Название | Geländer Geschichten |
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Автор произведения | Lucie Panzer |
Жанр | Философия |
Серия | |
Издательство | Философия |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948882181 |
Das tägliche Brot
„Unser tägliches Brot gib uns heute“, beten wir Christen im Vaterunser. Nicht etwa, weil wir denken, wir könnten uns damit Arbeit und Mühe ersparen. Beten ist kein Zauberspruch. Warum beten wir dann überhaupt dafür? Martin Luther hat eine Anleitung für die Bildung der Christenmenschen geschrieben. In diesem kleinen Katechismus hat er erklärt, wie die Bitte um das tägliche Brot zu verstehen ist: „Gott gibt das tägliche Brot auch ohne unsere Bitte …; aber wir bitten in diesem Gebet, dass er’s uns erkennen lasse und wir es mit Dank empfangen.“ Gott ist großzügig, steckt für mich darin. Er gibt Lebensunterhalt für alle, auch wenn man nicht betet. Wenn das, was er gibt, am Ende nicht für alle reicht – dann müssen wir Menschen nach den Ursachen bei uns selbst suchen. Reichen würde es für alle, wir müssten es nur besser verteilen.
Gott will, dass alle Menschen täglich ihr Brot haben – deshalb beten wir ja auch: „unser tägliches Brot“. Nicht nur ich oder meine Familie und meine Freunde sollen genug haben, nicht nur die Menschen in meinem Land. „Unser tägliches Brot“ meint: Alle Geschöpfe Gottes sollen satt werden. Und die Wissenschaftler sagen: Sie könnten alle satt werden – wenn wir nur richtig wirtschaften.
Die Bitte um tägliches Brot meint nämlich auch: „Acker, Vieh, gutes Wetter, Geld und Gut, gute Regierung, gutes Wetter, Frieden, Gesundheit“ und dergleichen mehr, hat Martin Luther in seinem Katechismus erklärt. Heute würde er wohl hinzufügen: zeitgemäße und umweltschonende Anbaumethoden; gerechte Weltwirtschaftsordnung, faire Löhne und Preise, bezahlbarer Wohnraum. Dass das gelingt, dafür gebe Gott seinen Segen.
Gottes Segen und menschliche Arbeit – wenn beides zusammenkommt, dann haben alle ihr tägliches Brot. Genau das wird zum Beispiel in Stuttgart einmal im Jahr gefeiert. Da findet neben dem Cannstatter Volksfest auf dem Wasen alle zwei Jahre das landwirtschaftliche Hauptfest statt. Vor über zweihundert Jahren hat König Wilhelm I. es eingesetzt, aus Dankbarkeit und Freude, weil damals, 1818, nach Jahren mit verheerenden Missernten und Hunger endlich wieder eine ausreichende Ernte eingefahren werden konnte. Zugleich hat der König das öffentliche Wohlfahrtswesen aufgebaut, die Leibeigenschaft aufgehoben, die landwirtschaftliche Schule in Hohenheim gegründet und Preise ausgesetzt für Entwicklungen und Erfolge in der Landwirtschaft.
„Unser tägliches Brot gib uns heute“ – ich glaube, wer so betet, wird auch erfolgreich dafür arbeiten, dass alle genug zum Leben haben. Nicht nur Brot.
Und vergib uns unsere Schuld
Schuldgefühle können einen fix und fertig machen. Sie drücken einen nieder, und man ist wie gelähmt. Ich habe einen Fehler gemacht, nicht zum ersten Mal. Das hatte Folgen, und ich kann mir das nicht verzeihen. Andere werden es erst recht nicht verzeihen können, denke ich mir. Schon gar nicht vergessen. Also bin ich am besten ganz still und halte mich im Hintergrund, damit mich keiner bemerkt. Menschen mit Schuldgefühlen leben im Schatten. Dort, wo keiner sie wahrnimmt.
Es gibt noch andere Strategien, mit Schuldgefühlen umzugehen. Man kann auf andere schieben, was passiert ist. Versuchen, es wegzulügen: „Ich war das nicht!“ Oder es beschönigen: „Wo ist das Problem? Nun stellt euch mal nicht so an!“ Eines bleibt bei all diesen Strategien aber immer gleich: Man ist wie gelähmt, weil man so sehr damit beschäftigt ist.
Von Jesus wird eine Geschichte erzählt, wie man da herauskommen kann. Vier Männer bringen einen fünften zu Jesus. Weil er gelähmt ist, müssen sie ihn auf einer Trage transportieren. Und weil es um Jesus herum so voll ist, lassen sie ihn durchs Dach zu ihm herunter (Mk 2,3–12). Als sie das geschafft haben und Jesus den Mann sieht, sagt er zu ihm: „Deine Schuld ist dir vergeben!“ Anscheinend hat er erkannt, was dem Mann fehlt: Seine Schuldgefühle lähmen ihn. Und als die Umstehenden meinen, das sei doch keine Hilfe für den Mann auf seiner Trage, sagt Jesus noch: „Steh auf und geh nach Hause!“ Da steht der Mann auf und geht. Er hat gehört: Deine Schuld ist vergeben. Sie bedrückt ihn nicht länger. Der Mann kommt wieder auf die Beine.
Schuldgefühle sollen einen nicht fix und fertig machen. Jesus hat Schuld vergeben, im Namen Gottes. Und seinen Schülern und Nachfolgerinnen hat er gesagt: Darum könnt ihr auch bitten, „Vergib uns unsere Schuld!“. Das ist lebenswichtig. Deshalb kommt es im Vaterunser gleich nach der Bitte um das tägliche Brot.
„Vergib uns unsere Schuld.“ Für mich heißt das: Nicht nur ich mache Fehler. Ich bin nicht die Einzige, der das passiert. Aber Gott will nicht, dass wir uns quälen mit unseren Schuldgefühlen. Er vergibt, so wie Jesus das mit diesem gelähmten Mann gemacht hat. Das heißt nicht, dass alles unter den Teppich gekehrt wird. Gott schafft auch nicht einfach aus der Welt, was ich vielleicht angerichtet habe. Aber ich kann aufstehen und versuchen, es wiedergutzumachen. Ich brauche mich nicht zu verstecken. Ich kann mit meiner Schuld leben, weil Gott mich mit meiner Schuld bestehen lässt. So kann ich neu anfangen.
Sorry
„Sorry seems to be the hardest word“ – „Entschuldigung scheint das schwierigste Wort zu sein“. Dieses Lied von Elton John ist schon viele Jahre alt. Und noch immer wird es gespielt, und viele nicken mit dem Kopf, wenn sie es hören. Wer einen Fehler gemacht, vielleicht sogar anderen geschadet und wehgetan hat, der weiß das: Ich kann nicht zugeben, dass es falsch war. Und mich schon gar nicht entschuldigen.
Warum ist es so schwer, sich zu entschuldigen? Ich glaube, weil es noch schwerer ist, zu vergeben. Viele können nicht gut verzeihen. Oft wollen sie das auch gar nicht. Weil sie so verletzt sind oder so empört. Oder, weil sie damit den anderen in der Hand haben, der einen Fehler gemacht hat. Das kann man ja immer wieder hervorholen: „Ich weiß noch gut, was du damals getan hast. Da komme ich nicht drüber weg.“ So kann man andere immer wieder kleinmachen und beschämen, ihnen etwas vorwerfen. Ein bisschen kann man sich dann wie Gott fühlen, der den Daumen hebt oder senkt und über den anderen urteilt. Und das immer wieder aufs Neue. Aber so funktioniert Zusammenleben nicht.
Ich glaube: Wenn jemand nicht verzeihen kann, dann kann er auch nicht um Entschuldigung bitten. Daran erinnert das Vaterunser, wenn gleich nach dem „vergib uns unsere Schuld“ der Nachsatz kommt: „wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“. Im Vaterunser bitten Menschen Gott um Entschuldigung, weil sie wissen: Nur, wenn mich die Vergangenheit nicht mehr belastet und lähmt, kann ich aufrecht stehen und das Leben neu angehen. Nur so kann ich leben – wenn die Vergangenheit mich nicht festhält. Genauso funktioniert auch das Zusammenleben zwischen Menschen nur, wenn sie einander vergeben können. Erst dann können Beziehungen wieder lebendig werden, die erstarrt waren in Angst und Beschämung und Wut und Ärger.
Vergeben, weil Gott vergibt und wie Gott vergibt – das heißt nicht, alles zu vergessen und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre. Das kann kein Mensch, glaube ich. Aber ernst nehmen, dass es dem anderen leidtut, dass er sich ändern will, und auf Vorwürfe verzichten, das kann man schon. So macht es Gott. Und im Vaterunser sagen wir: So wollen wir es auch machen. Wir verzichten darauf, es dem anderen heimzuzahlen. Wir wollen es gut sein lassen im wahrsten Sinne des Wortes. Ich lasse gut sein, was der andere getan hat. Dann kann man neu anfangen.
Versuchskaninchen?
„Und führe uns nicht in Versuchung“ – viele können und wollen sich das nicht vorstellen. Gott, der es gut mit mir meint, sollte mich absichtlich in Versuchung führen? Gewissermaßen lächelnd zuschauen, wie ich einen falschen Weg gehe? Das ist sicher nicht richtig übersetzt, sagen manche dann. Wahrscheinlich muss es heißen: „Führe mich in der Versuchung“ oder „Lass uns nicht in Versuchung geraten“. Das hat sogar der Papst neulich vorgeschlagen.
Ich kann mir das auch nicht vorstellen, dass Gott mich wie ein Versuchskaninchen behandelt und auf falsche Wege führt, bloß um zu sehen, was ich dann tue. Und schon die ersten Christen fanden das anscheinend undenkbar.