Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens. Josef Frey

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Название Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens
Автор произведения Josef Frey
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076483



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Sozusagen Pilgern im Maßstab 1 : 1000.

      Bei der Charlottenhöhle mache ich am Kiosk des Infohauses eine Kaffeepause. Über die Lone gehe ich leichtsinnigerweise über ein paar Wackersteine. Die sind so glitschig, dass ich danach gleich ein Dankgebet nach oben schicke, dass ich nicht in der Lone gelandet bin. Verdient hätte ich es gehabt.

      Die angekündigten Regenwolken lassen Gott sei Dank auf sich warten. So kann ich auch meine Mittagspause in Lindenau im Biergarten bei einer wunderbaren schwäbischen Hochzeitssuppe genießen. Auch hier habe ich wieder kurz Gesellschaft von Raffael und erfahre viel von seinen bisherigen Pilgertouren.

      Kurz vor Setzingen ist es dann doch so weit. Ich muss die Dienste meines Regenponchos bemühen. Ein Gewitter zieht noch lautstark in angemessener Entfernung an mir vorbei. Die folgenden Regenwolken haben jedoch offensichtlich auf mich gewartet, um mir einen göttlichen Segen von oben zu verabreichen.

      Um ca. 15.15 Uhr erreiche ich mein Quartier in Nerenstetten. Raffael sitzt schon in der Wirtsstube. Da geselle ich mich gleich mit einem Glas Radler zu ihm, bevor ich mich auf mein einfaches, aber sauberes und gemütliches Zimmer zu einer kleinen Siesta zurückziehe.

      Abends treffen wir uns wieder bei einem wunderbaren Abendessen zu Preisen, die ich schon lange nicht mehr auf einer Speisekarte gelesen habe. Das ist doch sehr angenehm auf so einer kleinen Tour.

      Am zweiten Tag führt mich der Pilgerweg durch Wälder nach Osterstetten und von dort über Albeck entlang von Wiesen und Äckern in meine alte Heimat nach Oberelchingen. Schön, hier als Pilger anzukommen. Auf dem Weg zur Kirche, vorbei an meinem früheren Wohnhaus, treffe ich den Pfarrer bei einem Mittagsspaziergang. Er ruft mir schon von Weitem lachend entgegen, wo ich meine Harmonika habe. Wir begrüßen uns herzlich.

      In der Kirche genieße ich ein paar ruhige, besinnliche Momente zur Stärkung der Seele, bevor ich mich in die Klosterbräustuben zur Stärkung meines Leibes begebe. Ein gutes Essen und ein kühles Glas Bier. Hier im Biergarten, von dem aus auch meine große Pilgertour ihren Anfang nahm, ist es gut sein.

      Zwei schöne Pilgertage gehen zu Ende. Sie waren kein Ersatz für meinen geplanten Pilgerweg. Aber mit Sicherheit sind sie ein wichtiges Bindeglied für meinen weiteren Weg nach Santiago de Compostela. Durch diese zwei Tage habe ich meine Pilgerreise dieses Jahr nicht beendet, sondern gedanklich fortgeführt.

      Ich freue mich schon, wenn im nächsten Mai dann auf meiner großen Tour wieder der Ruf erschallt:

      „Buen Camino!“

      28. Pilgertag, Samstag, 28.04.2018

      Morges–Genf: 22 km, Gesamt: 601 km

      Na ja, wider Erwarten hat sich die Fortsetzung meiner Pilgerreise doch um ein Jahr verzögert. Und auch dieses Jahr ging der Start nicht ganz ohne Reibungsverluste ab.

      Eigentlich wollte ich am Anreisetag, also gestern, gleich vom Bahnhof weg meine Etappe starten. Aber in Singen beim Umsteigen in den nächsten Zug hab ich meinen Schrittzähler auf einer Metallbank geschrottet. Und im Zug habe ich dann bemerkt, dass ich meinen Reiseführer zu Hause im Kopierer vergessen habe, weil ich meiner Gattin die Reiseroute kopiert habe. Sch…ande über mein Haupt.

      Also führt mich mein Weg nach der Ankunft in Morges zuerst in die Tourist-Info, um ein Sport- und Büchergeschäft zu erfragen. Beides gibt es in der Fußgängerzone. Ein Pilgerquartier wie geplant in Allaman ist jedoch leider schon belegt. So übernachte ich gleich hier in Morges, gehe ins Städtchen und kaufe einen richtig tollen Schrittzähler. Der ist sogar besser als mein alter.

      Und in einem Bücherladen bekomme ich einen französischen Reiseführer der Via Gebennensis. Das ist der Weg von Genf bis nach Le Puy en Velay. Den Text verstehe ich zwar nicht, aber dafür hat er richtig tolle Landkarten abgedruckt. Und wegen der Quartiere hab ich eine Broschüre der französischen Freunde des Jakobsweges. Darin sind alle Herbergen, Pensionen und Hotels genauestens und aktuell aufgelistet. So bin ich wieder gut ausgerüstet und genieße einen herrlichen Sonnentag am Genfersee.

      Heute Morgen kann ich nach einem netten Plausch an der Hotelrezeption gut ausgeruht endlich meine diesjährige Pilgerreise starten. Direkt vor dem Hotel ist ein lebhafter Wochenmarkt aufgebaut. Da gibt es alles, was das Herz begehrt. Wurst, Käse, Brot, Obst, alte Uhren, Bücher, alte Schüsseln … fast wie bei unserem Jahrmarkt.

      Prominente Hochzeit

      Vorbei am Rathaus sehe ich die große Tafel, auf welcher über die Eheschließung der berühmten Audrey Hepburn hier an diesem Ort berichtet wird. Wieder eine Berühmtheit, deren Weg ich kreuze. Da kommt mir doch der Gedanke, mir mal Aufkleber mit der Inschrift „Pilger Sepp war auch hier“ zu besorgen. Wäre doch für die Nachwelt eine wichtige Information, oder etwa nicht?

      Ich genieße die morgendliche Ruhe und erfreue mich an wunderschönen Parkanlagen entlang des Sees. Vorbei am großen Jachthafen erreiche ich bald St-Prex mit seinen zwei Kirchen.

      Park in Morges

      In beiden bekomme ich erfreulicherweise meine ersten Pilgerstempel dieses Jahr. Sehr gerne hätte ich noch eine Kerze angezündet, was jedoch mangels Feuerzeug nicht möglich war, obwohl die anwesenden Kommunionskinder und ihre Leiterin die ganze Kirche nach einer Feuerquelle abgesucht haben. Aber der Versuch zählt auch …

      In Buchillon komme ich am Ortsausgang an einer kleinen Halle mit gemütlichem Vorplatz vorbei. Ich lasse mich auf einer Bank nieder und genieße zufrieden einen saftigen Apfel. Ein dunkelfarbiger Junge dreht auf seinem Fahrrad einige Runden um den Platz und hat seine kleine Schwester im Schlepptau. Diese kommt zu mir, erzählt mir freudig aus ihrem Leben und stellt mir offensichtlich auch viele Fragen. Da sie jedoch nur Französisch spricht, kann ich sie leider nicht verstehen, und auf meine Antwort – „Je suis allemand“ –, ich bin deutsch, zählt sie alle Länder Europas von Deutschland über Frankreich, Italien, Spanien bis England usw. in französischer Sprache auf. Dabei leuchten ihre großen lustigen Kulleraugen, dass man unwillkürlich herzlich mitlachen muss.

      Unberührte Natur

      Das sind die schönen Momente, welche man auf solch einer Pilgerreise erleben darf. Ich wünsche ihr alles Gute, und wir winken uns noch lange zu, bis wir uns nicht mehr sehen. Ich wollte nicht aufdringlich sein, sonst hätte ich ihre Mutter, welche drei Bänke weiter saß, gefragt, ob ich ein Foto von ihrer Tochter machen darf.

      Bald erreiche ich wieder den See und bin überraschenderweise in einer herrlichen Naturlandschaft. Durch einen Wald stoße ich auf einen kleinen Wildbach und überquere diesen über eine Brücke an einem Wehr. Ein wunderbarer Wanderweg in fast unberührter Natur, unter schattigen Bäumen. Das ist ein Pilgerauftakt, wie ich ihn mir gewünscht, aber hier am dicht besiedelten Genfersee nicht erwartet habe. Vorbei an Kiwiplantagen, die hätte ich hier auch nicht erwartet, komme ich wieder zurück in die Zivilisation und steige einen sanften Hügel entlang ausgedehnter Weinberge hinauf in das kleine Weinbauerndorf Perroy.

      Auf halber Höhe sehe ich schon von Weitem jemand auf dem Boden sitzen, und beim Näherkommen entdecke ich Rucksack und Pilgerstab. Es ist ein junger Schweizer Pilger, Tamino heißt er, auf dem Weg nonstop bis Santiago. Er schenkt mir ein 4-blättriges Kleeblatt, welches in dem Moment, an dem ich daheim diese Zeilen schreibe, getrocknet auf meinem Schreibtisch liegt.

      In Perroy erreiche ich die Kirche und stelle mit Entzücken fest, dass vor dem Kirchentor ein Verkaufsstand mit Kaffee, Kuchen und diversen Kaltgetränken aufgebaut ist. Sehr gerne nehme ich das Angebot an und genieße die unerwarteten Köstlichkeiten. Es ist ein Wettbewerb für kleine Bläsergruppen, und in der Kirche findet bei einem Konzert die Bewertung statt. Begeistert und voller Stolz wird mir alles rund um diese kleine Veranstaltung erzählt. In mir werden Erinnerungen wach an die Zeit, in der ich selbst bei unserem Musikverein bei solchen Veranstaltungen mitgemacht habe. Musikalisch