Название | Vom Leben getragen |
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Автор произведения | Ajana Holz |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783863215606 |
So verschwand sehr viel, was das Leben ausmacht, aus dem alltäglichen Lebensumfeld: wie ein Kind geboren wird, wie ein Mensch zu Hause stirbt und noch drei Tage lang zu Hause aufgebahrt wird, wo sich alle in Ruhe verabschieden können, wie es ist, mit sogenannten „behinderten“ Menschen alltäglich zu leben und zu arbeiten, welche Freude Kinder und alte Menschen zusammen haben können, wie Kranke und Alte zu Hause gepflegt werden, wie Jugendliche mehr und mehr in das soziale Leben integriert werden und verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen können … Auf diese Weise ging immer mehr von dem verloren, was alte Menschen aus ihrer Lebenserfahrung beitragen können – die Ältesten – und was eine Gesellschaft von jungen Menschen und auch kleinen Kindern lernen kann.
Selbst die notwendige und wichtige Entstehung von Hospizen und Geburtshäusern ist Bestandteil dieser Trennung in verschiedene Lebensbereiche. Aus der Erfahrung als Bestatterin und Geburtsbegleiterin weiß ich jedoch, wie wichtig Hospizhäuser, (die meist ehrenamtliche) Hospizarbeit, Palliativstationen und Geburtshäuser in der heutigen Zeit sind, denn sie schaffen einen wichtigen Raum zwischen der medizinischen Klinik- und Pflegeroutine und dem Zuhause, in dem die meisten Menschen unter den heutigen Umständen nicht mehr in der Lage sind, sich gleichzeitig, und in der Regel allein, neben der Lohnarbeit um Haushalt, Kinder, alte Menschen, Menschen mit besonderen Bedürfnissen und kranke Menschen zu kümmern (und in der Mehrheit tun das immer noch Frauen). Auch deshalb ist es für viele nicht (mehr) möglich, zu Hause in Ruhe und gut begleitet zu gebären – oder in Ruhe und gut begleitet zu sterben. Leider wurde mit dieser Entwicklung die Angst vor dem Gebären und dem Sterben zu Hause ohne den medizinischen Interventionsapparat einer Klinik immer größer – und diese Angst wird meiner Erfahrung nach bis heute auch bewusst geschürt.
Auch die Hospize, in der Form, wie wir sie heute kennen, wurden aus der dadurch entstandenen Not geschaffen. Die Landesarbeitsgemeinschaft Hospiz Brandenburg e. V. schreibt dazu:
„Ein starker Impuls kam aus England, wo Ciceley Saunders durch ein Erlebnis im Umgang mit einem sterbenden Patienten die Hospizidee gebar‘ und sich fortan dafür stark machte. Ursprünglich Krankenschwester, absolvierte sie eine Ausbildung zur Sozialhelferin und studierte einige Jahre später noch Medizin, um ihr Ziel, ein Hospiz zu gründen, zu erreichen. Im Jahre 1967 wurde in London das St. Christopher’s Hospice eröffnet, dem sie bis 1985 als medizinische Direktorin vorstand und sich gänzlich als Pionierin der Hospizbewegung einbringen konnte.
Die Schwere des Themas, persönliche Betroffenheit, Ängste und daraus resultierendes Schweigen oder besser eine weit verbreitete Sprachlosigkeit erschweren bis heute den hospizlichen Diskurs. […]
Diese Bürgerbewegung entwickelte sich in den 1970er Jahren noch zaghaft, in den 1980er und 1990er Jahren jedoch stärker zu einer Bewegung, die sich gegen die als unwürdig empfundenen Sterbesituationen, vorwiegend in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, stellte und es sich zur Aufgabe machte, die Tabuthemen Tod und Sterben aufzubrechen und der häufigen Isolation sterbender Menschen etwas entgegen zu setzen: Sowohl durch das persönliche Engagement vieler ehrenamtlicher BegleiterInnen in der Häuslichkeit und in Einrichtungen (ambulante Hospizarbeit) als auch durch den Aufbau von Einrichtungen als Hort eines menschenwürdigen Umgangs mit Sterbenden (stationäre Hospize). Die Einbeziehung und gleichzeitige Begleitung Angehöriger, Nahestehender oder Freunde ist dabei von Anfang an wesentlich. Daher ist es naheliegend, dass auch Trauer und Abschied schnell zum festen Bestandteil hospizlicher Arbeit wurde.“23
Im Grunde gehören all diese Bereiche – vom Beginn bis zum Ende eines Lebens – zusammen. Wie würde eine Welt aussehen, in der Menschen allen Alters in verschiedenen Lebenssituationen und mit ihren unterschiedlichsten Fähigkeiten und Bedürfnissen zusammenleben und sich umeinander kümmern würden? Mehrgenerationenhäuser und Gemeinschaftsprojekte aller Art auf dem Land und in den Städten sind hier schon ein guter Anfang. Und es gibt noch viel zu lernen, wie wir (wieder) ein ganz neues Zusammenleben entwickeln – frei von den Hierarchien, der Enge und den Zwängen, die oft in den früheren Großfamilien herrschten und die besonders das Leben von Frauen erschwerten. Wie würde das wohl aussehen, wenn wir dem Wissen wieder Raum geben, dass die Kleinen sehr gerne und mit großer Freude lernen, wenn wir ihnen die Möglichkeit geben, dies in Freiheit zu tun, wenn wir die kleinen Menschen, unsere Kinder, ernst nehmen, wenn wir uns alle und alles Leben auf dieser Erde ernst nehmen?
Aus der Vergangenheit lernen, um die Zukunft zu schaffen, in der wir alle gut miteinander leben können … Ich bin mir sehr sicher, dass wir uns das im Grunde unseres Herzens alle wünschen. Es ist möglich, diesem Herzenswunsch zu folgen und ihn zu unserer Wirklichkeit zu machen. Jetzt ist die Zeit.
Für die Menschenrechte der Toten: Die juristische Versachlichung
Dies ist ein „Plädoyer“ für die Würde der Toten – für die Würde alles Lebendigen. Die Toten gehören für mich zum Leben. Warum die Lebendigkeit hier unbedingt dazugehört und wie wir auch tote Menschen bei diesem Übergang als sehr lebendig erfahren, darüber werde ich in diesem Buch an verschiedenen Stellen noch ausführlicher erzählen. Und deshalb verstehen wir BARKE-Bestatterinnen uns auch als eine Art „Anwältinnen“ für die Würde der Toten, was unser Beweggrund für die vielen Vorträge und Seminare ist, die wir überall in Deutschland halten. Seit Beginn der BARKE-Arbeit geben wir unser spezielles Wissen in vielen Fortbildungen an HospizmitarbeiterInnen, Palliative-Care-PflegerInnen, Ärztinnen und Ärzte sowie Hebammenschülerinnen weiter, halten öffentliche Informationsvorträge rund um das Thema Bestattung und bieten seit Kurzem auch eine eigene Unterweisung in Übergangsbegleitung in unserem Haus an.
Tote Menschen werden in der Fachsprache übrigens allgemein als „Leichen“ bezeichnet; ein Begriff, den ich möglichst vermeide, weil er suggeriert, dass „die Leiche“ schon nicht mehr der Mensch ist, der soeben gestorben ist. Ich sage gerne „die Toten“ oder „die/der Tote“. Das ist für mich ein schönes Wort, in dem „Tod“ enthalten ist, ein Wort, mit dem ich die Toten würdigen möchte – und auch durch diese klare Benennung will ich Tod wieder mehr ins Leben hineinnehmen. Ein anderes übliches Wort ist: die/der Verstorbene. In manchen Bestattungsgesetzestexten der Bundesländer wurde „Leiche“ inzwischen schon durch diesen Begriff ersetzt.
Auch Tote sind und bleiben unserer Ansicht nach Menschen und sollten entsprechend respektvoll behandelt werden. Aber juristisch gesehen ist eine tote Person eine Sache.24 Diese Rechtslage spiegelt eine gesellschaftliche Perspektive und hat gleichzeitig diese Sicht mitbestimmt: Der Körper ist „nur die Hülle“, schnell und hygienisch zu entsorgen, der Geist ist die Essenz der Person25, die nach dem Tod sofort aufhört zu existieren oder als Seele die „Hülle“ sofort verlässt. Somit ist auch rechtlich eine „Leiche“ keine Person mehr. Uns geht es vor allem darum, dass sich der aktuell noch übliche Umgang mit den Toten grundlegend ändert, denn das gesellschaftliche und kulturelle Verhältnis zu den Toten und der daraus folgende ganz praktische Umgang mit den Toten spiegelt in aller Schärfe den Umgang mit jeder Form von Lebendigkeit.
Deshalb müssen wir auch immer wieder davon berichten, wie er tatsächlich ist, der Umgang mit den Toten. Wir erzählen davon, was wir „hinter den Kulissen“ erleben, und konfrontieren die Menschen mit unliebsamen Wahrheiten, die sie dazu auffordern, Eigenverantwortung zu übernehmen und das Recht auf Würde für sich selbst und ihre Angehörigen zu fordern: das Recht auf Würde im Leben, im Sterben, in Krankheit, in Pflege, in Abhängigkeit – in jedem Zustand, in jedem Alter, in jeder Situation, also auch nach dem Tod, in dieser so wichtigen Übergangszeit zwischen Tod und Bestattung, bis wir als körperliche Essenz unseres Wesens der Erde, dem Feuer, den Elementen übergeben werden und in den großen Kreislauf zurückkehren, in dem keine Energie jemals verloren geht.
„Nur die Hülle“? Folgen der Spaltung von Körper, Geist und Seele
Es ist hierzulande weitverbreitet,