“, worauf postwendend ein ausführlicher Bericht über die letzte Neuigkeit folgte.

      An diesem Morgen rief sie mir also bereits von Weitem auf dem Stationsflur entgegen: „Haben Sie heute schon die Zeitung gelesen? Schauen Sie mal, was ich gefunden habe, Herr Doktor!“ Sie tippte mit der Spitze ihres rechten Zeigefingers auf eine Zeitungsannonce, die klein gedruckt, aber schwarz umrandet war. Ich beugte mich interessiert über die Zeitung, in der schwarz auf weiß geschrieben stand: „Herzlichen Dank sage ich meinen Lieben zu Hause, meinen Verwandten und Freunden nah und fern, die während meines langen Krankenhausaufenthaltes an mich dachten. Danken möchte ich auch Dr. Sodtke und den Schwestern der Station IC und Dr. S. wie der gesamten 1. Med. Abt. der Uniklinik Düsseldorf.“ – Unterschrift meiner Patientin. Diese öffentliche Danksagung war insofern mehr als erstaunlich, als wir durch das Versagen unserer Blutkulturen rein gar nichts zu der eigentlichen Diagnosefindung hatten beitragen können. Wir hatten lediglich die wiederkehrenden Lungenentzündungen behandelt, ohne aber die Ursache dafür zu finden.

      Nur wenige Tage nach dem Erscheinen dieser Annonce rief sie mich an, und ich erfuhr das vorläufige Ende ihrer ungewöhnlichen Leidensgeschichte. Als Ursprung ihrer wiederholten Blutvergiftungen hatte man die Sonde des Herzschrittmachers identifiziert, von dort aus waren die Bakterien (Streptokokken) immer wieder in ihr Blut gelangt. Die Sondenspitze ihres Herzschrittmachers lag korrekt am Boden der Herzkammer, war dort mit einem winzigen Drahthäkchen im Herzmuskel verankert worden und im Laufe der Jahre wohl vollständig in den Muskel eingewachsen. So musste die Sonde unter dem Schlüsselbein, wo sie an die Schrittmacherbatterie unter der Haut angeschlossen war, freigelegt und mit Gewichten ein dauerhafter Zug ausgeübt werden, damit sich die Sondenspitze lockerte. Es war ein sehr schmerzhaftes Verfahren, das wohl mehrere Tage gedauert hatte, wie sie berichtete. Während dieser Zeit hatte man sie mit starken Schmerzmitteln versorgt. Schließlich hatte man die Sonde entfernen können und eine neue Schrittmachersonde gelegt. Durch die Bakterien habe sie auch eine Herzmuskelentzündung bekommen. Während der mehr als zweimonatigen Behandlung in der Uniklinik habe sie dauerhaft Antibiotika bekommen. Seitdem seien keine weiteren Fieberschübe mehr aufgetreten. Ich erklärte ihr noch einmal mein aufrichtiges Bedauern über unsere unergiebigen Blutkulturen und wünschte ihr von ganzem Herzen gute Besserung.

      Fünf Jahre nach diesen Ereignissen trat ich in einer kleinen, aufstrebenden Stadt in der Nähe meine erste Oberarztstelle auf der Inneren Abteilung des dortigen Krankenhauses an. Gemeinsam mit dem bisherigen Oberarzt, der die Chefarztstelle übernommen hatte, wurde ich der Lokalpresse vorgestellt. Bereits am nächsten Tag erschien ein ausführlicher Zeitungsbericht mit entsprechenden Fotos.

      Wenige Tage später wurde ich durch den Pförtner über Funk ans Telefon gerufen. Eine Frauenstimme nannte ihren Namen. Ich wusste sofort, wer sie war, wenn auch inzwischen fünf lange Jahre nach unserer Begegnung vergangen waren. Sie war meine ehemalige Patientin mit der infizierten Herzschrittmachersonde. Es ging ihr wohl den Umständen entsprechend gut, wie sie erzählte. Sie hatte mit Freude den Bericht in der Zeitung gelesen und wünschte mir viel Erfolg und Glück in meiner neuen Position als Oberarzt.

      Sie hatte mich mit ihrem Anruf nach dem langen Zeitraum seit ihrer damaligen Verlegung in die Uniklinik vollkommen überrascht. Selten habe ich mich mehr über ein Zeichen der Dankbarkeit gefreut, das sie mir auf ihre ruhige und stille Weise für die damalige Behandlung und Begleitung vermittelt hat.

      Dankbarkeit als Erinnerung des Herzens.

      9 Der Neubeginn

      Im letzten Jahr der Tätigkeit an meiner alten Wirkungsstätte hatte ich, zunächst zusammen mit einer Kollegin, die Magenspiegelung (Gastroskopie) eingeführt, und dies in Konkurrenz mit dem alten Chefarzt, der unbeirrt an der Röntgenuntersuchung des Magens mit Kontrastmittel festhielt. Bald wurde aber deutlich, welche ungeheuren Chancen in dieser neuen Untersuchungsmethode lagen, ließen sich doch im Gegensatz zur Röntgenuntersuchung kleinste Magengeschwüre und -tumoren im Anfangsstadium erkennen und durch Entnahme von Gewebeproben beweisen. Seitdem nahm die Endoskopie, das Hineinschauen in innere Hohlräume, eine rasante Entwicklung.

      Anschließend absolvierte ich gemäß der Ausbildungsordnung zum Internisten ein Jahr in einer großen Röntgenklinik in der Nachbarstadt, zunächst mit eingeschränkter Motivation, ich wollte schließlich kein Radiologe werden. In späteren Jahren sollten mir die dort erworbenen Kenntnisse aber noch sehr nützlich sein. Vor allen Dingen verfügte diese Klinik neben einem Computertomografen auch über ein gutes Ultraschallgerät. So konnte ich bei Patienten mit einem krankhaften Befund in der Computertomografie die Diagnose mittels Ultraschall studieren und nachvollziehen. Es wurden Hunderte von Untersuchungen, die ich vorzugsweise nach dem Dienstende durchführte. So brachte ich mir die Untersuchungstechnik mit Ultraschall zum großen Teil selbst bei. Die neuen Untersuchungsverfahren wie Endoskopie und Sonografie hatten mein Interesse für Erkrankungen des Bauchraums geweckt.

      Nun betrat ich also meinen neuen Arbeitsplatz am Großklinikum der Stadt, das fast dreimal so groß wie das ehemalige Krankenhaus war, und dort die internistische Fachabteilung für Gastroenterologie, die für Magen- und Darmkrankheiten zuständig ist. Daneben gab es zwei weitere internistische Kliniken, die Kardiologie und die Nephrologie (Herz- und Nierenkrankheiten). Das Hauptgebäude war ein weithin sichtbarer Hochhausturm mit mindestens acht Etagen, mit angegrauter Betonfassade, vielleicht in den 60er-Jahren errichtet. Die überdimensional hohe Eingangshalle erinnerte mich an die unpersönliche Atmosphäre einer Bahnhofshalle und sollte zu einem späteren Zeitpunkt noch traurige Berühmtheit erlangen.

      Die drei internistischen Abteilungen verfügten zusammen über eine bunte Mischung aus insgesamt etwa 30 Assistenzärzten. Ich traf sehr nette Kollegen, die mich mit offenen Armen aufnahmen, und mit denen man vertrauensvoll und freundschaftlich zusammenarbeiten konnte. Andere verhielten sich zunächst eher neutral und wollten den neuen Kollegen erst einmal abwartend beäugen. Dann aber gab es auch die kleine Fraktion der hochnäsigen Kollegen, die fast schon mitleidig auf mich herabschauten und ein gequältes Lächeln aufsetzten, sobald sie erfuhren, dass ich lediglich aus dem mittelgroßen Krankenhaus der Stadt kam. Mit dieser eher speziellen Willkommenskultur hatte ich auf gar keinen Fall gerechnet, zumal ich schon einige Jahre länger im Krankenhaus arbeitete als viele meiner neuen Kollegen. Zudem war ich in eine Art Ellenbogengesellschaft geraten, in der je­der Assistenzarzt um bestimmte Untersuchungen kämpfte, die ihn in seiner persönlichen Ausbil­dung zum Facharzt weiterbrachten. Der Konkurrenzdruck war hoch. Nicht so ganz selten aber hörte ich gerade von den überheblichen Kollegen große Worte mit wenig Substanz dahinter.

      Ausgerechnet von demjenigen Assistenzarzt mit dem größten Mundwerk, den man recht treffend als Windhund oder Hans Dampf in allen Gassen bezeichnen konnte, fiel mir im Ultraschallraum ein Patient in die Hände. Diesen Patienten betreute der Kollege auf seiner Station selbst, und er hatte die Ultraschalluntersuchung vor einigen Tagen schon einmal durchgeführt. Dabei hatte er keinen wesentlichen krankhaften Befund feststellen können. Nun sollte daher eine Kontrolle erfolgen, die Fragestellung auf dem Anforderungsschein für die Untersuchung lautete wie bereits bei der Voruntersuchung „Unklare Oberbauchschmerzen“.

      Als sich der Patient auf die Liege in dem abgedunkelten Ultraschallraum legte, bemerkte ich schon seinen eher unglücklichen Gesichtsausdruck: Dieser Mann hatte erstens noch weiterhin Beschwerden, er spürte zweitens, dass er ernsthaft krank war, und er machte sich drittens Sorgen um das Ergebnis der Untersuchungen. Seine Schmerzen konnte er recht genau etwas seitlich im linken Oberbauch lokalisieren, wenngleich diese Region relativ selten bei Bauchschmerzen angegeben wird. Bei der bereits durchgeführten Magenspiegelung hatte man keine Ursache für die Beschwerden