Tod auf dem Klangweg. Regula Stadler

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Название Tod auf dem Klangweg
Автор произведения Regula Stadler
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783858302397



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Kindheit verändert; die meisten waren offen, hilfsbereit und freundlich. Damals war sie jedoch einer der Gründe gewesen, weshalb er sich entschieden hatte, sein Heimattal zu verlassen und nach Zürich zu ziehen. Warum er hierher zurückgekehrt war, um einen Bauernhof zu übernehmen, war ihm selber nicht ganz klar. Denn ausser am Wochenende, wenn immer wieder einmal jemand aus seinem Freundeskreis in Zürich zu ihm auf Besuch kam, war Ueli an den meisten Abenden allein. Und mit seinem Bruder und dessen Familie, die in Wattwil wohnten, verband ihn wenig. Deshalb freute er sich, wenn er neue Leute kennenlernte, mit denen er über Dinge sprechen konnte, die ihn wirklich interessierten und berührten.

      Er betrat das «Grütli», wo Roman Gasser bereits an einem Tisch sass. Die Beiz war recht voll, der Lärmpegel entsprechend hoch. Am Nebentisch, anscheinend dem Stammtisch, sassen Albin Hauser, der alte Bauer, der ihm vor vier Jahren seinen Hof verkauft hatte und zwei weitere ältere Männer, die Ueli vom Sehen kannte. Er nickte kurz in ihre Richtung und setzte sich zu Roman an den Tisch. «Wo bleibt denn Elis?», wunderte er sich.

      «Der sollte jeden Moment da sein», gab ihm Roman zur Antwort.

      «Wisst ihr’s schon? Auf dem Klangweg oben beim Iltios wurde heute Morgen eine Tote gefunden, ermordet, soviel ich gehört habe.» Die kräftige Männerstimme kam vom Stammtisch und gehörte Hans Rohner, einem Bauern, dessen Gestalt trotz seines vorgerückten Alters immer noch aufrecht und kraftvoll wirkte.

      Roman und Ueli drehten sich zum Nebentisch um.

      «Weiss man schon, wer es ist?» Diese Frage kam von Fritz Egli.

      «Eine ältere Frau, hat’s geheissen. Den Namen haben die von der Polizei bis jetzt nicht herausgegeben», antwortete Hans Rohner.

      «Dann wurde sie, äh, nicht … ihr wisst schon.» Fritz Egli linste halb lüstern, halb verschämt in die Runde. Er war ein verschlagen und arglistig wirkender, ungefähr siebzigjähriger Bauer, klein, dürr, mit einem wirren grauen Haarschopf.

      Ueli war er äusserst unsympathisch, und er wandte den Blick angewidert von ihm ab. Sein Bier wurde serviert und er begann sich mit Roman zu unterhalten, doch beide waren nicht ganz bei der Sache. Der Leichenfund, über den allem Anschein nach auch an anderen Tischen gesprochen wurde, und die zunehmende Lautstärke am Stammtisch, an den sich mittlerweile zwei weitere Männer gesetzt hatten, lenkten sie ab. Eine Weile lauschten sie der Unterhaltung.

      Als Egli zum Bier eine Runde Schnaps bestellte, wurde es wieder leiser. Die Stimmung war leicht angespannt, verhalten aggressiv. Wie meistens an solchen Stammtischen, dachte Ueli, der sich zunehmend unwohl fühlte. Während er noch überlegte, wie er sich mit Anstand verabschieden könnte, trat Elis Osmani in die Wirtsstube.

      «Wisst ihr’s schon, deine Nachbarin, Ueli, die Marie Riefener, wurde auf dem Klangweg tot aufgefunden. Sie scheint ermordet worden zu sein. Jemand hat sie erschlagen.» Bleich und fassungslos liess sich Elis auf einen Stuhl sinken.

      «Was, Marie, das kann doch nicht sein! Ich habe am Dienstagnachmittag noch mit ihr Kaffee getrunken!» Ueli war aschfahl.

      Mit einem Mal war es still im ganzen Lokal. Alle schauten zu ihnen, vereinzelt waren mitfühlende Blicke auszumachen, doch bald nahmen die meisten ihre Unterhaltung wieder auf.

      «Die tat doch immer von oben herab, wollte alle herumbefehlen, und eine Lesbe war sie auch.» Fritz Eglis hohe Fistelstimme war deutlich zu vernehmen. Er war offensichtlich angetrunken.

      «Hör auf! Das gehört sich nicht, die Frau ist tot, lass sie in Frieden.» Hans Rohner schien noch nüchtern zu sein. Das Stimmengewirr wurde wieder lauter.

      Ueli sass wie gelähmt am Tisch, schüttelte immer wieder den Kopf. Elis legte dem Freund den Arm um die Schultern.

      «Du hast sie doch auch gekannt, Albin?», wandte sich Hans Rohner an seinen griesgrämigen Kumpel, der bis jetzt geschwiegen hatte.

      «Komm, wir gehen.» Roman fand es höchste Zeit, dass Ueli hinauskam. Nachdem er bezahlt hatte, standen die drei auf.

      «Ja, und du hast sie auch nicht gemocht. Kein gutes Haar hast du an der gelassen!» Das war wieder Eglis hohe Fistelstimme.

      «Die Riefener haben viele nicht gemocht. Wenn man sie deswegen umgebracht hätte, wäre sie schon oft gestorben.» Albin Hausers Worte begleiteten sie auf dem Weg nach draussen, wo Ueli gierig die frische Abendluft in sich hineinsog.

      Am Freitagmorgen war Liza im Auto unterwegs nach Wattwil. Ihre Ferienstimmung war merklich gedämpft. Sie schwankte zwischen sofort abreisen und die Fährte der ermordeten Frau aufnehmen wollen. Die Tote liess ihr keine Ruhe, also war es wohl besser, wenn sie ihrer Neugierde nachgab und versuchte, auf der Polizeistation so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Da sie dem sympathischen Polizisten bisher verschwiegen hatte, dass sie in Zürich als Detektivin arbeitete, würde sie das heute wohl nachholen müssen.

      Ihr Detektivbüro war zu ihrem Erstaunen die ersten paar Jahre recht gut gelaufen, doch in letzter Zeit hatte sich die Auftragslage verschlechtert, und Liza war froh, dass sie dank einer kleinen Erbschaft etwas Geld hatte, auf das sie wenn nötig zurückgreifen konnte. Vielleicht war es damals keine so gute Idee gewesen, sich auf weibliche Klientel zu spezialisieren. Doch nach ihrer Scheidung war sie nicht nur auf ihren Exmann Oskar, sondern auf Männer im Allgemeinen nicht gut zu sprechen gewesen. Erst seit ungefähr einem Jahr hatte sich das beinahe unmerklich geändert, und wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie ab und zu einen Mann vermisste. Sie stellte ihr Auto auf den Parkplatz vor der Gemeindeverwaltung Wattwil und betrat die Polizeistation.

      «Da sind Sie ja, Frau Huber, bitte kommen Sie herein», wurde sie von Walter Widmer begrüsst. Sein freundlicher Blick strahlte eine Ruhe aus, die sich auf Liza übertrug. Er schien alle Zeit der Welt zu haben. «Hier ist das Protokoll. Was noch fehlt, ist Ihre Wohnadresse in Zürich und die Adresse der Schule, wo Sie zurzeit tätig sind.» Nachdem er ihr einen Stuhl angeboten hatte, setzte er sich wieder an den Computer. «Also, Ihre Adresse bitte…»

      «Heimatstrasse 27, 8008 Zürich», antwortete Liza.

      «Und an welcher Schule unterrichten Sie?»

      «Ich arbeite schon lange nicht mehr als Primarlehrerin», gestand sie etwas verlegen. «Momentan bin ich selbständig, ich habe eine Detektivagentur im gleichen Haus, in dem ich wohne …» Sie zögerte: «Und früher habe ich zehn Jahre bei der Stadtpolizei Zürich gearbeitet. Darf ich Sie fragen, wie die ermordete Frau heisst? Ich muss zugeben, die Tote lässt mir keine Ruhe mehr, nachdem ich quasi über sie gestolpert bin», brach es aus ihr heraus. Sofort ärgerte sie sich über ihr Vorpreschen.

      Widmer musterte sie verblüfft. «Aha, eine ehemalige Kollegin! Und erst noch eine äusserst vielseitige! Sie wollen demnach Ihre restlichen Ferientage nutzen, um möglichst viel über diesen Mordfall in Erfahrung zu bringen! Hmm, ich weiss nicht, ob das eine gute Idee ist. Und Sie wissen, dass ich Ihnen keinerlei Auskunft geben darf. Tut mir leid. Den Namen der Toten werden Sie schnell genug selber herausfinden.» Er stand auf, um sie zu verabschieden und registrierte ein wenig belustigt die verschiedenen Gefühle, die sich in Liza Hubers Gesicht spiegelten. Sie kämpfte sichtlich gegen ihre Neugier, für die sie sich gleichzeitig zu schämen schien.

      Auf dem Rückweg beschloss Liza, auf eigene Faust einige Nachforschungen anzustellen; sie konnte einfach nicht anders. Dieser Widmer sollte doch wissen, dass es nicht Sensationslust war, die sie antrieb, sondern berufliches Interesse. Es war wie eine Art Fieber, sie musste unbedingt herausfinden, was geschehen war. Ohne diese berufliche Neugier könnte sie ihren Job gar nicht machen. Als Erstes musste sie wissen, wie die Frau hiess und wo sie wohnte. Sie fuhr nach Nesslau zurück und parkierte ihr Auto vor dem Coop. Beim Einkaufen erfuhr man immer wieder Neuigkeiten. Schon bei den Gemüseregalen traf sie auf eine junge Frau, der sie auf ihren Spaziergängen bereits mehrmals begegnet war. Zum Glück ist es auf dem Land üblich, sich zu grüssen, dachte Liza und nickte ihr freundlich zu.

      Diese unterbrach ihr Gespräch mit einer älteren Dame und rief aufgeregt: «Haben Sie es schon gehört? Auf dem Klangweg ist eine Frau ermordet worden! Marie Riefener.»

      «Ja, ich weiss, ich habe sie gestern Morgen gefunden.» Im Nu war Liza von mehreren Leuten