Название | Nordwestbrise |
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Автор произведения | Monika Dettwiler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858826343 |
Otpert antwortete, was Waldbert ihm geraten hatte: «Schriftliches verlangt das Gesetz nur bei Landhändeln mit der Kirche. Diese Schenkung wurde meinem und Waldberts Vorfahren per Handschlag gemacht.»
Obwohl Waldbert und seine Zeugen bestätigten, das stimme, und jeder im Arbongau wisse, dass der Kämmerer Talto vom König das ganze Gebiet geschenkt bekommen habe und Waldbert das Recht habe, dieses Land an seinen Verwandten Otpert weiterzugeben, war der Richter weder von den Argumenten des Angeklagten noch von jenen des Anklägers überzeugt. Einerseits seien diese Besitzverhältnisse allen im Süden des Bregenzersees bekannt, anderseits gälten Zeugnisse vom Hörensagen nicht. Schliesslich entschied er, es gebe keine andere Lösung als eine Landbegehung mit Zweikampf, um festzulegen, ob Otperts Siedlung ihm gehöre.
Statt etwas zum Urteil zu sagen, warf Titrich ein, der angeklagte Otpert habe überdies den Arboner Kirchenknecht Gutan gestohlen.
Der Richter sperrte den Mund auf, um Titrich zurechtzuweisen, aber Otpert kam ihm zuvor. Mit einem Blick auf Titrich sagte er, der Zweikampf sei ihm recht, und den Hörigen Gutan habe er der Kirche abgekauft. Er nutze nun ebenfalls die Gelegenheit, um einen eigenen Anspruch vorzubringen.
«Alle hier wissen, dass Titrich der neue Befehlshaber von Arbon ist, weil seine Leute Waldram ermordet und seine Sippe vertrieben haben», holte er aus und sprach rasch weiter, weil er zwischen den Augen des Richters eine tiefe Falte sah. «Ich klage Titrich an, meine Tochter Utalind in den Norden des Sees verschleppt und als Magd verkauft zu haben. Bringt er sie mir zurück, gebe ich mich mit achtzig Schillingen zufrieden. Sonst verlange ich nach Gesetz das ganze Wergeld von vierhundert Schillingen.»
Ein Raunen ging durch den Thing, und Titrich wurde blass. Er fürchtete um sein Leben und seine Ehre, denn eine solche Entschädigung konnte niemand aufbringen.
Aber der Richter schlug seinen Stab auf den Tisch und fand endlich seine Stimme wieder, die vor lauter Verblüffung versagt hatte. Das seien zwei andere Fälle, schrie er. Otpert und Titrich müssten wegen der Tochter und des Knechts auf einen nächsten Thing hin klagen. Mit einem Blick auf Otpert fügte er hinzu, falls er nicht schwören könne, dass Titrich persönlich seine Tochter geraubt habe, lasse er es lieber gleich bleiben und wende sich an ein Gericht am anderen Seeufer.
Otpert fürchtete sich vor der Landbegehung, weil er noch nie bei einer dabei gewesen war. Überhaupt hatte er sich bisher mit Richtern und Grafen nicht ausgekannt, weil in Arbon immer Waldram alles geregelt hatte. Jetzt war er selbst verantwortlich für seine Siedlung und all die Verwandten, und das verunsicherte ihn.
An einem sonnigen, trockenen Tag im Mai kam auf richterlichen Befehl Titrich in die Siedlung, und von weither auch ein alemannischer Graf namens Petto, von dem Otpert meinte, er sei irgendwie mit ihm versippt. Otpert war erleichtert, dass Titrich den Grafen ohne weiteres akzeptierte, denn er wusste nicht viel von Gesetzen und hatte von diesem Tag die Entscheidung erwartet. Auf Pettos Geheiss mussten Otpert und Titrich aber nur die Stelle bezeichnen, an der ihrer Meinung nach die Grenze zwischen Otperts Siedlung und dem Königsland lag. Wie zu erwarten, ging Titrich nach Osten, bis zum Tobel, das zur Steinach hinunterführte, während Otpert sich so weit westlich aufpflanzte, dass neben der Siedlung auch der Wald mit den künftigen neuen Feldern zwischen ihm und dem Fluss lagen. Das strittige Gebiet dazwischen wurde mit Pflöcken eingegrenzt. Auf halbem Weg trafen sich die beiden, wie das Gesetz es verlangte, und hoben gemeinsam Erde aus, steckten Zweiglein hinein und übergaben sie dem Grafen. Petto wickelte die Scholle in ein Tuch, setzte vor allen sein Siegel darauf und sagte, er bewahre sie in Treuhand bis zum nächsten Gerichtstermin auf.
Otpert reiste mit seinem Gefolge schon einen Tag früher nach Arbon und übernachtete in jenem Pfostenhaus, in dem sie sich nach dem Überfall zusammengefunden hatten. Auch Waldbert kam, um ihm Mut zu machen, aber unglücklicherweise erzählte er Otpert, was er über den Gegner erfahren hatte. Titrich sei am Merowinger Königshof aufgewachsen und habe den dort üblichen Waffendrill mitgemacht. Otpert erschrak. Er war zwar eher jünger als Titrich und kräftiger gebaut, aber er hatte mit Schaufel und Egge mehr Erfahrung als mit dem Schwert. Ich bin im Recht, sagte er sich schliesslich. Gott weiss das und wird mir beistehen. Alles Zögern würde nichts helfen. Er hatte einen Eid geschworen und jetzt viel mehr Angst, sich dagegen zu versündigen, als im Zweikampf zu sterben.
Im Thing legten Graf Petto und der Richter die Erdscholle mit den Zweiglein auf den Boden, Titrich berührte sie mit seinem Schwert und rief: «Gott, unser Schöpfer, gibt dem den Sieg, der im Recht ist!» Als auch Otpert gesprochen hatte, standen sie sich mit gezogenen Schwertern gegenüber.
Otpert war bleich, noch nie hatte er sich so elend und ausgeliefert gefühlt. In einer Schlacht, stellte er sich vor, ist man einer von vielen, man kann losstürmen in die eigene Kraft. Aber hier, im Thing, stand er mit Titrich allein. Einem Titrich, den er in Gedanken zum gefährlichsten Schwertkämpfer des Reichs gemacht hatte. Otperts Unruhe wuchs, und als Titrich ihm mit erhobenem Schwert entgegenkam, ging Otpert vorwärts, zögerte, begann heftig zu schwitzen, machte wieder einen Schritt vorwärts und stolperte so unglücklich über eine Wurzel, dass er hinfiel und sich den Schwertarm brach.
Gott habe gesprochen, urteilte der Richter, der Zweikampf sei zu Ende. Das strittige Gelände gehöre dem königlichen Hof und nicht dem Angeklagten. Weil Otpert schon genug gestraft sei, erlasse er ihm aber die Busse von zwölf Schillingen.
Utina schlich sich aus der Siedlung; der Vater und die Brüder waren auf der Jagd, und sonst achtete niemand auf sie. Dem Rinnsal entlang ging sie zur Steinach und sah sich die Bäume über dem Tobel genau an. Da, neue Kratzspuren an der Rinde. Am Boden entdeckte sie auch einen grossen frischen Kothaufen. Sie legte sich auf die Lauer. Plötzlich sah sie ihn, weiter südlich, wo das Ufer weniger steil war. Der Bär stand im Wasser und versuchte tolpatschig, mit seiner Tatze zu fischen. Aber da keine Mutter da war, die ihm zeigte, wie es ging, gab er bald auf und machte sich über einen Brombeerstrauch her. Einmal richtete er sich auf, wackelte mit dem Kopf und drehte sich in Utinas Richtung. Sie wusste, dass Bären eine gute Nase haben, und freute sich.
Lange sah sie dem Bären zu. Sie hatte keine Lust, nach Hause zurückzukehren; so ging es allen in der Siedlung. Seit der Richter entschieden hatte, dass sie Utinishusen dem Königshof überlassen mussten, fühlte sich hier niemand mehr sicher, obwohl Otpert gegen alle entschieden hatte zu bleiben. Der Richter werde bestimmt nicht kommen, um sie zu vertreiben, und Titrich habe einfach recht haben wollen, aber die Siedlung sei ihm kaum die Mühe wert, nochmals in den Thing zu gehen. Keiner getraute sich, Otpert zu widersprechen, aber wohl und zu Hause fühlte sich niemand mehr.
Um nicht mit leeren Händen zurückzukehren, suchte Utina nach Beeren, aber sie fand nicht mehr viele. Der Sommer war fast zu Ende. Als sie von weitem die ersten Häuser sah, hörte sie Menschen schreien. Rauchsäulen stiegen zum Himmel auf. Sie sah überall Feuer und Männer, die mit Fackeln durch die Siedlung ritten oder liefen und Türen eintraten.
In Panik griff Utina an den Saum ihres Hemdes, erinnerte sich, dass sie für den Waldspaziergang alte Kleider angezogen hatte, und kehrte im Zickzackkurs heim, um niemandem zu begegnen. Während sie rannte, schlug der Zopf hart an ihren Nacken. Als sie das Haupthaus sah, fuhr sie zusammen. Die hintere Bohlenwand stand in Flammen, sie züngelten schon zum Strohdach. Utina stiess die Tür auf und stürzte zu ihrer Truhe. Mit einem Griff packte sie ihre gute blaue Tunika und das Gehänge mit Amelias Fibeln, ertastete das Amulett und rannte durch den brennenden Türrahmen ins Freie.
Utina schnappte nach Luft; sie fühlte sich verloren. Wo waren die anderen? Sie schlug den Weg zur Steinach ein und kam unbehelligt zum Dorfrand, wo die Häuser ebenfalls brannten. Um Glut und brennenden Holzstücken auszuweichen, folgte sie dem Bach, aber plötzlich stürzte ein Dachstück des letzten Hauses mit solcher Gewalt herunter, dass sie nicht schnell genug zur Seite springen konnte. Der Balken krachte in einem Funkenmeer gleich neben ihr auf den Boden, und ein brennendes Holzstück traf ihren Arm. Utina schrie und verlor vor Schmerz fast die Besinnung, weil das glühende Holz sich in ihrer Tunika verheddert hatte und sie es nicht wegschütteln konnte.
Als ein Mann sie packte und zum Bach schleppte, stach ihr der Geruch ihres eigenen versengten Fleisches in die Nase. Wie gebratenes Huhn, dachte sie, und alles wurde schwarz um sie. Vorsichtig tauchte der Mann ihren