Название | Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens |
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Автор произведения | Josef Frey |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783991076483 |
Jödelichor
Und wenn man denkt, diese Heimatfilmatmosphäre könnte nicht mehr getoppt werden, dann täuscht man sich gewaltig. Vorne im Schiff sitzt ein Schweizer Jödelichor und singt die schönsten Jodellieder.
Diese Ruhe, das leise Stampfen der Schiffsräder, der Chorgesang, der von einer traumhaft schönen Bergwelt eingebettete See. Für das Erlebte hier und jetzt könnte ich mir in keinem Theater der Welt den Eintritt leisten.
Bei herrlichem Sonnenschein komme ich in Beckenried an und beschließe, gleich hier nach einem Quartier zu suchen und den Tag gemütlich ausklingen zu lassen. Bei Familie Scheuber, direkt am See, Zimmer mit Balkon und Seeblick hab ich das große Los gezogen. Gemütlich, bezahlbar und mit herrlicher Aussicht.
Nach einer kurzen Pause und der Besichtigung der großen Kirche finde ich abends auf Empfehlung von Frau Scheuber gleich in der Nähe ein gutes Lokal. Ein wunderbarer Speisesaal mit Rundumblick auf den See und das Bergpanorama machen das wunderbare Essen zu einem Hochgenuss für Leib und Seele. Und ein frisch eingeschenktes Glas Bier, welches ich noch in aller Ruhe gemütlich genießen kann, runden einen wunderschönen Tag vollendet ab.
Abend am See
Beim abendlichen Blick von meinem Balkon über den See kann ich auf meine heutige Tagesetappe sehen, welche jenseits des kleinen und großen Mythen begonnen hat. An den zwei Bergen vorbei ging es über den Haggenegg und danach hinunter nach Schwyz und weiter nach Brunnen an den Vierwaldstättersee mit der romantischen Schifffahrt hierher nach Beckenried. Heute trägt die Zufriedenheit meinen Namen. Das ist ein schönes Gefühl.
18. Pilgertag, Dienstag, 05.05.2015
Beckenried–Gisigen: 24 km, Gesamt: 343 km
Nach einem wunderbaren ausgedehnten Frühstück starte ich in den heutigen Tag. Es geht zuerst am See entlang bis nach Buochs. Dort verlasse ich den Vierwaldstättersee und komme bald nach Stans mit der schönen Wallfahrtskirche St. Peter und Paul.
Frühling/Winter
Bis Stans war es eben, und ich konnte immer wieder den Blick vom Frühling hinauf in die winterlichen Berggipfel genießen. Neben mir auf den Streuobstwiesen stehen die ersten Obstbäume bereits voll in Blüte. Ich habe verschiedene Jahreszeiten im Blick.
Ab Stans wird es richtig hügelig. Keine großen Berge, aber trotzdem hab ich während des Tages sehr viele Höhenmeter zu überwinden.
Außerdem befinde ich mich offenbar wieder in der gastronomischen Diaspora. Ich komme immer mal durch kleine Weiler. Da erwarte ich gar keine Gastwirtschaft, aber leider finde ich nicht einmal einen kleinen Laden. Offensichtlich war ich in der Früh einfach nachlässig, als ich an einigen Supermärkten vorbeiging, ohne meinen Proviant wieder aufzufüllen. Diese Lektion lerne ich heute ausgiebig. Bequemlichkeit beim Einkaufen wird auf einem Pilgerweg zu Fuß gnadenlos mit Hunger und Durst bestraft. Auch das Gehen wird durch den Energieabfall nicht unbedingt zur Vergnügungsreise.
Hungrig und dürstend komme ich endlich nach St. Jakob. Schon von Weitem sehe ich das Werbeschild eines Gasthauses. Ich freue mich auf einen Teller Suppe und eine Tasse Kaffee. Umso größer dann die Enttäuschung, als ich das Schild „Ruhetag“ am Lokal hängen sehe.
Ich muss einfach weiterziehen und auf einer Bank meine letzte Käsescheibe und den letzten (halben) Körnersemmel essen. Und mein Trinkwasser ist jetzt auch aufgebraucht.
Und weil jetzt langsam auch die Energien aufgebraucht sind, versuche ich gleich ein Quartier für heute Abend zu reservieren. Mein Anruf im Haus Bethanien, dem Kloster der Dominikanerinnen, ist jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Dort sind derzeit 30-tägige Exerzitien und dementsprechend keine Betten frei – für nächste Woche könnte sie mir aber ein Zimmer reservieren. Gute Frau, so lange kann ich hier auf der Bank nicht warten.
Aber der nächste Anruf ist von Erfolg gekrönt. Im Pilger-Stibli ist ein Bett für mich frei. Gleichzeitig bin ich auch froh, weil sich meine Etappe dadurch um ca. 2 km verkürzt. Das Wissen, ein Bett für die Nacht in erreichbarer Entfernung zu haben, setzt jetzt neue Energien frei. Gestärkt raffe ich mich auf, auch die letzten Kilometer hinter mich zu bringen. Erschöpft und verschwitzt erreiche ich in der brennenden Sonne das Pilger-Stibli und werde vom kleinen Töchterchen Saskia empfangen.
Pilgerstibli
Im Stibli kann ich mir gleich Kaffee machen und eine kühle Cola ist auch im Kühlschrank. Neben dem Stibli, einer umfunktionierten Garage, an der Scheune die Treppe hoch, da ist dann die Pilgerherberge. Die habe ich heute für mich ganz allein, wie mir meine Gastgeberin Diana mitteilt. Das ist sehr angenehm. Ich habe Ruhe, kann die sauberen Sanitärräumlichkeiten ungestört benützen und mich bei einer kleinen Siesta wieder erholen. Am kleinen Tisch kann ich mein Tagebuch schreiben.
Abends regnet es ganz leicht, sodass die Luft wieder herrlich duftet und etwas abkühlt. Abendessen gibt’s im Gartenhäuschen der Familie. Die Kinder, Saskia und Denis, leisten mir Gesellschaft und erzählen vom Leben hier abseits der großen Städte und Dörfer. Den Großvater treffe ich vor dem Haus. Mit seinem Hut und dem buschigen Bart könnte er in jedem Heimatfilm das Klischee vom Schweizer Opi perfekt darstellen. Draußen rieselt immer noch der angenehme leichte Regen vom Himmel. Ich gehe deshalb sehr früh zu Bett, kann aber trotz des anstrengenden Tages nicht so richtig schlafen. Die ganze Muskulatur ist noch auf Dauerbetrieb. Ich merke, wie sich mein ganzer Körper auf die täglichen körperlichen Anstrengungen umstellt.
Vier Tage bin ich nun unterwegs. Die Muskulatur arbeitet auf Hochtouren und nutzt dazu auch leider die Nachtstunden. So unangenehm das vielleicht für den Moment ist, so dankbar kann ich mich aber bald auf eine wesentlich bessere körperliche Fitness freuen und meine Tagesetappen umfangreicher planen. Das macht mich schon etwas stolz und zufrieden.
19. Pilgertag, Mittwoch, 06.05.2015
Gisigen–Lungern: 28 km, Gesamt: 371 km
Sehr früh bin ich wach und kann mein Gepäck wieder sorgfältig zusammenlegen. Diana hat mir schon das Frühstück im Gartenhaus gerichtet. Ich kann mich gleich bedienen.
Zeitig breche ich auf. Es ist noch etwas regnerisch, aber trotzdem angenehm zu gehen. Bald komme ich am Haus Bethanien vorbei und treffe mancherlei Menschen, welche schlafwandlerisch durch die Gegend geistern. Offensichtlich die Auswirkungen der Exerzitien. Ich versuche, zu grüßen. Erhalte aber nur verklärte Blicke zurück …
Der nächste Ort ist Ranft. Ich habe jetzt schon des Öfteren Schilder gesehen, auf denen ein „Klausen-Weg“ angezeigt war, konnte aber nichts damit anfangen. Nun bin ich am Ort des Geschehens angelangt. An den zwei Pilgerkapellen mit der Zelle des Einsiedlers Bruder Klaus (1417–1487), in welcher er die letzten 20 Jahre seines Lebens unweit seiner Familie, nur Gott gewidmet, gelebt hat.
Im kleinen Souvenirgeschäft, welches von den Dominikanerinnen aus dem Haus Bethanien betrieben wird, will ich eine Kerze kaufen. Die kann man aber nicht so einfach in die Kapelle stellen, lasse ich mir erklären. Also kaufe ich gleich 5 Kerzen. Das ist ein gesamter Kerzenständer voll. Diese Kerzen werden am nächsten Tag mit einem Gebet und meinen fünf Widmungen von der Dominikanerin in der Pilgerkapelle angezündet. Beim Bezahlen wird mir bewusst, dass ich auf so einer Pilgerwoche ein kleines Vermögen für Kerzen ausgebe. Aber die Erfahrung zeigt, dass die Rendite dieser Geldanlage unermesslich ist, um es mal als sachlicher Banker auszudrücken.
Im Anbau der Kapelle ist die Zelle von Bruder Klaus.