Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens. Josef Frey

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Название Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens
Автор произведения Josef Frey
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076483



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von den Eindrücken verlasse ich das Gebäude und gehe im strömenden Regen weiter. Ein Mann, mit dem Hund beim Gassigehen, erfüllt mir die Bitte, ein Foto von mir in meinem signalroten Regenponcho zu machen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich die Regenausrüstung den ganzen Tag benötigen werde. Gedankenverloren gehe ich meinen Weg, singe Lieder aus dem letzten Jahrtausend wie z. B. „Regentropfen, die an mein Fenster klopfen …“, „I’m singing in the rain“ und freue mich über das Hier und Jetzt. Das Leben ist schön, man muss es nur annehmen. Das kann man sogar bei Regen, wenn man will.

      Um die Mittagszeit komme ich nach Wattenwil. An ein Rucksackvesper ist bei dieser Wetterlage nicht zu denken, umso mehr wächst in mir immer mehr der Wunsch nach einer warmen Suppe. Eine Bouillon mit Ei ist der Wunschtraum, welcher sich in meinem Kopf festzurrt. Und tatsächlich finde ich in Wattenwil eine Gaststätte, welche mir meinen Wunsch erfüllt, und ein heißer schwarzer Tee erhöht mein Wohlbefinden zusätzlich. Beim anschließenden Besuch der Kirche bekomme ich dann auch noch einen Pilgerstempel.

      Auf dem Weg überlege ich mir, ob ich meine geplante Etappe verkürze oder gar verlängere. Ich mache den Umständen entsprechend kaum Pausen, so bin ich ganz gut in der Zeit. Ich muss nur aufpassen, unter dem Poncho nicht zu sehr zu schwitzen, damit ich mir keine Erkältung einfange. Es wird nämlich unangenehm kalt, um nicht auf Schwäbisch zu sagen: Es ist saukalt …

      Rueggisberg

      Ich entscheide mich für Rueggisberg als Etappenort. Da gibt es eine Gastwirtschaft, und somit dürften sowohl Schlafstätte als auch Verpflegung gesichert sein. Der Weg führt stetig leicht bergauf, und ich erreiche Rueggisberg auf knapp 1000 Höhenmetern kurz vor der Schneefallgrenze zwischen Mittags- und Kaffeezeit. Im Ort, gleich neben der Kirche, befindet sich der Gasthof „Bären“. Doch was sehen meine Augen? Auf der Tafel vor der Türe steht geschrieben: „Sonntag ab 14.30 Uhr geschlossen“ und „Montag Ruhetag“, und jetzt ist es Sonntag und gleich 15.00 Uhr. Was tun??? Ich denke, vielleicht sind noch Gäste drin, dann bekomme ich wenigstens einen Kaffee und eine kurze Pause im Trockenen.

      Mit diesem Ansinnen betrete ich die ländliche, gemütliche kleine Gaststube und frage höflich, ob ich noch was bekommen könnte. Das Servierfräulein und die sympathische junge Wirtin heißen mich willkommen und bieten mir gleich einen Tisch an. Ich bekomme einen wunderbaren üppigen Salatteller und ein überbackenes großes Toastbrot. Dazu erst ein Tässchen Kaffee und dann ein Glas Bier. Eine warme Stube und ein Zimmer für die Nacht gibt es als Zugabe auch noch dazu. Pilger Sepp, was willst du mehr? Richtig, mehr braucht es nicht. Ich bin wunschlos glücklich.

      Aufs Zimmer nehme ich mir noch eine Flasche Bier für den Abend mit und nutze die Zeit, Poncho, Schuhe etc. zu trocknen und auch zum Wäschewaschen. Hier kann ich alles gut zum Trocknen aufhängen, und so hab ich morgen wieder eine komplette Ausrüstung zur Verfügung.

      Nach getaner Arbeit gehe ich dann noch hinüber in die Kirche zu einer kleinen besinnlichen Einkehr. Es regnet leicht, aber der Regen ist immer noch mit Schnee vermischt. So beeile ich mich, dass ich ganz schnell wieder in meine warme Stube zurückkomme. Mangels Alternativen bin ich sehr früh im Bett, studiere noch etwas die nächste Etappe in meinem Reiseführer und halte via Internet Kontakt nach Hause. Meine Bilder, die ich zwischendurch an die Familie und an Freunde schicke, finden offensichtlich Gefallen.

      23. Pilgertag, Montag, 02.05.2016

      Rueggisberg–Tafers/Menziswil: 30 km, Gesamt: 477 km

      Bereits um 07.00 Uhr stehe ich auf. Frühstück gibt es im Gasthof wegen des Ruhetags nicht. Aber nebenan im Dorfladen haben sie reiche Auswahl für ein gutes Frühstück. Auch ein kleiner Tisch lädt zum Verweilen ein. Da lass ich mich nieder, trinke genüsslich Kaffee und esse zwei belegte Semmel dazu.

      Die Wirtin macht ihre Einkäufe und begrüßt mich freundlich. Wir haben ein kurzes Gespräch miteinander. Offensichtlich kann sie es mit der Inhaberin nicht so gut. Da ist irgendein Störfeuer im Raum. Und dabei denkt man immer, in so einer Umgebung ist die Welt mit sich und dem Herrgott im Reinen.

      Ich beginne meine heutige Etappe und schaue runter ins Tal. Dieses ist ganz wolkenverhangen. Man kann deutlich sehen, wie sich die Wolken im Tal festgezurrt haben. Mal schauen, wie sich das heute noch entwickelt. Im Moment ist es Gott sei Dank wieder trocken, aber kalt, sehr kalt, bitterkalt … ich sage jetzt nicht auf gut Schwäbisch: „arschkalt“… Aber auch wenn ich es nicht sage, trotzdem friere und zittere ich bitterlich …

      Klostermuseum Rueggisberg

      Nach dem Ortsausgang komme ich gleich an den Überresten des ehemaligen Klosters (Cluniazenser Kloster, gegründet 1076, aufgehoben 1484/1485) vorbei. Ein dort befindliches kleines Klostermuseum gibt Aufschluss, dass hier in der Blüte des mittelalterlichen Pilgertums diese in Barmherzigkeit aufgenommen, ihnen in Sorgfalt die Füße gewaschen wurden, und als Wegzehrung bekamen sie noch einen Dinar (ca. 3 Franken). Wenn man diese Auszüge der alten Klosterordnung liest, dann könnte man fast neidisch werden, dass man nicht schon 800 Jahre früher hier angekommen ist.

      Es geht bergab, vorbei an einer Weide mit Lamas und Kamelen. Die hab ich hier am wenigsten erwartet. Es ist trocken, aber immer noch erbärmlich kalt. Vorbei an mehreren Weilern und kleinen Ortschaften geht es auf und ab in Richtung Schwarzenburg. Zwischenzeitlich muss ich auch immer wieder die Regenausrüstung bemühen. Mein Regenponcho ist derzeit ein sehr gefragter Ausrüstungsgegenstand.

      Ich freue mich, als ich in Schwarzenburg eine nette Gastwirtschaft finde, welche mir meine Bouillon mit Ei und eine Tasse schwarzen Tee serviert. Das wird momentan zum Mittagshit der Saison. Warm, flüssig, nahrhaft, leicht verdaulich und angenehm im Geschmack.

      Vor Heitenried geht es auf einem alten Römerweg steil nach oben. Diese Wege mögen zwar historisch sehr interessant sein, für einen Pilger sind sie wegen des steinigen Belages einfach unbequem zu gehen und bei Nässe, davon gibt es heute sehr viel, gefährlich rutschig. Aber zum Dank, dass nichts passiert ist, steht gleich oben eine kleine Kapelle, in welcher man eine Dankeskerze anzünden kann. Hier zünde ich gleich zwei an.

      Eine ist für einen Freund und seine Familie. Ich hab ihm das versprochen und denke, dass hier ein guter Platz dafür ist. Es istzwar eine Jakobuskapelle, aber an der Wand hängt der Text eines Pilgerliedes, welcher auf die Melodie eines bekannten Marien-Wallfahrtsliedes gemacht wurde, welches wir in unserer Heimat schon oft zusammen musiziert haben. Immer wieder sehe ich auf den Naturpfaden Spuren von Wanderschuhen. Immer das gleiche Profil der Sohle und immer nur eine Person. Und die Abdrücke sind immer ganz frisch. Sehen tue ich aber niemanden. Na ja, ich bin der Pilger Sepp und nicht Winnetou. Deshalb sind meine Kompetenzen im Spurenlesen sicherlich sehr überschaubar.

      Römerweg

      In Heitenried komme ich gegen 13.00 Uhr an der Pilgerherberge vorbei. Es ist eigentlich schade, aber um diese Zeit ist es einfach noch zu früh, Quartier zu machen. Es gilt der Pilgerruf: Ultreia … weiter! Die Sonne kommt mehr und mehr zum Vorschein, aber ein bitterkalter Wind schneidet mir immer noch scharf ins Gesicht. Ein warmer Wintermantel gehört leider nicht zu meiner Pilgerausrüstung. Aber von Minute zu Minute gewinnt die Sonne an Kraft, und das Gehen wird immer angenehmer, zumindest ertragbar.

      Guter Laune erreiche ich St. Antoni. Auf dem Weg kurz vor der Kirche sehe ich einen Wandersmann mit Rucksack über den Kirchenvorplatz gehen. Üblicherweise winkt man einem Mitpilger wenigstens kurz zu oder wartet diese Minute für eine kurze Begrüßung. Der jedoch dreht sich um und geht seinen Weg weiter. … dann eben nicht!

      Ich betrete die Kirche und verweile einige Momente am Marienaltar, bevor ich den Pilgerstempel in meinen Pilgerausweis drücke. Jeder Stempelabdruck ist ein Souvenir meines Weges und ruft gleich wieder einen Song in mein Gedächtnis: „Souvenirs, Souvenirs …“ von Bill Ramsey. Singen ist eine der angenehmsten Nebenbeschäftigungen auf meinem Pilgerweg.

      Nun