Internationale Migrationspolitik. Stefan Rother

Читать онлайн.
Название Internationale Migrationspolitik
Автор произведения Stefan Rother
Жанр Социология
Серия
Издательство Социология
Год выпуска 0
isbn 9783846346563



Скачать книгу

UNHCR 2019, S.4f.).

      Der UNHCR versucht angesichts zunehmender Komplexität und zurückgehender Aufnahmezahlen seit Ende der 1980er Jahre, die verschiedenen Akteure in jährlichen Konferenzen zusammenzubringen (Annual Tripartite Consultations on Resettlement) und so die Zusammenarbeit im Hinblick auf bestimmte Geflüchtetengruppen, wie zum Beispiel aus dem syrischen Bürgerkrieg Geflüchtete, zu stärken (UNHCR 2019, S.16ff.). Neben staatlichen Programmen existieren in einigen Ländern, darunter Kanada, Australien und Deutschland, auch (semi-)private Resettlement-Programme. In Kanada werden inzwischen sogar mehr als die Hälfte der Resettlement-Geflüchteten über das Private Sponsored Refugees-Programm (PSR) aufgenommen, die mehrheitlich über religiöse, Bildungs- oder Menschenrechtsorganisationen, aber auch ethnische Communities gesponsert werden. Zusätzlich hat Kanada 2013 ein privat-öffentliches Programm (Blended VISA Office Referral) geschaffen, das Resettlement-Geflüchtete mit privaten Sponsoren ‚matched‘, die gemeinsam mit dem Staat (50/50) die Unterstützungskosten für die Geflüchteten tragen (West und Plunkett 2018, S.10f.; Macklin et al. 2018, S.37f.).

      3.6 Fazit und Ausblick

      Wie der Überblick gezeigt hat, ist das Thema Flucht und Asyl einer der komplexesten Bereiche internationaler Migrationspolitik. Obwohl die Notwendigkeit zur Aufnahme von internationalen Migrant*innen hier am größten ist, scheint die Bereitschaft der Nationalstaaten zur Aufnahme am wenigsten ausgeprägt. Daher ist es wichtig, gemeinsame Lösungen auf supranationaler Ebene anzustreben, so dass nicht einzelne Nationalstaaten den Hauptteil der Last tragen und andere sich aus der Verantwortung stehlen. Mit der Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention ist hier im Grunde ein richtiger und wichtiger Schritt gelungen. Allerdings stellt sich immer mehr die Frage, ob der Begriff des „Flüchtlings“, wie er in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 rechtlich gefasst wurde, heute noch zeitgemäß ist. Flucht findet heute, wie wir gesehen haben, nicht mehr allein aufgrund politischer Verfolgung auf Grundlage der Ethnie, Religion, Nationalität usw. statt. Seit einigen Jahrzehnten verfestigt sich der Trend, dass Menschen eher vor Konflikten und wegen Umweltkatastrophen als vor direkter Unterdrückung und Verfolgung durch staatliche Institutionen fliehen (Zolberg und Benda 2001).

       Klima- und Umweltmigration

      Heute fliehen in vielen Ländern Menschen auch wegen der jahrelangen Ausbeutung ihres Landes, etwa der Bodenschätze, was dazu geführt hat, dass vielen Menschen in ländlichen Gebieten die Lebensgrundlage entzogen wurde (Ansorg 2017). Andere Migrant*innen fliehen vor Umweltkatastrophen, wie z.B. lange Dürreperioden und Verwüstungen. Insbesondere Umweltgründe werden heute noch nicht von den Kriterien der Geflüchtetendefinition erfasst. Die Vereinten Nationen begründen diesen Umstand unter anderem damit, dass der bestehende Geflüchtetenstatus nicht verwässert werden soll (Piguet et al. 2011, S.1, 17ff.; Windfuhr 2018, S.120). Dabei rechnet man damit, dass gerade die Zahlen in dieser Kategorie in den nächsten Jahrzehnten stark ansteigen werden. Die Prognosen hierzu schwanken zwischen 50 und 250 Millionen bis zum Jahr 2050 je nach Berechnungsgrundlage. Und schon heute können erste Klima-Geflüchtete ausgemacht werden, darunter aus den pazifischen Inselstaaten, deren Bevölkerung bedingt durch den steigenden Meeresspiegel und zunehmende Küstenerosion zur Umsiedlung gezwungen wird (Fritz 2010). Dieser Kampf um Begriffe und Kategorien hat für Millionen Betroffene bedeutende Folgen. Betts (2010) schlägt deshalb mit der „Survival Migration“ eine neue Kategorie vor. Diese soll alle Menschen umfassen, die ihr Herkunftsland aufgrund einer unabwendbaren existentiellen Bedrohung verlassen. Damit ließen sich laut Betts die aufgezeigten Lücken im institutionellen und normativen Rahmen für Zwangsmigration füllen, ohne dass neue Institutionen oder Konventionen erschaffen werden müssten.

      Weiterführende Fragen und Literatur

       Drei Fragen zum Weiterdenken

       Ist die Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951, die in erster Linie aufgrund der Erfahrungen aus zwei Weltkriegen verabschiedet wurde, noch zeitgemäß? Oder sollte sie aufgrund neuer Fluchtursachen, wie Klimawandel und Hungersnöte, überarbeitet und aktualisiert werden?

       Wie können die Fluchtursachen – wie religiöse, ethnische und soziale Konflikte, aber auch soziale Ungleichheiten – auf Dauer besser bekämpft werden?

       Wie können die Interessen von Geflüchteten stärker in die Asyl- und Geflüchtetenpolitik der Aufnahmeländer eingebunden werden?

       Drei Bücher zum Weiterlesen

      UNHCR (2020): Global Trends. Forced migration in 2019. Genf.

       Jährlicher Bericht des UNHCR zur weltweiten Fluchtmigration und der Situation Geflüchteter.

      Gil Loescher/Elena Fiddian-Qasmiyeh/Katy Long/Nando Sigona (Hg.) (2014): The Oxford Handbook of Refugee and Forced Migration Studies, Oxford: Oxford University Press.

       Zentrales Handbuch zu verschiedensten Aspekten der Fluchtmigration.

      Wolfgang Grenz/Julian Lehmann/Stefan Keßler (2015): Schiffbruch. Das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik, München: Knaur.

       Aktuelle Analyse zur Asylpolitik der Europäischen Union.

      4 Migration und Arbeit1

      Arbeitsmigration macht den Hauptteil der internationalen Migration aus. Von der Internationalen Labour Organisation (ILO) wurde die Zahl der internationalen Arbeitsmigrant*innen im Jahr 2017 auf über 164 Millionen Arbeitskräfte geschätzt (ILO 2019). Davon befinden sich die meisten (zwei Drittel) in den reicheren Regionen der Welt. Warum ist Arbeitsmigration so wichtig für diese Länder? Wo werden Arbeitsmigrant*innen in der Wirtschaft vornehmlich eingesetzt? Wie werden ihre Rechte geschützt?

      4.1 Begriff und Arten der Arbeitsmigration

      Mit dem Begriff Arbeitsmigration ist die Ein- bzw. Auswanderung von Menschen zum Zweck der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit außerhalb des Herkunftslandes gemeint. Menschen, die aus Gründen der Arbeitsaufnahme in ein anderes Land migrieren, werden als Arbeitsmigrant*innen bezeichnet. Die Art, Dauer und die Umstände der Tätigkeiten, die Arbeitsmigrant*innen verrichten, können dabei stark variieren. Grundsätzlich kann man zwischen zwei Arten von Arbeitsmigration unterscheiden: geringqualifizierte und hochqualifizierte Arbeitsmigration. Geringqualifizierte Arbeitsmigrant*innen sind in der Regel ungelernte oder unterdurchschnittlich ausgebildete Arbeitskräfte, die temporär oder langfristig in ein anderes Land migrieren, um zumeist eine geringbezahlte Tätigkeit in der Landwirtschaft, in der Produktion oder im Dienstleistungsgewerbe zu verrichten (Angenendt 2009)1. Qualifizierte bzw. hochqualifizierte Arbeitsmigrant*innen sind gut ausgebildete Fachkräfte, die spezifische Tätigkeiten im Ausland ausführen, für die es im Inland nicht genügend gute ausgebildete Fachkräfte gibt. Während man davon ausgehen kann, dass es weltweit keinen Mangel an geringqualifizierten Arbeitskräften gibt, sieht die Situation bei qualifizierten und insbesondere hochqualifizierten Arbeitsmigrant*innen anders aus. Hier wird von einem Mangel an Arbeitskräften, z.B. Ärzt*innen, ausgegangen, um die weltweit ein intensiver Wettbewerb entbrannt ist (engl. „war on talents“).

      Daher gibt es zumeist unterschiedliche Politikansätze für beide Gruppen von Arbeitsmigrant*innen. Während für geringqualifizierte Formen der Arbeitsmigration zumeist bilaterale Verträge zwischen den Aufnahme- und den Herkunftsländern von Arbeitsmigrant*innen geschlossen werden, werden für Hochqualifizierte überwiegend einseitige (unilaterale) Einwanderungsangebote gemacht, auf die sich Hochqualifizierte weltweit bewerben können bzw. die Unternehmen für sich in Anspruch nehmen können, um Arbeitskräfte aus dem Ausland unter Vertrag nehmen zu können. Wir gehen in diesem Kapitel auf die Arbeitsmigration von gering qualifizierten Arbeitskräften ein, und widmen uns im nachfolgenden Kapitel den Besonderheiten der Migration von Hochqualifizierten. Zunächst wollen wir aber noch einen Blick auf die Geschichte und den aktuellen Umfang der Arbeitsmigration insgesamt werfen.

      4.2 Geschichte und Umfang der Arbeitsmigration

      „Grenzüberschreitende