Название | Friedens- und Konfliktforschung |
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Автор произведения | Ines-Jacqueline Werkner |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846354438 |
Dagegen halten Friedensforscher wie Harald Müller (2003, S.216) einen regionalen Frieden für durchaus möglich. Müller bedient sich zum einen des semantischen Arguments: Wenn Frieden nur als Weltfrieden denkbar sei, warum unterscheide man dann beide Begriffe? Zum anderen sei es trotz globaler Interdependenzen nicht zwingend, dass beispielsweise Gewaltkonflikte in Sierra Leone Einfluss auf den Frieden in Skandinavien haben. Ebenso könne man einen Frieden zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union konstatieren, auch wenn bestimmte Regionen wie Nordirland oder das Baskenland davon ausgenommen seien oder in vielen EU-Ländern auch innergesellschaftliche Gewalt (zum Beispiel gegenüber Immigrantinnen und Immigranten) existiere. Notwendig sei es aber, die Akteure präzise zu benennen, denn Friede herrsche immer „zwischen bestimmten sozialen und politischen Kollektiven“ (Müller 2003, S.216). Mit Rückgriff auf Lothar Brock (2002, S.106) schlägt Müller vor, als Weltfriede „die Gesamtzahl der Räume, in denen Menschen friedlich zusammenleben“ zu bezeichnen. Damit verbleibe der Weltfriede nicht nur auf der internationalen Ebene, sondern schließe auch die innergesellschaftliche Dimension mit ein.
1.5 Fazit
Was kann nun als angemessener Friedensbegriff in der Friedensforschung gelten? Einfache Antworten auf diese Frage wird es angesichts der bestehenden Kontroversen nicht geben können. Der enge Friedensbegriff scheint durch seine inhaltliche Fokussierung auf die Eliminierung des Krieges und seine klare Abgrenzung zu Bereichen wie Entwicklung und Gerechtigkeit, die als Friedensbedingungen fungieren, methodisch-theoretisch wie handlungspolitisch praktikabel. Diese Stärke ist zugleich aber auch seine Schwäche, steht der enge Friedensbegriff doch in der Gefahr, das Wesen des Friedens zu verkürzen. Dagegen ermöglicht der positive Friedensbegriff ein umfassendes Verständnis von Frieden einschließlich einer Friedenspolitik, die auf die Überwindung struktureller Gewalt abzielt, steht aber in der Kritik, so umfassend zu sein, dass er sich einer Operationalisierung entziehe. Statt einer Dichotomisierung sollten die verschiedenen Begriffe und Friedensansätze stärker zueinander in Beziehung gesetzt werden. Hierbei kann sich das Verständnis von Frieden als Prozess, insbesondere das Phasenmodell des Friedens von Ernst-Otto Czempiel mit seinen Abstufungen als hilfreich erweisen. Aber auch das Bild eines Friedens in konzentrischen Kreisen kann die verschiedenen Erwartungen an den Friedensbegriff miteinander verbinden: mit der Abwesenheit direkter Gewalt beziehungsweise der Eliminierung des Krieges als innersten Kreis und Kern des Friedensbegriffs und der Abwesenheit struktureller sowie kultureller Gewalt als weitere, nicht zu vernachlässigende, wenn auch fernerstehende Friedensinhalte.
Weiterführende Literatur:
Czempiel, Ernst-Otto. 1998. Friedensstrategien. Eine systematische Darstellung außenpolitischer Theorien von Machiavelli bis Madariaga. 2. akt. u. überarb. Aufl. Opladen: Westdeutscher Verlag. Der Autor diskutiert sehr facettenreich den Friedensbegriff und Friedensstrategien. Zentral ist seine Darstellung des Friedens als Prozess.
Galtung, Johan. 1975. Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Dieses Buch gilt als ein Klassiker der Friedensforschung, in dem Johan Galtung seinen zentralen Ansatz der strukturellen Gewalt darstellt.
Sahm, Astrid, Manfred Sapper und Volker Weichsel (Hrsg.). 2002. Die Zukunft des Friedens. Eine Bilanz der Friedens- und Konfliktforschung. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag. Ein Sammelband, der prominente Autorinnen und Autoren versammelt und die neueren Debatten in der Friedensforschung (zum Begriff, aber auch zu seinen Akteuren und Strategien) aufgreift und bilanziert.
2 Frieden und Sicherheit
„Frieden ist gut – Sicherheit ist besser?“ – Mit dieser rhetorischen Frage macht der Friedensforscher Johannes Schwerdtfeger (1991, S.21) auf die Verdrängung des Friedensbegriffs durch den Sicherheitsbegriff aufmerksam und unterstreicht mit Dietrich Bonhoeffer: „Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit!“. Diese Entwicklung beklagt auch der Politikwissenschaftler Christopher Daase (2010b, S.9):
„Sicherheit ist der zentrale Wertbegriff unserer Gesellschaft. Das war nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren konkurrierten die Begriffe ‚Sicherheit‘ und ‚Frieden‘ um den Vorrang in Strategiedebatten und Parteiprogrammen. Heute ist ‚Sicherheit‘ der Goldstandard nationaler und internationaler Politik, und vom Frieden wird fast nur noch in politischen Sonntagsreden gesprochen.“
Was steht hinter diesem Wechsel der Termini? Lassen sich Frieden und Sicherheit synonym verwenden? Sind sie wechselseitig aufeinander bezogen im Sinne von „ohne Frieden keine Sicherheit und ohne Sicherheit kein Frieden“? Oder macht es einen erkennbaren Unterschied, von Frieden beziehungsweise von Sicherheit zu sprechen und können Frieden und Sicherheit vielleicht sogar in Widerspruch zueinander geraten?
2.1 Was heißt Sicherheit?
Die etymologische Wurzel des Wortes Sicherheit (se cura, lateinisch) steht für „ohne Sorge sein“. In diesem Sinne lässt sich Sicherheit als die Abwesenheit von Bedrohungen definieren. Diese Bestimmung verweist auf die subjektive Dimension des Begriffs, abhängig von persönlichem Empfinden, historischen Erfahrungen oder Einflüssen der Umwelt (vgl. auch im Folgenden Gießmann 2011; Nielebock 2016; Jaberg 2017a).
Später kommt mit dem lateinischen tutus im Sinne von Sicherheit als Schutz eine objektive Dimension hinzu. Diese inhaltliche Erweiterung ist untrennbar mit der Entstehung der Nationalstaaten (mit dem Westfälischen Frieden von 1648) verbunden. Wirkmächtig wurden in diesem Kontext insbesondere die Ausführungen von Thomas Hobbes im Leviathan (1651). In seinem dort entwickelten Gesellschaftsvertrag wurde Sicherheit zum „Zentralbegriff des Staatszwecks“ (Conze 1984, S.845). Danach unterwerfen sich die Bürger und Bürgerinnen freiwillig dem Staat; im Gegenzug dafür garantiert er ihnen Sicherheit.
Mit der Westfälischen Ordnung und der Konstituierung der modernen Nationalstaaten kommt es zugleich zu einer Ausdifferenzierung der Staatsaufgabe Sicherheit, die auch schon in Hobbes’ Leviathan angelegt ist: Zum einen hat der Staat seine Bürgerinnen und Bürger vor Angriffen Dritter zu schützen (äußere Sicherheit, vorrangig verstanden als militärische Sicherheit); zum anderen hat er Gefahren für die öffentliche Sicherheit und innerstaatliche Ordnung abzuwehren (innere Sicherheit).
Sicherheit als Staatszweck in Thomas Hobbes’ Leviathan (1651):
„Der alleinige Weg zur Errichtung einer […] allgemeinen Gewalt, die in der Lage ist, die Menschen vor dem Angriff Fremder und vor gegenseitigen Übergriffen zu schützen und ihnen dadurch eine solche Sicherheit zu verschaffen, daß sie sich durch eigenen Fleiß und von den Früchten der Erde ernähren und zufrieden leben können, liegt in der Übertragung ihrer gesamten Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmenmehrheit auf einen Willen reduzieren können“ (Hobbes 1984 [1651], S.134).
„Die Aufgabe des Souveräns, ob Monarch oder Versammlung, ergibt sich aus dem Zweck, zu dem er mit der souveränen Gewalt betraut wurde, nämlich der Sorge für die Sicherheit des Volkes. […] Mit ‚Sicherheit’ ist hier aber nicht die bloße Erhaltung des Lebens gemeint, sondern auch alle anderen Annehmlichkeiten des Lebens, die sich jedermann durch rechtmäßige Arbeit ohne Gefahr oder Schaden für den Staat erwirbt“ (Hobbes 1984 [1651], S.255).
Mit den Globalisierungsdebatten der 1970er Jahre und verstärkt mit dem Ende des Kalten Krieges sowie den jüngsten Entwicklungen seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sind Diskurse um Erweiterungen eines Sicherheitsbegriffs erkennbar, der sich nicht mehr nur auf die staatliche Sphäre und „die