Название | Tod auf dem Klangweg |
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Автор произведения | Regula Stadler |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858302397 |
Obwohl sie gutmütig lachte, glaubte Liza ihr anzusehen, dass sie nicht allzu viel von ihm hielt. Sie liess sich den Weg zu Strässles Bauernhof beschreiben und schaute dann demonstrativ auf ihre Uhr. «Oh je, ich muss weiter!» Mit einem freundlichen Nicken verabschiedete sie sich und erledigte rasch ihre Einkäufe.
Da habe ich aber wirklich Glück gehabt, dachte Liza, als sie nach Ennetbühl fuhr. So glatt läuft es bei meinen Ermittlungen nicht oft. Da, das musste Riefeners Ferienhaus sein, und etwa 150 Meter weiter hinten war der Bauernhof. Gleich daneben stand ein älteres Wohnhaus mit wahrscheinlich drei Wohnungen. Liza steuerte entschlossen auf den Bauernhof zu, parkierte ihr Auto auf dem Kiesplatz und stieg aus. Noch bevor sie sich eine gute Begründung für ihren Besuch ausdenken konnte, trat ein Mann aus der Haustür.
Liza staunte nicht schlecht: Der Mann, der auf sie zukam und sie freundlich begrüsste, war äusserst attraktiv und sympathisch. Das wird wohl kaum der Bauer sein, ging es ihr durch den Kopf, und sie schalt sich sogleich für ihre Vorurteile. «Guten Morgen, ich bin Liza Huber. Ich … Sie wissen sicher, dass Ihre Nachbarin Marie Riefener gestorben ist. Ich habe sie gefunden, gestern, auf dem Klangweg.»
«Ja … Ueli Strässle», er schüttelte ihre Hand. «Ich bin informiert und auch bereits von der Polizei befragt worden. Kommen Sie herein, darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?» Ohne ihre Antwort abzuwarten ging er mit langen Schritten ins Haus zurück. «Ich habe oft mit Marie Kaffee getrunken, erst am letzten Dienstagnachmittag noch. Sie war grad von Zürich gekommen, ausnahmsweise ohne ihre Freundin Karin. Dass jemand sie umgebracht hat, ist unfassbar für mich. Ich mochte sie sehr und freute mich immer, wenn die beiden da waren. Marie war an Kunst und Musik interessiert, weltoffen und hatte meist gute Laune, eine wirkliche Bereicherung in meinem Alltag.»
«Führen Sie den Bauernhof hier?» Liza war immer noch erstaunt.
«Ja, seit vier Jahren. Ich halte Milchschafe und produziere biologische Schafmilchprodukte. Das ist aber nicht mein Erstberuf; früher arbeitete ich als Grafiker in Zürich, in der Werbung.» Strässle lächelte und fuhr fort: «Es scheint mir ewig her, wie in einem früheren Leben.» Er schwieg gedankenverloren. «Marie wird mir fehlen. Mit ihr und Karin konnte ich über alles sprechen.» Fassungslosigkeit und Erschütterung machten sich auf seinen Zügen breit und mit einem Mal wirkte er um Jahre gealtert.
«Es tut mir leid. Aber ich kann es einfach nicht fassen.» Ratlos schaute er Liza an und schien erst jetzt zu merken, dass er mit einer wildfremden Person sprach.
«Ja, ein plötzlicher Tod, und noch dazu ein Mord, ist immer ein Schock. Auch mir ging es gestern so, obwohl ich Marie Riefener gar nicht gekannt hatte.» Liza zögerte. Sie wusste nicht recht, was sie den Mann noch fragen sollte und ob sie ihn noch weiterbefragen durfte; der Tod seiner Nachbarin schien ihm sehr zu Herzen zu gehen.
«War sie … war Marie schlimm verletzt?»
«Nein, sie hatte einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen, das sah man, es war fast kein Blut zu sehen. Ich denke, sie war sofort tot. Sie lag hinter einigen Büschen am Abhang bei der Klangwegstation Nummer 6, der Glockenbühne.»
«Das war Maries Lieblingsposten. Sie läutete immer die Glocken, wenn sie dort vorbeikam, sie behauptete, sie könne eine Berggeistmelodie spielen.» Strässle rang um Fassung.
Lizas Gewissen regte sich. Warum konnte sie den armen Mann nicht in Ruhe lassen! «Herr Strässle, wissen Sie, ob Frau Riefener Feinde hatte im Toggenburg? Könnte es sein, dass sie Neider hatte? Immerhin war sie so wohlhabend, dass sie sich ein Ferienhaus leisten konnte.»
Die Ablenkung schien ihm gut zu tun. «Wenn Sie wissen wollen, ob mir jemand in den Sinn kommt, der Marie umgebracht haben könnte… Nein, ich kenne niemanden, dem ich eine solche Tat zutrauen würde. Sie war meistens die zweite Wochenhälfte hier. Die übrige Zeit lebte sie in Zürich. Vielleicht stammt der Mörder aus ihrem Bekanntenkreis in Zürich.»
«Was für ein Verhältnis hatte sie zu den anderen Nachbarn hier in Ennetbühl?»
«Ja», Strässle überlegte einen Moment: «Ich möchte niemanden anschwärzen, aber… Beate Richle, die in dem Haus da wohnt» – er zeigte mit der Hand aus dem Fenster auf das etwas heruntergekommene ältere Mietshaus –, «die hat sich mit Marie gar nicht gut verstanden. Die beiden Frauen konnten sich gegenseitig nicht ausstehen. Aber Beate ist harmlos, ein bisschen durchgeknallt. Sie hätte auch nicht die Kraft … Wenn ich Sie richtig verstanden habe, wurde Marie hinter den Büschen versteckt. Also musste sie jemand dort hingeschleppt haben. Sie ist eine grosse, schwere Frau, hat sehr gern gegessen und getrunken. Sie hat das Leben genossen. Wenigstens das.» Wehmütig blickte er aus dem Fenster. «Also, Beate hätte schlicht nicht die Kraft, Marie irgendwohin zu bewegen, da bin ich mir sicher.»
Liza war da nicht so sicher. Wenn es sein musste, konnte beinahe jeder Mensch ungeahnte Kräfte entwickeln. Sie wollte als Nächstes mit Beate Richle sprechen.
«Und dann…, gestern Abend war ich ausnahmsweise im ‹Grütli›. Die Bauern am Stammtisch haben nicht gerade freundlich von Marie gesprochen. Es gibt durchaus Leute hier oben, die sie nicht mochten.»
«Können Sie mir die Namen dieser Bauern geben? Ich möchte der Sache ein bisschen nachgehen.»
«Ich kenne nur den Albin, der hat mir den Hof hier verkauft. Der hat nicht viel gesagt, ist einer der schweigsamen Sorte. Er heisst Albin Hauser und wohnt in Nesslau, wo genau, weiss ich nicht. Die beiden anderen Männer kenne ich nicht. Da müssten Sie Elis Osmani und Roman Gasser fragen. Ich kann Ihnen ihre Adressen geben.»
«Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben und auch für den Kaffee.» Liza stand auf.
«Nichts zu danken. Ich kann mich ohnehin nicht auf meine Arbeit konzentrieren. Meine Energie reicht gerade knapp, die Tiere zu füttern, alles andere muss warten.» Traurig reichte er ihr die Hand: «Sie dürfen gerne wiederkommen, wenn Sie noch mehr wissen wollen.» Ueli Strässle schien von seinem Kummer dermassen absorbiert zu sein, dass er sich gar nicht zu wundern schien, weshalb ihm Liza all diese Fragen stellte. Sie hoffte, dass es den anderen, die sie noch zu fragen beabsichtigte, ebenso erginge.
In Gedanken versunken überquerte Liza den Kiesplatz und studierte die verwitterten Namensschilder am Nachbarhaus. Es hatte drei, zwei waren angeschrieben. Sie läutete beim untersten, einer Frieda Kunz. Nach langem Warten hörte sie langsame, schlurfende Schritte. Eine alte Frau öffnete die Türe.
«Guten Tag, Frau Kunz? Ich bin Liza Huber. Darf ich Ihnen ein paar Fragen zu Ihrer Nachbarin Marie Riefener stellen? Sie wissen sicher, dass sie gestorben ist.»
«Ich hab’s gehört, ja. Ihre Kollegen waren doch bereits da. Was wollen Sie denn noch wissen?» Die alte Frau wirkte müde und etwas desorientiert.
Liza beschloss, sie im Glauben zu lassen, dass sie von der Polizei sei. Das konnte nicht schaden. «Wie gut haben Sie Frau Riefener gekannt?»
«Wir haben uns gegrüsst, mehr nicht. Ich habe sie schon länger nicht mehr gesehen. Ich komm ja kaum noch aus dem Haus.»
«Wissen Sie, ob sie mit jemandem hier befreundet war?» Liza liess nicht locker.
«Nein, tut mir leid. Ich weiss nichts. Auf Wiedersehen.» Frau Kunz schloss die Türe.
Liza entzifferte das mittlere Türschild: Margrith Schaller. Wo wohnte denn diese Beate, von der Ueli Strässle gesprochen hatte? War die nicht angeschrieben? Sie läutete bei Frau Schaller.
«Die wohnt nicht mehr hier, die ist im Pflegeheim.»
Liza fuhr herum.
Eine kleine magere Frau, einige Jahre jünger als sie, mit stechend blickenden schwarzen Augen, kam auf sie zu.
«Habe ich Sie erschreckt?» Etwas, was man als Genugtuung