Art. 1 A, Nr.2 GFK geht zudem auch auf Staatenlose ein, die sich „infolge solcher Ereignisse [begründete Furcht vor Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugungen] außerhalb des Landes“ befinden, „in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte[n,| und nicht dorthin zurückkehren [können] oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren [wollen]“. Ein besonderes Augenmerk innerhalb dieser Gruppe gilt palästinensischen Geflüchteten, die in der Westbank, dem Gazastreifen, Jordanien, Syrien oder dem Libanon leben. Für diese Gruppe gibt es ein Sonderprogramm, die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA), das bereits im Jahr 1949 als temporäres Hilfswerk der Vereinten Nationen gegründet worden war und das in Folge des ersten arabisch-israelischen Krieges3 (1947-49) die aus ihren Siedlungsgebieten vertriebenen Palästinenser*innen mit Hilfsleistungen unterstützen sollte.4 2019 gab es 5,6 Millionen anerkannte Geflüchtete nach UNRWA-Definition, laut der alle zwischen 1946 und 1948 aus Palästina Vertriebenen sowie deren Nachkommen als Geflüchtete gelten (UNHCR 2020).5
Die UNRWA bietet Programme in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Sozialleistungen und Rechtssicherheit, finanziert aber auch Mikrokredite und verbessert die Lebensbedingungen in 58 Geflüchtetenlagern, in denen ein großer Teil der palästinensischen Geflüchteten lebt (UNRWA 2019; Feldman 2012, S.390). Dabei lässt sich ein Wandel von der ursprünglichen Fürsorgefunktion hin zu Unterstützungsleistungen zur Selbsthilfe nachvollziehen, die auch verstärkt den Schutz von Menschenrechten beinhalten. Im Kontext der bewaffneten Konflikte in Syrien und im Irak hat die UNRWA gemeinsam mit dem UNHCR Schutzmaßnahmen für Palästinenser*innen in grenznahen Auffanglagern etabliert. Versuche der UNRWA, palästinensische Geflüchtete langfristig in den Aufnahmegesellschaften zu integrieren, werden allerdings von arabischen Aufnahmestaaten und auch von vielen Geflüchteten nach wie vor blockiert. Die Hilfsleistungen der seit Jahren unterfinanzierten UNRWA hängen außerdem zu über 90 Prozent an der Finanzierung durch wenige Hauptgeberländer (Akram 2016, S.7ff.; UNRWA 2020).
Aus der UNRWA-Sonderregelung ergibt sich in der Praxis eine Schutzlücke für die überwiegend staatenlosen palästinensischen Geflüchteten. So fallen UNRWA-Geflüchtete nicht unter den Schutz des UNHCR, da die UNRWA aus Sicht der Vereinten Nationen als separates Hilfsprogramm etabliert worden war. Die umfangreichen Regelungen des UNHCR zur Verantwortung von Drittstaaten gegenüber Geflüchteten (z.B. Resettlement) gelten demnach nicht für Palästinenser*innen in den arabischen Hauptaufnahmeländern. Lediglich palästinensische Geflüchtete außerhalb der UNRWA-Regionen können den Schutz des UNHCR in Anspruch nehmen, insofern sie unter die individualisierte Flüchtlingsdefinition der GFK (Art. 1A, Nr.2 fallen, s.o.). Zudem hat die UNRWA kein Mandat, um dauerhafte Lösungen zu finden, was die Möglichkeiten der Organisation gegenüber den fast zwölf Millionen Palästinenser*innen weltweit deutlich einschränkt (Akram 2016, S.6-9).
Der Israel-Palästina-Konflikt
Die Zuwanderung von Jüd*innen nach Palästina, das bis ins 19.Jahrhundert überwiegend arabisch geprägt war, begann bereits in den 1880er Jahren.6 Getragen von der Idee des Zionismus, also der Rückkehr in das ‚gelobte Land‘, immigrierten Jüd*innen aus aller Welt, um Antisemitismus und gesellschaftlicher Benachteiligung zu entfliehen. Die Errichtung eines israelischen Nationalstaates wurde schon früh zum erklärten Ziel der zionistischen Bewegung. In dem ab 1920 unter britischem Mandat stehenden Palästina kam es schon bald zu ersten, teilweise bewaffneten Konflikten zwischen der arabischen Mehrheitsbevölkerung und den jüdischen Siedler*innen, aber auch gegenüber den britischen Machthabern. Der Holocaust in Europa hatte in den 1940er Jahren nicht nur große Migrationsbewegungen nach Palästina zur Folge – die jüdische Bevölkerung umfasste schließlich über 600.000 Personen –, sondern verlieh dem Vorhaben eines jüdischen Staates auch zusätzliche Legitimität. Nachdem die britische Regierung ihr Mandat 1947 abgegeben hatte, einigten sich die Vereinten Nationen zunächst auf einen Teilungsplan (Zwei-Staaten-Plan), der jedoch von bürgerkriegsartigen Unruhen unterbrochen wurde. Die Unabhängigkeitserklärung Israels 1948 provozierte schließlich einen Krieg mit den arabischen Nachbarstaaten. Der Sieg Israels resultierte in der Vertreibung von 600.000-800.000 Palästinenser*innen, von denen mehr als die Hälfte in den Gazastreifen bzw. die Westbank umsiedelte. Viele suchten jedoch auch Zuflucht in den Nachbarländern, vor allem in Jordanien (70.000), Syrien (75.000), Libanon (100.000) und zu einem geringeren Teil im Irak und in Ägypten (Schneider 2008, S.1ff.).
Seit der Gründung des Staates Israel hat das Land, bedingt durch die weltweite Immigration aus der jüdischen Diaspora, einen durchweg positiven Wanderungssaldo. Die Bevölkerung ist im Jahr 2019 auf fast neun Millionen angewachsen, von denen nur noch ca. 21 Prozent arabischer Herkunft sind (Israel Central Bureau of Statistics 2020, S.6). Gleichzeitig leben rund 5,6 Millionen palästinensische Geflüchtete in Gaza, der Westbank (inkl. Ostjerusalem), Jordanien, Syrien und dem Libanon.
Neben Geflüchteten und Staatenlosen definiert der UNHCR zudem Asylbewerber*innen als eigene Kategorie. Hierbei handelt es sich um Flüchtende bzw. Migrant*innen, die von den offiziellen Stellen noch nicht als Geflüchtete (im Sinne der GFK oder im Sinne eines subsidiären Schutzes, s.o.) anerkannt worden sind. Ob ein Asylantrag angenommen wird, richtet sich nach den nationalen Asylgesetzen, die in der Regel den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention folgen. Da in der Praxis nicht immer einfach zu entscheiden ist, ob es sich um erzwungene oder freiwillige Migration handelt, da sich in Migrationen politische mit wirtschaftlichen Gründen mischen können, wurde in den 1990er Jahren das Konzept der sog. ‚mixed migrations‘ entwickelt (Linde 2011). Hierbei ging es vor allem darum, die Unterscheidbarkeit von erzwungener und freiwilliger Migration zu erleichtern, und Geflüchteten zu helfen, Arbeit aufnehmen und ein normales Leben führen zu können. Die Vermischung beider Wanderungen ist insbesondere für humanitäre Hilfsorganisationen schwierig, weil diese häufig an ein bestimmtes politisches Mandat (z.B. den Schutz einer bestimmten Gruppe wie etwa Geflüchtete) gebunden sind.
Der UNHCR hat jedoch dazu aufgerufen, auch migrierenden Menschen, die keine Geflüchteten sind, Schutz zu bieten und die Gefahren, denen sie sich bei der Wanderung aussetzen, anzuerkennen. Dieses Signal ist besonders wichtig, da diese (äußerst diverse) Gruppe ansonsten keinerlei Fürsprechende hat, die sich für sie einsetzen. Damit überschreitet der UNHCR zwar sein Mandat, füllt aber eine wichtige Lücke aus.
Schutz von Geflüchteten und gemischte Wanderungen
Der UNHCR hat sich bereits früh mit dem Problem der gemischten Wanderungen auseinandergesetzt, um die Gefahren, denen Menschen, die migrieren, ausgesetzt sind, ins Bewusstsein zu bringen und deren Menschenrechte zu wahren. Er hat hierfür ein Zehn-Punkte-Programm aufgestellt, mit dessen Hilfe Migrant*innen, die keine Geflüchteten sind, geschützt werden sollen (UNHCR 2007, S.1-2). Die Punkte umfassen u.a. mehr Kooperation der beteiligten Hilfsorganisationen, eine Verbesserung der Datenlage sowie die Entwicklung einer Informationsstrategie, mit der mehr Sicherheit auf der Wanderungsroute und mehr Aufnahmemöglichkeiten für die Geflüchteten geschaffen werden sollen. Zudem soll eine unterstützte Rückkehr gefördert werden.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der North Africa Mixed Migration Hub (MHub). Er setzt sich für den Schutz von Migrierenden in Nordafrika ein. U.a. sammelt er Daten zum Verstoß gegen Menschenrechte, die Politik und Öffentlichkeit aufrütteln sollen. Auch der MHub verweist auf die komplexen Wanderungsbewegungen unterschiedlichster Menschen mit unterschiedlichsten Migrationsmotiven. Er betont aber, dass all diese Menschen ständig Gefahren ausgesetzt sind. Er setzt sich damit für den Schutz der Menschenrechte ungeachtet der Form der Migration