Drachenwispern. Christian D'hein

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Название Drachenwispern
Автор произведения Christian D'hein
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783991075288



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gegessen hatte. Lian bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick.

      »Was hätte es geändert?«, fragte sie ihn hart, »er würde trotzdem morgen wieder auf der Straße stehen und betteln. Wenn ich ihm eine Münze gegeben hätte, wäre er doch nur schnurstracks ins nächste Wirtshaus gelaufen, um sein Elend im Alkohol zu ertränken oder hätte das Geld im Freudenhaus verhurt. Wenn du ihm wirklich helfen wolltest, müsstest du ihm eine Hacke in die Hand drücken und ihn zwingen, bei einem Bauern als Knecht anzuheuern und einer ehrlichen Arbeit nachzugehen.«

      An diesen Worten wurden Ardun zwei Dinge sehr deutlich. Erstens, dass er lernen musste, dass nicht jedem Menschen mit einer einfachen Methode geholfen werden konnte, sondern man manchmal vorausschauend und langfristig denken musste und zweitens, dass die Elfe nie selbst hatte Hunger leiden müssen. Denn sonst hätte sie keine so schlechte Meinung von einem armen Bettler gehabt, denn solange der Magen knurrte und einem vor Hunger schwindelig wurde, dachte kein Mensch an ein Freudenhaus oder Alkohol, sondern einzig und allein an irgendetwas, was den Magen füllte. Aber in Celion waren solche Sorgen offensichtlich fremd. Er fragte sich, ob er sich während seiner Ausbildung wohl auch so verändern würde und er in einer neuen Welt leben würde, die Sorgen der kleinen Leute einfach vergessend. Und einmal mehr fragte sich Ardun, ob es wirklich eine gute Idee war, ein Magier zu werden und sich den Aquiron anzuschließen, auch wenn Lian nicht müde wurde zu beteuern, dass die Aquiron die freien Völker beschützten.

      An diesem Tag sprachen sie nur noch wenig und als es Abend wurde, meldete Ardun sich freiwillig, um die erste Nachtwache zu übernehmen. Er saß mit dem Rücken zum Feuer im Gras und starrte hinaus in die Nacht, während er über all das nachdachte, was sich inzwischen ereignet hatte. Sein Blick richtete sich auf einen schwarzen Schatten in der Dunkelheit, wahrscheinlich handelte es sich um einen kleinen Findling, aber eigentlich sah er hindurch, in die weite Ferne seiner Gedanken. Doch als der Schatten plötzlich verschwand, erwachte er aus seiner Trance. Blitzschnell sprang Ardun auf und zog seinen Dolch. Er wartete und lauschte. Kein Geräusch war zuhören, außer dem Flügelschlag einer Eule auf Nahrungssuche. Einen Moment lang überlegte er, ob er die Elfe wecken sollte, aber dann entschied er sich dagegen. Stattdessen zog er einen brennenden Scheit aus dem Feuer und bewegte sich langsam auf die Stelle zu, wo er den Schatten gesehen hatte. Jeden Moment rechnete er mit einem Angriff, doch nichts geschah. Als er die Stelle ungefähr erreicht hatte, was im Dunklen nur schwer abzuschätzen war, bückte er sich und begann, mit seiner Fackel den Boden abzusuchen, den Dolch fest in der freien Hand. Das Gras war an einigen Stellen plattgedrückt, doch richteten die Halme sich bereits wieder auf. Gründlich suchte Ardun in der Umgebung nach Spuren, aber er wurde nicht fündig. Doch einer Sache war er sich sicher. Etwas hatte sie beobachtet. Und dieser Abdruck im Gras stammte nicht von einem Tier, sondern vielmehr von einem Menschen in der Hocke. Jemand hatte sie beobachtet.

      In dieser Nacht weckte er Lian nicht zur Wachablöse, sondern er besetzte selbst den Posten und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Aber der Schatten kehrte nicht wieder. Entsprechend müde und ausgelaugt fühlte er sich am nächsten Morgen, doch die Frage der Elfe, weshalb er sie nicht geweckt hatte, tat er mit einem einfachen Schulterzucken ab. Er erwähnte auch mit keinem Wort den nächtlichen Schatten, denn der Abdruck im Gras war längst verschwunden und er wusste, dass die Elfe es einfach als Einbildung abtun würde.

      »Die Dunkelheit hat viele Gestalten, in denen sie das schwache Herz verwirrt«, hatte sie das letzte Mal gepredigt, als er fälschlicherweise einen Verfolger vermutet hatte. Daher brachte er die Sache diesmal gar nicht zur Sprache, sondern verspeiste wortlos sein Frühstück. Eigentlich hatte er geplant, bei ihrer Weiterreise im Sattel ein wenig zu dösen und den verlorenen Schlaf nachzuholen, aber dabei hatte er die inzwischen jeden Morgen anstehende Ausbildungsstunde bei Lian vergessen. Nach ihrem gescheiterten Versuch, seine Elementzugehörigkeit zu bestimmen, war die Elfe dazu übergegangen, ihm theoretischen Unterricht zu erteilen und hatte ihn über große Magier wie Ilreth oder Loki aufgeklärte, die zu den Begründern Celions gehörten. Heute aber wollte sie eine praktische Übung mit ihm machen.

      »Es gibt einen gewissen Bereich der Magie, den jeder Magier beherrschen kann, egal zu welcher Klasse er gehört«, erklärte sie ihm, »und zwar die Beherrschung von Kalith. So nennen wir all jene Objekte und Stoffe, die einen natürlichen Speicher für die allgegenwärtigen Energie haben. Denn nichts weiter ist Magie, als die Manipulation von Energie. Und das Netz der Urenergie durchfließt die ganze Welt, alles und jeden. Wenn in einem Stoff eine besonders hohe Energiedichte ist, kann er von jedem Magier manipuliert werden. Und du wärst überrascht, wie viel Kalith es in den weiten Landen gibt. So manch eine Burg ist sogar daraus erbaut, da manche Gesteinsarten ebenfalls zu Kalith gehören. So wie dieser hier.«

      Sie holte einen kleinen, kreisrunden Stein hervor und legte ihn auf ihre geöffnete Hand. Dann schloss sie die Augen. Kurz darauf erglühte der Stein in einem sanften Blauton. »Das passiert, wenn du einfach nur in die Energie des Kalith eintauchst. Wenn du diesen Schritt gemeistert hast, dann beginnen wir damit, die Energie zu manipulieren. Versuch es!«, forderte sie ihn auf und warf ihm den Stein zu.

      Ardun fing den Stein auf. Er war überraschend schwer für seine geringe Größe, denn auch wenn er problemlos in seine Faust passte, war er so schwer wie ein kleiner Schmiedehammer. Doch die jahrelange harte Arbeit hatte Arduns Körper gestählt und so hatte er wenig Mühe damit, ihn auf der gestreckten Hand in die Höhe zu halten. Dann konzentrierte er sich. Er schloss die Augen und suchte in seinem Geist nach einer Verbindung zu dem Stein, aber er fand keine. Vielleicht dachte er einfach noch zu viel. Er stellte sich ein schwarzes Quadrat vor, welches sich vor seinem inneren Auge immer weiter ausdehnte und schließlich alles verschlang. Und dann sah er es. Eine kleine goldene Flamme in der Dunkelheit. Oder eigentlich sah er sie nicht, sondern er spürte sie, wusste einfach, dass sie da war. Und er war plötzlich von der Gewissheit erfüllt, dass es sich um den Stein handelte. Er bewegte sich auf die Flamme zu und tauchte ein in das Licht. Es war ein unglaubliches Gefühl. Um ihn herum wirbelte goldenes Licht auf wilden Bahnen umher, wie ein lebendiges Wesen und doch so einfach greifbar, so einfach zu verändern. Ardun schickte seinen Willen aus und versuchte, sich mit der Energie zu verbinden. Die Rotation wurde schneller und schneller, dann stürzte das goldene Licht auf ihn ein und Ardun riss erschrocken die Augen auf. Er sah zu dem Stein in seiner Hand. Er hatte es geschafft. Ein sanfter Blauton leuchtete ihm entgegen, etwas heller als jener, den die Elfe erzeugt hatte. Aber dann bemerkte er einen kleinen Unterschied. Das Leuchten ging nicht von dem Stein aus, sondern von seiner Hand. Er gab Lian den Stein zurück, aber das Leuchten blieb und seine Haut kribbelte wie elektrisiert. Die Elfe beobachtete ihn mit unverhohlenem Interesse, dann schloss sie abermals die Augen. Doch der Stein leuchtete nicht. Sie legte die Stirn in Falten und schien sich mit aller Kraft zu konzentrieren, aber noch immer passierte nichts. Ardun wartete.

      »Interessant, höchst interessant«, murmelte die Elfe und lächelte ihm zu, »du hast gerade etwas Unglaubliches vollbracht. Du bist nicht nur in die Energie des Kalith eingetaucht, sondern du hast sie ihm entzogen. Du hast seine gesamte Magie in dich aufgenommen, nun ist es nur noch ein gewöhnlicher Stein. Ich kenne einige Meister, die ihr ganzes Leben damit verbracht haben, einen Weg zu suchen, Gegenständen die Magie zu entziehen, aber mir wäre nicht bekannt, dass es jemals jemandem gelungen wäre. Auch wenn sich einige der Gelehrten darüber streiten, ob es nicht in der Geschichte Andeutungen gibt, dass manche eben diese Kunst beherrschten.«

      »Was bedeutet das für mich?«, fragte Ardun, während er sich die juckende Hand rieb, deren Leuchten allmählich schwächer wurde.

      Lians Lächeln wurde noch breiter.

      »Ich habe da einige Vermutungen, aber die kann ich dir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mitteilen. Aber es heißt in jedem Fall, dass wir Außergewöhnliches von dir erwarten dürfen.«

      Den restlichen Vormittag verbrachte sie wieder damit, ihm verschiedene Dinge zu erklären. Das Beste daran war, dass sie sich zwar immerzu darüber beschwerte, dass er ihr Löcher in den Bauch frage und es von schlechten Manieren zeuge, niemals zufrieden zu sein, aber sie hatte ihm schon früh erklärt, dass ein Lehrer die Frage eines Schülers nicht ignorieren dürfe und so erfuhr Ardun viele Dinge, zum Beispiel über die lange Dunkelheit.

      »In den Geschichtsbüchern der Menschen heißt es, dass die Dunkelheit emporstieg und alles zu vernichten