Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens. Josef Frey

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Название Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens
Автор произведения Josef Frey
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991076483



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      Ich erfreue mich am Ausblick hinunter zum See und zurück auf das Tal, in welches ich über den Brünigpass abgestiegen bin. Mit einem Blick habe ich den Winter vor Augen, fühle aber auch die fast mediterrane Klimazone der Seen in der Mittelschweiz. Es ist beinahe ein Wunder, dass hier inmitten des Hochgebirges Palmen und ähnliche südliche Bäume und Sträucher gedeihen.

      Auf angenehmen Schotterwegen erreiche ich nach einigem Auf und Ab die Gemeinde Oberried. Nervend sind jedoch zwei Düsenjets der Schweizer Luftwaffe. Die drehen hier unaufhaltsam ihre Runden und proben offensichtlich Steilflug und Formationsflug und was sonst alles noch. Die Frage sei mal erlaubt, ob das wirklich in diesem Ausmaß und vor allen Dingen an diesem Ort sein muss? Hier leben Menschen. Von den vielen Touristen, welche für einige ruhige Tage in der schönen Schweizer Bergwelt viel Geld bezahlt haben, ganz zu schweigen. Die Einzigen, welche sich eigentlich nicht aufregen sollen und alles so nehmen müssen, wie es ist, sind die Pilger, zu deren Spezies ich gehöre. Also, lieber Pilger Sepp, nicht aufregen und friedlich in Oberried ankommen.

      Das tue ich auch gerne. Im Gasthof „Rössli“ habe ich bereits ein Zimmer reserviert. Die Wirtsleute, eine Schweizerin und ein Italiener, sind sehr nett, und ich kann wunderbar italienisch essen. Danach genehmige ich mir noch ein Gläschen Bier und melde mich per Internet zu Hause. Ein langer und erlebnisreicher Tag geht zu Ende. Wunderschön, ein Auftakt wie aus dem Bilderbuch. Zeitig und zufrieden falle ich in mein Bett und schlafe wunderbar ein.

      21. Pilgertag, Samstag, 30.04.2016

      Oberried–Amsoldingen: 30 km, Gesamt: 422 km

      Bereits um 06.45 Uhr stehe ich auf und erfreue mich an der wunderbaren Morgensonne und dem traumhaften Bergpanorama beim Blick aus dem Fenster.

      Ein gutes und ausgedehntes Frühstück weckt dann meine Lebensgeister, und ich kann ausgeruht und gut gestärkt meine heutige Etappe angehen.

      Gleich zu Beginn des Weges werden alle Sinne gefordert. Ich kann mich am Bergpanorama nicht sattsehen. Auf den Wegen entlang unberührter Bergwiesen duften alle Berg- und Wiesenkräuter. Ich genieße auch die göttliche Ruhe, welche in dieser Art zu Hause nicht vorkommt.

      Brienzer See

      Zufrieden erreiche ich bald Ringgenberg und steige zur Burgkirche hinauf, in welcher ein schöner Pilgerstempel bereitliegt. Ich genieße den Blick über den See in Richtung Interlaken mit der gigantischen Bergkette, in welcher sich Jungfrau, Eiger und Mönch befinden. Meine Kenntnisse reichen jedoch nicht für eine exakte Zuordnung der Gipfel aus.

      Nur noch wenige Meter sind zu gehen, dann bin ich schon am Ende des Brienzer Sees. Der Fluss Aare und die Stadt Interlaken bilden das Bindungsglied zwischen Brienzer- und Thunersee. Ich komme an einem Wochenmarkt vorbei und kaufe mir an einem Obststand ein paar saftige Äpfel. Der Obstbauer gibt mir noch eine Visitenkarte der Pilgerherberge in Heitenried. Die wird von seiner Schwester betrieben. Dankbar nehme ich die Karte an. Mal sehen, ob diese Herberge in mein Etappenprofil passt.

      Plötzlich muss ich staunen: Eine Großfamilie macht mit ihren Haustieren einen Wochenendausflug. Dabei handelt es sich jedoch nicht wie meist üblich um Hunde oder Katzen, sondern um Ziegen und Geißböcke, welche zum Teil festlich geschmückt sind. Ich bin anfangs so erstaunt, dass ich fast vergesse, ein Erinnerungsbild zu machen. Die letzten zwei Damen erklären sich dann zu einer Aufnahme bereit und erzählen mir von diesem ungewöhnlichen Ausflug.

      Schon während der Vorbereitung meiner Pilgertour habe ich mich entschieden, auf dem Thunersee mit dem Schiff von Merligen nach Spiez überzusetzen und nicht über Thun zu gehen. Ich entschließe mich jetzt, bereits ab Interlaken das Schiff zu nehmen und die Zeit für eine gemütliche Pause und eine gemütliche Tasse Kaffee zu nutzen.

      Einem sehr netten älteren Ehepaar kann ich an meinem kleinen Tisch Platz anbieten. Wir genießen die Fahrt über den See zu den Beatushöhlen. Beatus war der erste Missionar der Schweiz. Die Höhle des Einsiedlers ist seit dem 13. Jahrhundert Wallfahrtsort. Weiter dann nach Merligen und über den See an das Südufer nach Spiez. Auf Spiez freue ich mich schon lange. Mit dem „Geist von Spiez“ wurde schließlich unsere Fußballnationalmannschaft 1954 Weltmeister in der Schweiz. Schon als kleiner Junge war der Spruch „Der Geist von Spiez“ für mich ein Begriff.

      Leider sind während der Überfahrt immer mehr Wolken aufgezogen, und auch die Temperaturen sind nicht mehr ganz so angenehm. Aber beim Weg hinauf zum Schloss wird es mir schnell wieder warm.

      Die Schlosskirche ist festlich geschmückt. Gäste in festlichem Zwirn sind auf dem Weg dorthin. Es findet gleich eine Trauungszeremonie statt. Der Brautvater, welcher über den Kirchenzugang wacht und offensichtlich die Rolle des Zeremonienmeisters ausübt, gestattet mir jedoch höflicherweise und voller Stolz Zutritt zur romantischen und festlich geschmückten Kirche. Als ich den Kirchenvorplatz verlasse, erscheint das strahlende Brautpaar. Ich wünsche ihnen einen schönen Tag und Gottes Segen. Die zwei strahlen übers ganze Gesicht und bedanken sich artig.

      Vorbei an Obstplantagen verlasse ich Spiez und gehe teilweise in erhabener Höhe über dem Thunersee vorbei an der Gemeinde Einigen nach Gwatt. Dort überquere ich einen Wildbach, welcher seinen Weg tief in den Grund gegraben hat. Es rauscht der Wildbach … und ich erfreue mich an der ungezügelten Natur.

      Und die Natur wird wahrlich immer ungezügelter. Es wird dunkler als zu dieser Tageszeit üblich. Der Himmel saugt sich mit schwarzen Wolken zu. Ich gehe auf einer Anhöhe wie auf einem Damm. An einem kleinen Rastplatz ziehe ich vorsorglich meinen Regenponcho über. Das ist aber bei dem immer stärker werdenden stürmischen Wind gar nicht so einfach.

      Kurz vor Amsoldingen wird es dann ganz dunkel, der Wind lässt nach – dafür fängt es aber an zu regnen. Am Ortseingang sehe ich das Gasthaus „Kreuz“. In meinem Reiseführer steht jedoch ganz in der Nähe eine Pension für Jakobspilger. Die ist schnell gefunden, und ich läute an der Tür. Im Garten steht ein Wohnwagen, und ich denke schon, dass sich darin mein Nachtquartier befindet. Aber denkste: Der freundliche Hausbesitzer teilt mir mit, dass er bereits seit drei Jahren keine Pilgerzimmer mehr hat. Doch im „Kreuz“ würden sie ein günstiges Pilgerzimmer anbieten.

      Also zurück zum Gasthaus. Dort werde ich freundlich aufgenommen, bekomme ein günstiges und geräumiges Pilgerzimmer, kann wunderbar duschen und abends in der Gaststube ein wunderbares Menü verspeisen. Ein Verdauungsschnäpschen wird mir gratis als Service des Hauses hingestellt. Ich genieße die angenehme Atmosphäre in der Gaststube und den angenehmen Geräuschpegel der Unterhaltungen um mich herum. Nebenbei lese ich in meinem Rother-Reiseführer und lege meine Etappe für den morgigen Tag fest.

      22. Pilgertag, Sonntag, 01.05.2016

      Amsoldingen–Rueggisberg: 25 km, Gesamt: 447 km

      Frühmorgens wache ich sehr gut ausgeruht auf und packe meinen Rucksack. In der Gaststube ist bereits das Frühstück für mich gerichtet. Den Kaffee kann ich mir selbst an der Maschine zubereiten. Alles andere ist im Kühlschrank und auf dem Tisch. Da habe ich gestern eine extra Einweisung bekommen. Es ist schon ein seltsames Gefühl, frühmorgens alleine in einer Gaststube zu sitzen.

      Gestärkt verlasse ich den Gasthof. Ich dachte, dass meine Windjacke ausreichend wäre. Als ich jedoch im Freien stehe, entscheide ich mich dann doch gleich für den Regenponcho, was sich gleich für den ganzen Tag als richtig erweist.

      Amsoldingen

      Mein Weg führt mich vorbei an der Kirche „St. Mauritius“. Ich gehe hinein und bin ob der schlichten Ausstattung überwältigt von der Ausstrahlung, welcher dieser Raum auf mich hat.

      Die Mesmerin kommt hinzu und erzählt stolz von der beruhigenden Strahlkraft der Krypta, welche sich unter dem Altarraum befindet. Der Kirchenbau war ca. um das Jahr 1000, aber bereits im 8. Jahrhundert befand sich hier ein Vorgängerbau.

      Regentag