Название | Friedens- und Konfliktforschung |
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Автор произведения | Ines-Jacqueline Werkner |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846354438 |
Mit dieser „Entnormativierung“ (Jaberg 2009, S.39) und „Entpolitisierung“ (Ruf 2009, S.46) sehen Vertreterinnen und Vertreter der kritischen Friedensforschung die Friedensforschung in ihren Grundfesten erschüttert. Nach Werner Ruf (2009, S.49) zeichne sie sich „durch die freiwillige Einordnung in den herrschenden Wissenschaftsbetrieb [aus], den zu bekämpfen sie einst angetreten war“.
Für diese Entwicklung lassen sich nach Thorsten Bonacker (2011, S.69f.) verschiedene Gründe anführen: Erstens habe sich das Feld der Friedensforschung mit dem Ende des Kalten Krieges ausdifferenziert. Mit neuen beziehungsweise bis dahin wenig beachteten theoretischen und empirischen Phänomenen sei auch der Friedensbegriff nicht mehr nur „Ausweis für eine normative Selbstverpflichtung der eigenen Forschung“, sondern selbst zum Untersuchungsgegenstand empirischer Forschung geworden. Zweitens lasse sich angesichts der gestiegenen Komplexität ein verstärktes politisches Interesse an Expertise identifizieren, die die Friedensforschung in eine größere Nähe zur Politik gebracht habe. Drittens sei eine zunehmende Professionalisierung der Friedensforschung erkennbar, womit nicht mehr nur ihr normativer Status, sondern zunehmend auch Theorie- und Methodendebatten in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt seien. Schließlich wirken sich viertens auch der Paradigmenwechsel in den Sozialwissenschaften und die Zunahme konstruktivistischer und poststrukturalistischer Zugänge auf das Selbstverständnis der Friedensforschung aus, gewinnen damit Ansätze an Bedeutung, die stärker auf die Beobachtung von Diskursen setzen.
Letztlich kommen aber auch psychologische Komponenten zum Tragen, die sich mit normativen Debatten inhaltlich überschneiden. In gewisser Weise sei Berufswahl auch Symptomwahl. So könne die Arbeit am Frieden dazu verleiten, entweder „die eigenen destruktiven Impulse anzuregen“, beispielsweise in Form „einer heimlichen Affinität zu Militär und Krieg“, oder aber „von der eigenen Destruktivität abzulenken“, das sich dann „in einer besonders heftigen Distanz zu den Institutionen, die angeblich allein für Krieg und Gewalt verantwortlich sind“, äußert (Krell 2017, S.957).
3.2 Zur Praxisorientierung der Friedensforschung
Zu den konstitutiven Merkmalen der Friedensforschung zählt auch ihre Praxisorientierung. Wilfried Graf und Werner Wintersteiner (2016, S.43) sprechen von einer handlungs- und lösungsorientierten Wissenschaft. In ähnlicher Weise konstatiert Harald Müller (2012, S.163):
„Es geht nicht lediglich darum, über den Frieden, seine Störungen und seine Ursachen zu räsonieren, sondern auch darum, den Praktikern und Praktikerinnen Praxeologien zur Verfügung zu stellen, die zum Schutz und Verwirklichung des Friedens nützlich sein könnten.“
Und auch Michael Brzoska (2012, S.134) betont die Praxisorientierung der Friedensforschung und sieht in ihr „eine wichtige Legitimation für die Förderung von Friedensforschung durch öffentliche Geldgeber, etwa die DSF (Deutsche Stiftung Friedensforschung, Anm. d. Verf.)“.
Die Realisierung dieses Anspruches erweist sich als durchaus herausfordernd, müssen wissenschaftliche Erkenntnisse „in handhabbare Praxeologien“ (Müller 2012, 163) umgesetzt werden. Seitens der Friedensforscher und -forscherinnen erfordert dies eine doppelte Transferleistung: zum einen eine Übersetzung von der Theorie in die Praxis, zum anderen eine „Übersetzung aus der Sprache des Wissenschaftssystems in die der Praktiker und Praktikerinnen“ (Müller 2012, S.163; vgl. auch Schwerdtfeger 2001, S.171). Mit dem jährlich herausgegebenen Friedensgutachten versuchen die führenden Friedensforschungsinstitute in Deutschland, genau diesem Anspruch gerecht zu werden.
Aber auch inhaltlich können sich konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik als schwierig erweisen. Ein Beispiel stellt die Stellungnahme der Herausgeber und Herausgeberinnen des Friedensgutachtens 2011 (Johannsen et al. 2011, S.20ff.) dar, in der die Friedensforscher und -forscherinnen zu keiner einheitlichen Einschätzung zur internationalen Schutzverantwortung im Falle Libyens gelangten und stattdessen mehrere Optionen nebeneinander stellten. Dies stellt ein durchaus legitimes wissenschaftliches Vorgehen dar und lässt sich ganz im Sinne des Wissenschaftsverständnisses Max Webers verorten (vgl. obigen Abschnitt 3.1). Angesichts der geforderten Orientierungsleistung bleibt dennoch ein Grundproblem bestehen:
„Eine Politikberatung mit dem Ziel, all die Maßnahmen und Strategien der Politik näher zu bringen, die den Frieden fördern bzw. ihn zu gefährden scheinen, verliert jedoch ihren scheinbar eindeutigen Fokus angesichts der Vielfalt von Friedensverständnissen. Weder über die Ausgestaltung des Friedens als Zustand noch über die Wege und Mittel, mit deren Hilfe dieser Zustand erreicht werden soll, herrscht Einigkeit“ (Nielebock 2017, S.933).
Neben der von Praktikern und Praktikerinnen eingeforderten „Bringschuld“ der Friedensforschung verweist Karlheinz Koppe (2006, S.61) auch auf die Defizite im Hinblick auf die „Holschuld der Politik“. Hier lassen sich zwei potenzielle Gefahren ausmachen: Politiker und Politikerinnen können erstens Wissenschaft für ihre Zwecke – zur Legitimationsbeschaffung – instrumentalisieren. Werden dagegen ihre Erwartungen durch abweichende friedenswissenschaftliche Positionen enttäuscht, können sie diese gegebenenfalls auch bewusst ignorieren. Diese Tendenz lässt sich beispielsweise bei der Vorstellung des Friedensgutachtens in der Berliner Politik erkennen. So zeigen sich die einzelnen Bundestagsfraktionen – je nach außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischer Ausrichtung – in durchaus unterschiedlicher Weise an den Ergebnissen der Friedensforschungsinstitute interessiert. Illustrativ vergleicht Michael Brzoska (2012, S.134) das Verhältnis der Politik zur Wissenschaft mit dem des Betrunkenen zum Laternenpfahl: „Sie suchen Halt und nicht Erleuchtung.“ Dahinter steht die für die Friedensforschung virulente Frage, inwieweit angesichts dieser Situation „eine gleichermaßen kritische wie handlungsrelevante Friedensforschung“ (Senghaas 1971b, S.313f.) überhaupt möglich und sinnvoll ist.
Zu den Trägerinnen und Trägern friedenspraktischen Handelns gehört neben der staatlichen Exekutive und den etablierten politischen Parteien auch die Öffentlichkeit, darunter insbesondere die Friedensbewegung (vgl. Schwerdtfeger 2001, S.181). Was lässt sich nun über die Beziehungen von Friedensforschung und Friedensbewegung konstatieren? Karlheinz Koppe (2009, S.78) fasst das Verhältnis beider unter dem Stichwort „ein Ziel, zwei Wege“ zusammen:
„Sie verfolgen das gleiche Ziel: Frieden schaffen, wenn’s geht ohne Waffen und ohne Gewalt. Aber ihre Wege sind verschieden: […] Die Friedensforschung beansprucht, durch möglichst sorgfältige Untersuchung von Kriegsursachen und Friedensbedingungen den Weg dahin zu bahnen. Die Friedensbewegung will sich aktiv in das politische Geschehen einmischen, um mit gewaltfreien Demonstrationen, Protestaktionen und öffentlichen Aufrufen die gesellschaftlichen Verhältnisse in Richtung Friedensbereitschaft und Friedensfähigkeit zu verändern“ (Koppe 2009, S.78).
Diese beiden Wege zeichnen sich im dialektischen Sinne durch „Nähe und Distanz“ (Koppe 1987, S.97) aus. Die Nähe ergibt sich durch die Verfolgung des gemeinsamen Ziels, Frieden zu befördern, jedenfalls dann, wenn Friedensforschung normativ verstanden wird. Für die Distanz spricht nach Karlheinz Koppe ein Aspekt, der an obiger Stelle bereits für den politischen Raum konstatiert wurde:
„Die Forschung liefert Analysen (auch hinsichtlich denkbarer Strategien zur Umsetzung von Schlüssen aufgrund eben solcher Analysen in politisches Handeln), während die Bewegung Rezepte anbietet und oft die Analysen der Forschung – wenn überhaupt – nur nutzt, wenn sie ihre in der Regel politisch begründeten Vorschläge stützen“ (Koppe 1987, S.97f.).
Diese „Unterwerfung der Friedensforschung“ (Koppe 1987, S.98) unter die eigenen Prämissen könne in der Friedensbewegung gegebenenfalls sogar noch „rigoroser, durch keine selbstkritische Toleranz gemäßigt“ (Koppe 1987, S.98) ausfallen als bei politischen Repräsentantinnen und Repräsentanten. Auch schrecken Vertreterinnen und Vertreter der Friedensbewegung bisweilen nicht davor zurück, Forschungsergebnisse einseitig in ihrem Sinne zu interpretieren (vgl. hierzu auch Schmitt 1990, S.101).
Diese These von der Distanz wird von einer, wenn auch älteren empirischen Untersuchung in Finnland gestützt: Danach betrachte die Friedensbewegung die Friedensforschung (entgegen