Friedens- und Konfliktforschung. Ines-Jacqueline Werkner

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Название Friedens- und Konfliktforschung
Автор произведения Ines-Jacqueline Werkner
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846354438



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Sicherheit nach dem Bericht der Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen (UNDP 1994, S.3) als freedom from fear (Freiheit von Furcht) und freedom from want (Freiheit von Not) korrespondieren offensichtlich mit den Picht’schen Parametern des Friedens (Schutz gegen Gewalt, Schutz vor Not und Schutz der Freiheit). Andererseits erweisen sich Frieden und Sicherheit aber auch als „differente Kategorien“ (Jaberg 2017a, S.43) und „nicht […] auf gleicher Ebene verrechenbare Größen“ (Daase und Moltmann 1991, S.45). Beide Begriffe implizieren unterschiedliche Logiken. Dahinter stehen eigene Formen beziehungsweise Grammatiken, die sich im Laufe der Geschichte herausgebildet haben und das Denken und Handeln innerhalb der jeweiligen Kategorien prägen (vgl. Jaberg 2017b, S.170).

      Nach der Friedensforscherin Sabine Jaberg (2017a, S.46) zeigen sich in der Auseinandersetzung mit den Begriffen Frieden und Sicherheit zwei kategoriale Differenzen: Während erstens Frieden nur gemeinsam mit anderen Akteuren verwirklicht werden könne und in diesem Sinne einen sozialen Begriff darstelle, müsse Sicherheit – insbesondere in ihrem traditionellen Verständnis als Sicherheit vor oder gegen andere – als „asozialer Begriff“ gefasst werden, der vom einzelnen Akteur her denke. So komme im Kontext von Sicherheit dem Anderen keine eigene Wertigkeit zu, diese ergebe sich vielmehr aus der Relevanz für das eigene Sicherheitsstreben. Zweitens setze Frieden – zielt dieser Begriff auf Gewaltfreiheit – den Akteuren Grenzen. Das „wechselseitige Anerkennungsverhältnis“ fordere von ihnen als innere Haltung „Liebe“, „Güte“ und die „Einsicht in die prinzipielle Untauglichkeit gewaltsamer Mittel“ sowie im konkreten Handeln „den Abbau gewaltgenerierender Strukturen und den Aufbau friedlicher Bearbeitungskapazitäten“. Eine Sicherheitslogik weise „diesbezüglich keine immanenten Schranken“ auf. Im Gegenteil, sie tendiere zur Grenzenlosigkeit bezüglich (a) der Wahl der Mittel, denn auch Krieg werde unter Umständen als legitim erachtet; (b) des Zeitrahmens, der gegebenenfalls ein präemptives oder gar präventives Agieren gerechtfertigt erscheinen lasse; (c) der Reichweite, wonach prinzipiell jedes Politikfeld als sicherheitsrelevant betrachtet werden könne (Versicherheitlichung) sowie (d) der Reaktion der Exekutive, von der Dramatisierung der Lage bis hin zu einer Eskalation im Handeln (vgl. Jaberg 2014).

      Auch die Friedensforscherin Hanne-Margret Birckenbach (2014) differenziert zwischen einer Friedens- und Sicherheitslogik. In ihren Ausführungen fokussiert sie auf fünf zentrale Prinzipien friedenslogischen Denkens und Handelns:

       das Prinzip der Gewaltprävention (mit der Zielsetzung, „vorausschauend deeskalierend tätig“ zu sein);

       das Prinzip der Konflikttransformation (basierend auf dem Verständnis, dass Gewalt nicht außerhalb, sondern zwischen Konfliktparteien entsteht, und auch der eigene Anteil an Gewalt reflektiert werden muss);

       das Prinzip der Dialog- und Prozessorientierung (mit dem Ziel, in einer zunehmend interdependenten Welt „Gelegenheiten für einen verstärkten Austausch von und mit möglichst vielen politischen und gesellschaftlichen Kräften [zu suchen]“);

       das Prinzip der Einhaltung universaler Normen (um „an ihnen die Legitimität der eigenen Interessen und Handlungsweisen sowie die zur Problembearbeitung eingesetzten ideologischen, militärischen, ökonomischen und politischen Machtquellen [zu prüfen]“) sowie

       das Prinzip der Reflexivität (wonach das Eingestehen des eigenen Scheiterns nicht wie beim sicherheitslogischen Denken als Schwäche gilt, sondern als „eine Fähigkeit, die zu verbesserten Resultaten führen kann“).

      2.3 Fazit

      Bei Frieden und Sicherheit handelt es sich – das haben die obigen Ausführungen aufzeigen können – um durchaus differente Begriffe. Insbesondere verweisen sie auf unterschiedlich eingenommene Perspektiven. Dabei lässt sich die Debatte um eine Friedens- und Sicherheitslogik auf einen zentralen Punkt bringen:

      „[D]ie Sicherheitslogik mit ihrer auf Abgrenzung zielenden Orientierung befördert Sicherheit gegen einen anderen, die Friedenslogik weist dem Gegenüber dagegen eine zentrale Rolle als mitverantwortlichem Partner für die Qualität der Beziehung zu“ (Nielebock 2016, S.10).

      Was folgt nun aber aus dieser begrifflichen Differenz von Frieden und Sicherheit? Hanne-Margret Birckenbach (2012, S.42; Hervorh. d. Verf.) spricht von einer „Friedenslogik statt Sicherheitslogik“ und räumt damit dem Frieden den sachlichen Vorrang ein. Und auch für Sabine Jaberg (2017a, S.43) „gebührt aus ethischer Perspektive dem Frieden der Vorzug“. Beide Friedensforscherinnen setzen auf einen Perspektivenwechsel und die konsequente Einlösung einer Friedenspolitik. Dagegen plädieren Christopher Daase und Bernhard Moltmann (1991, S.35) für ein „integriertes Verständnis von Friedens- und Sicherheitspolitik“:

      „Auch wenn dem Frieden der sachliche Vorrang einzuräumen ist, muß die Sicherheitspolitik auf ihrem temporären Vorrang bestehen, denn Friedenspolitik ohne den realistischen Blick auf die internationale Lage wird am nationalen und innergesellschaftlichen Sicherheitsbedürfnis scheitern. Sicherheitspolitik aber ohne das Korrektiv des Friedens ist nicht friedensfähig.“

      Beide Auffassungen müssen nicht in Widerspruch zueinander treten, lässt sich ein integratives Verständnis von Frieden und Sicherheit durch eine Konvergenz beider Begriffe erreichen (vgl. Jaberg 2017a, S.47ff.), auch wenn diese nicht völlig zur Deckung gebracht werden können. Konzepte wie beispielsweise die auf die Palme-Kommission von 1982 zurückgehende Gemeinsame Sicherheit verweisen – und das zeigt sich bereits am Begriff der Gemeinsamen Sicherheit selbst – auf Möglichkeiten einer friedensfähigen Sicherheitspolitik. Ein solches Konzept ist voraussetzungsreich und zielt, verbunden mit der Annahme, dass Sicherheit nicht voreinander, nur miteinander zu suchen ist, auf eine konsequente Abkehr jeglicher Abschreckungspolitik (vgl. Kapitel 11.4; auch Werkner 2019a).

       Weiterführende Literatur:

      Gießmann, Hans J. 2011. Frieden und Sicherheit. In Handbuch Frieden, hrsg. von Hans J. Gießmann und Bernhard Rinke, 541-556. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Dieser Beitrag gibt einen guten Überblick über die begrifflichen Parallelen und Divergenzen der beiden Begriffe Frieden und Sicherheit.

      Jaberg, Sabine. 2017. Frieden und Sicherheit. In Handbuch Friedensethik, hrsg. von Ines-Jacqueline Werkner und Klaus Ebeling, 43-53. Wiesbaden: Springer VS. Ausgehend von der Definition von Frieden und Sicherheit verhandelt die Autorin beide Begriffe als differente Kategorien und diskutiert Möglichkeiten einer kategorialen Konvergenz.

      Nielebock, Thomas. 2016. Frieden und Sicherheit – Ziele und Mittel der Politikgestaltung. Deutschland & Europa: Zeitschrift für Gemeinschaftskunde, Geschichte und Wirtschaft (71): 6-17. Hierbei handelt es sich um einen gut zugänglichen Beitrag zur friedenswissenschaftlichen Debatte beider Begriffe.

      3 Friedensforschung und Debatten um ihr Selbstverständnis

      Der Diskussion um den Begriff des Friedens und der ihm eingeschriebenen Logiken schließt sich eine weitere Frage im Rahmen dieses Lehrbuchs unmittelbar an: Was heißt Friedensforschung? – oder anders gefragt: Was tun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wenn sie sich dem Untersuchungsgegenstand Frieden zuwenden?

      Diese Frage wird in gleicher Weise divers diskutiert wie der Friedensbegriff selbst. In den Anfangsjahren der Institutionalisierung wurde der Friedensforschung teilweise sogar ihr Status als Wissenschaft abgesprochen. Diesem Einwand lag „ein positivistisches Verständnis von objektiver Wissenschaft“ zugrunde, „vor dem sich Friedensforschung in der Tat nicht rechtfertigen“ ließ. So stellt der Frieden „kein gegebenes Objekt“, sondern „eine konkrete Utopie“ dar. Friedensforschung heißt demnach, über „Bedingungen dieser Utopie“, das heißt über ein „noch nicht realisierte[s] Ziel“ zu forschen (Huber 1971, S.45).

      Folgend soll exemplarisch auf drei Definitionen verwiesen werden, die – zu sehr unterschiedlichen Zeiten entstanden – eine relative Stabilität dessen anzeigen, was unter Friedensforschung zu verstehen ist (vgl. Bonacker 2011, S.68):

      In den Empfehlungen der Struktur- und Findungskommission zur Friedensforschung vom Januar 2000, einer interdisziplinär und breit