Название | Geländer Geschichten |
---|---|
Автор произведения | Lucie Panzer |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948882181 |
Dass Gott einen in Versuchung führt, mir scheint immer, dieser Gedanke ist irgendwie eine Ausrede. Ich bin schwach geworden, ich habe mich hinreißen lassen – aber ich kann ja gar nichts dafür. Gott hat mich in Versuchung geführt! Er ist schuld. Er hat mein Leben so gemacht, dass ich gar nicht anders konnte. So kann man sich die Einsicht vom Hals halten, dass man selbst zu gierig war. Zu unbeherrscht. Zu bequem.
„Führe uns nicht in Versuchung!“ – ich finde diese Bitte realistisch. Gerade weil ich mir nicht vorstellen kann, dass es Gott ist, der mich in Versuchung führt. Denn diese Bitte rechnet damit, dass ich verführbar bin. Ich weiß, dass ich gern den bequemen Weg nehme. Dass ich schon auch mal zuschlage, um mich abzureagieren. Dass ich nehme, was ich kriegen kann, ohne an andere zu denken. Aber es ist nicht Gott, der mich verführt. Ihn kann ich bitten: „Führe mich nicht in Versuchung!“ Erinnere mich zur rechten Zeit an das, was gut ist. An das, was Jesus uns gelehrt hat: nicht zurückschlagen, sondern den anderen ohne Gewalt zur Vernunft bringen. Es dem anderen nicht heimzahlen, sondern vergeben. Verzichten und teilen, damit für alle reicht, was da ist.
Ich bin verführbar. Ich weiß das. Und es bleibt mir nichts anderes, als zu beten: „Und führe uns nicht in Versuchung!“, sondern hilf mir, verantwortlich zu leben.
Verstrickt
„Der ist ganz der Vater“, sagt man manchmal von einem kleinen Jungen oder von einem Mädchen: „ganz die Mutter“. Ein anderer, heißt es, hat den Starrsinn vom Opa. Oder die schönen Locken von der Oma. Vieles, was in mir steckt und sich im Lauf der Jahre ausbildet, kommt irgendwoher. Das Gute: die schlanke Figur, die Freude an der Musik oder die Begabung für Mathe. Das Schlechte aber auch: die unreine Haut, das aufbrausende Wesen, die Bequemlichkeit.
Es ist nicht immer die biologische Vererbung, es sind nicht immer die Gene, die das ausmachen, wie ich mich verhalte und was ich tue. Es sind auch die Lebensbedingungen, die Umwelt, die Erziehung. Eine Mutter macht mit ihrem Bedürfnis nach Ordnung die ganze Familie verrückt. Manchmal merkt sie es selbst und würde es gern ändern. Aber so ist sie erzogen worden. Sie kann nicht anders. Was das wohl mit ihren Kindern macht? Ein Vater wäre selbst gern Fußballer geworden. Jetzt macht er seine Kinder nach dem Match fertig, wenn sie nicht gut genug gespielt haben. Hinterher tut es ihm leid. Aber es steckt in ihm. Er kann nicht anders. Wie lange die Kinder wohl noch Spaß am Sport haben?
Ich bin verstrickt in das, was vor mir war und um mich herum ist. Ich kann da nicht raus. Niemand kann in seinem Leben bei einem perfekten Punkt Null anfangen. Es ist immer schon etwas da, Gutes und Böses. Und ich gebe das weiter. Ich kann auch nicht anders.
Es gibt Menschen, die versuchen mit großem Aufwand, da herauszukommen. Sie bemühen sich, ökologisch tadellos zu leben, sie sind bedingungslose Pazifisten, erziehen ihre Kinder aufmerksamer und besser als andere. Meinen sie jedenfalls. Aber wenn ich mein Kind mit hohem Aufwand in die pädagogisch hochgelobte Reformschule schicke statt in die Stadtteilschule mit ihren Problemen, wer weiß, was ihm fehlt, wenn es die Kinder in der Umgebung nicht kennt und keine Spielkameraden hat? Es gibt keinen Punkt Null, an dem man neu anfangen kann.
„Erlöse uns von dem Bösen“, beten wir Christen im Vaterunser. Ich glaube, damit ist genau diese Verstrickung gemeint. Und vor allem die Hoffnung, dass das aufhört, dass ich wirklich neu anfangen und alles gut machen kann. Das gibt es höchstens nach dem Tod, sagen viele. In einer anderen Welt. Manche sagen: „im Himmel“. Aber das Vaterunser redet eigentlich immer von dieser Welt. Auch „auf Erden“ soll nach Gottes Willen alles gut werden, wenn Gottes gute Zukunft da ist. Und bis dahin? Bis dahin will ich genau hinschauen. Wahrnehmen, wo ich verstrickt bin in Dinge, die nicht gut sind. Dann kann ich es vielleicht doch anders probieren. Nicht überall. Aber hier und da. Das wären erste Schritte.
Tischgebet
„Es war einmal ein Krokodil“, so fängt der Tischspruch an, den Matthis im Kindergarten gelernt hat. Sie sagen das vor dem Essen alle zusammen, damit alle dann auch miteinander anfangen. So geht der Spruch weiter: „Es war einmal ein Krokodil, das fraß und fraß und fraß so viel, es schlürfte und schmatzte, bis es endlich platzte!“ Anschließend klatschen alle laut in die Hände und sagen „Guten Appetit“. Dann geht’s los, am liebsten mit Spaghetti und Tomatensoße.
Ich finde das gut, dass sie lernen, zusammen anzufangen. Und weil Matthis das im Kindergarten gelernt hat, machen sie es zu Hause auch so. Aber manchmal sagt er: „Ich will beten.“ Meistens, wenn die Oma zu Besuch ist. Dann sagen sie: „Jedes Tierlein hat sein Essen, jedes Blümchen trinkt von dir, hast auch unser nicht vergessen, lieber Gott, wir danken dir.“ Ich finde es auch gut, dass Matthis beides lernt: Zusammen anfangen und beten. Ich finde das gut, dass seine Eltern das ernst nehmen, wenn er Beten vorschlägt, selbst wenn sie sonst vielleicht nicht beten. Und vor allem finde ich gut, dass Matthis als Erstes danken lernt. Er lernt nicht: Ich will dies und ich möchte das. Matthis lernt danken, dass er froh sein kann, dass es genug zu essen gibt. Und dass das nicht selbstverständlich ist.
Natürlich weiß ich, dass es auch andere Erfahrungen gibt. Längst nicht alle Kinder haben genug zu essen. Sie verhungern, selbst heute noch, obwohl das eigentlich nicht nötig wäre. Unsere Welt könnte sie ernähren. Blümchen verdorren, weil es immer wärmer wird auf der Erde. Das wird Matthis leider alles auch noch lernen, wenn er größer wird. Aber erst einmal lernt er zu begreifen, wie gut es ihm geht. Dass er sogar teilen kann mit dem kleinen Bruder, ohne dass er Angst haben muss, dass es nicht reicht. Wie schön, wenn das Leben so anfangen kann: mit Dankbarkeit. Ich glaube, dass so ein Anfang ein Leben prägt. Man muss nicht immer nur auf sich selbst sehen, wenn man Grund hat, dankbar zu sein.
Irgendwann wird Matthis hoffentlich begreifen, dass der Spruch vom Krokodil etwas anderes ist als das Dankgebet zu Gott. Irgendwann wird er hoffentlich mehr von Gott hören und lernen, zum Beispiel, dass man sich auf ihn verlassen kann. Nicht bloß, wenn es einem gut geht, sondern auch, wenn man traurig ist. Dann hilft Gott, das auszuhalten. Ich hoffe, dass Matthis das lernt. Von seinen Eltern und Großeltern vor allem. Manchmal übrigens betet Matthis selbst. Dann sagt er: „Lieber Gott, segne flott!“ Das hat auch Tradition in der Familie.
Glaubwürdig
Im Internet wird vieles behauptet, das sich hinterher als haltlos herausstellt. Ängste werden geschürt, Empörung wird erzeugt – und dabei geht es doch nur darum, die eigenen Interessen durchzusetzen oder Geld zu verdienen. Am Ende wird man grundsätzlich misstrauisch. „Die belügen uns doch alle“, sagen inzwischen viele.
Solche Verunsicherung ist überhaupt nicht neu. Der Prophet Jeremia, ein Gottesmann, hat schon vor mehr als zweitausendfünfhundert Jahren gegen Lügenpropheten gekämpft. „Sie betrügen euch“, hat er gesagt. „Sie sprechen nur von ihren eigenen Träumen und Befürchtungen (Jer 23,16). Sie reden von dem, wie sie sich die Zukunft vorstellen, damit ihr Angst kriegt und heute schon so handelt, als ob das alles wahr wäre, was sie sagen.“
Aber, gibt Jeremia zu bedenken, wahre Propheten sagen nicht die Zukunft voraus. Sie beurteilen die Gegenwart. Sie decken auf, was heute geschieht. Und dabei haben sie nur einen Maßstab: Entspricht das Handeln der Menschen dem, wie Gott sich die Menschen vorstellt? Was heute geschieht – ist das gerecht? Barmherzig? Kommen die Armen zu ihrem Recht? Werden die freundlich aufgenommen, die flüchten mussten? Wahre Propheten helfen, heute das Richtige zu tun. Sie helfen dabei, heute für eine Welt einzutreten, in der alle Menschen angstfrei leben können. Nur so kann auch die Zukunft gut werden, weil so Vertrauen wächst und Solidarität unter den Menschen.
„Na gut“, sagen Sie jetzt vielleicht noch einmal. „Aber wem soll ich denn trauen? Jeder sagt etwas anderes. Jeder schlägt eine andere Lösung vor.“ Jeremia hat damals Merkmale genannt, an denen man sich orientieren kann. Erstens,