Название | Pine Ridge statt Pina Colada |
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Автор произведения | Katja Etzkorn |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783948878122 |
Sannah drehte das Radio auf. Der Sendersuchlauf startete automatisch und blieb bei Kili Radio hängen. Eine Frauenstimme sprach auf Lakota, anschließend folgte traditionelle Musik. Sie schaltete wieder ab. Momentan wollte sie nicht auch noch vom Radio daran erinnert werden, wo sie sich befand. Kurze Zeit später fuhr sie an Wounded Knee vorbei und spürte wieder diesen Stich in der Brust. Gestern hatte Josh sie dort oben in die Arme genommen, und sie hatte die Welt um sich herum vergessen. Noch nie hatte sie sich so geborgen gefühlt wie in diesem Moment. Der Stich bohrte sich tiefer, als ihr bewusst wurde, dass sie genau das wollte. Das Gefühl von Geborgenheit in seinen Armen. Wieder schnürte sich ihre Kehle schmerzhaft zu. Sannah rang um ihre Fassung und landete eine Viertelstunde später in Pine Ridge. Da sie keine Ahnung hatte, was sie hier hätte machen können, fuhr sie zum Shoppingcenter. Schokolade und Eiscreme waren immer noch das bewährte Mittel als Seelentröster und Nervennahrung. Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihr Wagen der einzige auf dem Parkplatz war. Der Laden öffnete erst um acht. Sie fuhr zu einem Sandwich-Laden zwei Blocks weiter. Ein paar Autos auf dem Parkplatz verrieten ihr, dass man hier um diese Uhrzeit schon etwas bekam. ‚Wenigstens etwas‘, dachte sie und stieg aus. Drinnen kaufte sie sich einen Kaffee und einen Schoko-Cookie und setzte sich in die hinterste Ecke. Der Kaffee war ganz okay und der Cookie klebrig und süß. Genau das brauchte sie jetzt. Sie starrte aus dem Fenster und beobachtete das Treiben auf der Hauptstraße, als ein Wagen der Tribal Police genau neben ihrem hielt. Sam stieg aus, schaute noch mal auf ihr Nummernschild und ging dann in den Laden.
„Hi, Sam“, begrüßte ihn der junge Mann hinter dem Tresen. „Das Übliche?“
Sam nickte freundlich und rieb sich mit einer Hand über die Augen. Er sah sich im Gastraum um, und als er Sannah entdeckte, lächelte er und setzte sich zu ihr an den Tisch.
„Hey, hab ich deinen Wagen doch richtig in Erinnerung“, stellte er fest und grinste fröhlich.
„Hallo, Sam“, grüßte sie zurück und versuchte, ein möglichst neutrales Gesicht zu machen. Sie wollte nicht, dass er merkte, was mit ihr los war.
„Was machst du denn hier, um diese Uhrzeit?“, fragte er erstaunt.
„Ich wollte nur schnell was einkaufen, bin aber zu früh dran“, antwortete sie.
Der junge Mann vom Tresen brachte das Sandwich und den Kaffee an den Tisch.
„Stimmt so, Luke“, sagte Sam und drückte ihm Geld in die Hand.
„Und wo ist Josh?“, erkundigte sich Sam, bevor er seinen Kaffee trank.
„Der putzt die Pferde, denke ich“, sagte sie arglos.
Sam sah sie entgeistert an. „Er lässt dich alleine hierher fahren?“
„Ich habe ihn nicht um Erlaubnis gefragt, warum sollte ich?“, konterte Sannah etwas irritiert.
Luke spitzte hinter seinem Tresen die Ohren. Sie bemerkte das Interesse und ahnte schon, dass der Moccasin Telegraph wirklich überall war.
„Das ist ein freies Land“, erklärte sie trotzig. „Ich kann fahren, wohin ich will.“ Langsam verwandelte sich ihre Niedergeschlagenheit in Zorn. Das wäre ja noch schöner, wenn er ihr vorschreiben würde, was sie tun oder lassen darf.
„Weil es gefährlich ist, Sannah“, entgegnete Sam in der gleichen ruhigen Art wie Josh. „ Abends lassen sich viele drüben in White Clay volllaufen und fahren dann in den frühen Morgenstunden sturzbetrunken nach Hause. Frühmorgens ist immer die Zeit mit den meisten schweren Autounfällen. Heute Nacht waren es zwei allein hier in Pine Ridge. Du bist wirklich nicht von hier“, stellte er sachlich fest. „Was ist los bei euch, habt ihr Zoff?“, hakte er mit dem untrüglichen Gespür eines Cops nach.
Sannah beschloss ehrlich zu sein. „Zoff bedeutet, dass man sich streitet, aber Josh streitet nicht. Er ist sauer auf mich und mault herum. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum. Also hab ich mich ins Auto gesetzt und bin einfach weggefahren. Abgesehen davon ist alles bestens. Ich bin ja schließlich nur zu Besuch da. Ab Mitte August hat er dann wieder seine Ruhe vor mir. Ich wette, er zählt schon die Tage.“ Es klang resigniert.
Sam schüttelte nur den Kopf. Das war wieder typisch Josh. Er hatte gehofft, dass Josh durch Sannah zur Besinnung kommen würde. Vor ein paar Tagen hatte ja auch alles danach ausgesehen, aber ganz offenbar saß White Cloud jetzt wieder in der hintersten Windung seines Schneckenhauses und schmollte. „Dann stimmt die exotische Variante also?“, fragte er mit einem kleinen Grinsen.
Sie nickte. „Ist mir zwar ein Rätsel, was daran exotisch ist, aber ja.“
„Mir gefiel die Variante vom Moccasin Telegraph besser“, meinte Sam ehrlich. „Ich bin sein bester Freund und deswegen kann ich dir keine Einzelheiten erzählen, aber gib ihm ein bisschen Zeit, er kriegt sich schon wieder ein. Er mag dich, und du tust ihm gut, Sannah.“
„Das glaube ich nicht, Sam. Am Anfang hat er mich angesehen wie etwas, in das man tunlichst nicht reintreten will. Abgesehen davon ist es ohnehin egal“, antwortete sie.
Sam fing an zu lachen. „Du bist eine Klapperschlange!“
„Bitte?“, fragte sie jetzt völlig irritiert.
Sam lachte immer noch. „Für Josh gibt es nur zwei Arten von Frauen: Kornnattern und Klapperschlangen. Kornnattern beachtet er nicht, weil sie ihm nicht gefährlich werden können. Klapperschlangen dagegen lassen ihn nicht kalt, sie können ihm gefährlich werden, und darum geht er ihnen aus dem Weg. Jedenfalls versucht er das. Dir kann er aber nicht aus dem Weg gehen. Ich denke, du hast ihn schon gebissen, und jetzt leckt er seine Wunden.“ Sam verspeiste die Reste seines Sandwichs und amüsierte sich weiter. Sein Funkgerät an der Schulter gab krächzende Geräusche von sich, und er meldete sich. Ein unverständliches Krächzen folgte als Antwort.
„Ich muss los, die Arbeit ruft. Wir sehen uns beim Football. Nicht vergessen!“, verabschiedete er sich, schnappte sich seinen Kaffee, lief zum Auto und fuhr los.
Sannah war es durch die fröhliche Art von Sam ein bisschen leichter ums Herz. Seine Erklärung klang zumindest plausibel. Sie trank ihren Kaffee aus und ging ebenfalls. Im Supermarkt plünderte sie die Süßigkeitenabteilung und legte sich einen Vorrat Seelentröster an. Für den Fall, dass Joshs miese Laune länger anhalten würde. An der Fleischtheke waren Hähnchen im Angebot. ‚Chlorhuhn macht weiße Zähne‘, dachte sie boshaft und grinste. Kaufte dann aber doch eins. Sie hatte Appetit auf ihr Leibgericht bekommen. Hähnchen Ragout-Fin. In der Gemüseabteilung suchte sie noch die restlichen Zutaten zusammen und kaufte noch zwei Bücher, um gegebenenfalls die Zeit totschlagen zu können. Übelste Liebesschnulzen, aber das war ihr egal.
Um diese frühe Uhrzeit waren noch nicht viele Kunden da, und so war sie kurze Zeit später wieder auf dem Rückweg. Durch Sams Warnung aufmerksam geworden, fuhr sie vorsichtiger, aber es war nichts los. Wahrscheinlich hatten die Schnapsdrosseln alle schon nach Hause gefunden.
Als sie auf den Hof fuhr, parkte dort ein riesengroßer protziger Trailer, wie man ihn meist nur in den USA sieht. Eine Kombination aus Wohnmobil und Pferdetransporter. Mark Thompson war da. Er sah aus wie ein typischer Rancher aus dem Mittleren Westen. Angegraute Schläfen, leichter Bierbauch, Hemd mit Weste, Jeans, teure Stiefel und der nicht wegzudenkende Stetson-Hut auf dem Kopf. Neben ihm, genauer betrachtet neben Josh, eine lebende Silikon-Barbie, augenscheinlich die Tochter. Ihr Anblick erinnerte Sannah an eine gut sortierte deutsche Metzgerei. Eine prall gefüllte Fleischauslage, spärlich dekoriert mit Salatblättern aus Plastik. Die Dekoration im Gesicht der künstlichen Blondine war dafür umso üppiger. Mit dieser Menge an Konservierungsmitteln hätten die ägyptischen Mumien heute ausgesehen wie