Название | Tod am Piz Beverin |
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Автор произведения | Rita Juon |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858302380 |
Toni lehnte sich zurück und beobachtete die Gäste. Die Frau mit den beiden Mädchen war am Vortag bereits hier gewesen, Wochenendausflügler. Eine nette Idee, mit den Kindern auf den Glaspass zu kommen, in einem der einfachen Zimmer zu übernachten, ein wenig zu wandern und draussen zu spielen. Sympathisch, wenn auch etwas langweilig.
Die hübschen Beine verbargen sich leider unter dem Tisch und lenkten so seinen Blick nicht vom Gesicht der jungen Frau ab, die sich über ihr Telefon beugte und mit dem Schreiben einer Nachricht beschäftigt war. Als sie kurz aufschaute, um einen Schluck ihres Mineralwassers zu trinken, kreuzten sich ihre Blicke. Hübsche Augen, freundliche Ausstrahlung, könnte sich als ganz nett herausstellen. Ihr gegenüber sass ein junger Italiener, der sich ebenfalls mit seinem Telefon beschäftigte. Für Toni würde es immer ein Rätsel bleiben, wieso die jungen Leute ihren elektronischen Kontakten eine höhere Priorität einräumten als den realen. Zwei junge Leute an einem Tisch sollten sich miteinander unterhalten, nicht jeder für sich mit seinem Telefon! Jetzt näherte sich energischen Schrittes ein zweiter Südländer, der offenbar auf der Toilette gewesen war.
«Ah, Lorenzo, erst halb zehn! Wird es denn nie mehr Abend heute? Gehen wir?»
«Nein, das hat keinen Wert, Gianni arbeitet noch. Vor elf Uhr müssen wir nicht unten sein, um diese Zeit ist auch noch nichts los in Thusis. Komm, Tiziano, trinken wir noch was.» Er winkte Frank.
Tiziano trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch, war aber einverstanden. Er musterte Sandra Studacher, der schon wieder ein Ton den Erhalt einer neuen Mitteilung ankündigte.
«Wem schreibst du denn die ganze Zeit? Ist das so wichtig?»
Seine Stimme war laut genug, dass Toni jedes Wort verstehen konnte und unter seinem Bart verstohlen schmunzelte. Ein Seelenverwandter.
«Moment … warte …», murmelte Sandra.
«Hallo, Sandra, du hast Gesellschaft!» Tiziano wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht.
«Lass sie doch», beschwichtigte Lorenzo, «es scheint wichtig zu sein.»
«Quatsch, wichtig! Los, Sandra, erzähl mal, was schreibst du da?»
«Senden!», murmelte sie, berührte das Gerät am richtigen Ort und blickte auf. «Was ich schreibe?», wiederholte sie. «Eine Kollegin hatte heute eine wichtige Prüfung, da wollte ich nachfragen, wie es ihr gegangen ist. Eine andere hat sich erkundigt, ob ich gut angekommen sei. Meine Mutter war mit dem Hund beim Tierarzt und teilte mir mit, dass ihn dieser behandeln konnte. Ein Bekannter …»
«Eben, ich wusste es doch! Alles unwichtig, hast du gehört, Lorenzo?»
«Na, hör mal! Meine Freunde und die Familie sind wichtig für mich!», empörte sich Sandra.
«Aber in den Ferien sind doch die neuen Bekanntschaften wichtig, sonst müsstest du ja gar nicht wegfahren, capisci? Du könntest genauso gut zu Hause auf dem Sofa sitzen, allein, die ganze Woche, und Nachrichten schreiben.»
Sandra holte tief Luft, um zu einer Antwort anzusetzen. In diesem Moment ertönte ein penetranter Glockenklang, der Tiziano aufspringen liess. Er riss sein Smartphone aus der Hosentasche, meldete sich mit «ciao, ciao, dimmi …» und verliess eilig das Restaurant.
Lorenzo hob resigniert die Schultern und lachte Sandra an. Sie lächelte zaghaft zurück.
«Grosse Worte und nichts dahinter, was?», sagte sie.
«Ja, er ist ein unverbesserlicher Schwätzer, aber mit ihm läuft immer etwas, da ist es nie langweilig!»
Auch Toni Hunger, der die Szene beobachtet hatte, lachte. Einen Tisch weiter vorne sassen Petra und Georg Steingruber, die Gäste aus Österreich, die nichts mitbekommen hatten. Sie beugten sich tief über eine Wanderkarte, ihre Köpfe berührten sich fast, und unterhielten sich leise. Am Tisch, der der Tür am nächsten stand, sassen die drei jungen Deutschen. Sie hatten noch kaum miteinander gesprochen, seit Toni hier war. Einer kratzte sorgfältig die letzten Reste seines Desserts aus dem Teller, einer spielte mit dem Zuckerpäckchen, das er zu seinem Kaffee erhalten hatte, und der dritte stocherte mit einem Hölzchen in seinen Zähnen.
Frank versicherte sich mit einem Blick, dass alle seine Gäste bedient waren, bevor er sich an einen der Tische setzte. Er hatte eine Karte und einige Prospekte dabei und gab bereitwillig Auskunft über die Sport- und Ausflugsmöglichkeiten, die sich den Gästen boten.
«Der Piz Beverin ist nicht zu unterschätzen. Der Aufstieg von hier aus ist keine einfache Wanderung, sondern eine Bergtour.»
«Muss man denselben Weg wieder runter, oder gibt es noch andere Routen?», fragte einer der drei Deutschen.
Frank schilderte ausführlich die anderen, weniger problematischen Möglichkeiten und ging dann über zu den leichteren Wanderungen: längere und kürzere, steilere und flachere, einsamere und solche mit Gasthäusern am Weg.
«Der Weg vom Glaspass hinunter ins Safiental hätte mich heute ungemein gereizt, als ich mit dem Velo unterwegs war», sagte Sandra. «Wie komme ich von dort wieder zurück hierher?»
«‹Velo› sagt sie», bemerkte einer der Deutschen halblaut. Und in verletzend abschätzigem Tonfall fügte er hinzu: «Wie soll jemand Fahrrad fahren können, wenn er’s nicht mal aussprechen kann?»
Einen Moment herrschte Totenstille, dann beeilte sich sein Gefährte zu bemerken: «Ach, Dieter, nun fang bloss nicht schon wieder an, dich so aufzuführen, ja?» Als der Dritte ansetzte, ebenfalls etwas zu sagen, brachte er ihn mit einem Blick zum Schweigen.
Dieter grinste spöttisch und blickte Sandra herablassend an. Bevor sie etwas sagen konnte, ergriff Frank das Wort und erklärte ihr freundlich: «Mit dem Velo – oder Fahrrad – », fügte er mit einem Blick auf Dieter hinzu, «über den Glaspass ist sehr zu empfehlen für geübte Fahrer mit guter Kondition.» Er beschrieb den schmalen Pfad den Heinzenberg hinunter nach Safien-Platz, dann den Weg durch das Safiental hinaus und diesseits des Heinzenbergs zurück. «Zum Schluss musst du dann noch den ganzen Weg bergauf nach Glas, das ist ein Krampf. Wenn du zu müde bist, kannst du das Postauto bis Tschappina benützen, dann brauchst du nur noch das letzte Stück zu trampeln.»
«Toll, das reizt mich. Kann ich dasselbe Bike morgen nochmals mieten?», fragte Sandra.
«Schau, schau, jetzt sagt sie ‹Bike›. Sogar Fremdsprachen beherrscht sie.» Dieters Stimme triefte vor Hohn und brachte den dritten deutschen Kollegen zum Explodieren.
«Nun halt endlich deine verdammte Fresse, du Arschloch! Im Restaurant unterwegs hast du den Kellner fertig gemacht, der Verkäuferin im Sportgeschäft ging’s nicht besser, und jetzt das. Du bist doch nicht normal!»
«Klaus, bitte, lass dich nicht provozieren.» Sein Kamerad versuchte wieder zu schlichten. «Dieter, heute bist du wirklich übel gelaunt. Lass doch die Leute in Frieden.»
Dieter setzte ein abschätziges Lächeln auf, schwieg aber. Erleichtertes Aufatmen bei den übrigen Gästen.
Angela Oberhofer erkundigte sich bei Frank nach ein, zwei Kesseln, die sie sich ausleihen könnte, weil sie am Montag Heidelbeeren sammeln wollte mit den Kindern.
«Klar, ich gebe euch die grossen Jogurt-Behälter mit, die braucht ihr nicht zurückzugeben. Am meisten Beeren findet ihr am Heidbüel, das ist die Kuppe am Fuss des Piz Beverin. Er ist über und über voll von Heidelbeerstauden und Alpenrosen. Zuoberst befindet sich ein kleiner See, fast eingewachsen, in einer Stunde seid ihr dort. Dahinter beginnen die Felsen, doch bis zum Teich ist der Weg völlig ungefährlich und gut markiert.»
Angela bedankte sich für die Auskünfte und machte den Mädchen den Ausflug schmackhaft.
«Frank, bitt’ schön, kannst du uns etwas sagen zu dem Weg, der am Fuss des Piz Beverin entlang nach Thusis hinunterführt?»
«Oh,