Название | Internationale Migrationspolitik |
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Автор произведения | Stefan Rother |
Жанр | Социология |
Серия | |
Издательство | Социология |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783846346563 |
2.2.1 Klassischer Realismus und Neorealismus
Max Weber, Thomas Hobbes, Niccolò Machiavelli, Thukydides – die Wurzeln des Realismus reichen weit zurück. Alle diese Autoren teilen mit dem klassischen Realismus ein zentrales Motiv: Macht (power) und der Kampf um diese als zentrales Charakteristikum der internationalen Politik. Während es innerhalb eines Staates Organe und Institutionen gibt, bei denen die hoheitliche Macht des Staates liegt, gibt es im internationalen System keine solche Hierarchie – es ist letztlich von Anarchie geprägt und Nationalstaaten sind die zentralen Akteure (Dougherty und Pfaltzgraff 2001). Nach Morgenthau, dem wohl bekanntesten Vertreter des Realismus geht es Politik letztlich immer darum, „either to keep power, to increase power or to demonstrate power“ (Morgenthau 1978, S.5). Zwar sind alle Nationalstaaten rechtlich gleichgestellt und souverän, sie unterscheiden sich jedoch deutlich hinsichtlich ihrer Ressourcen und ihrer Macht. Dies lässt sich an der Bedeutung der so genannten Supermächte nachvollziehen. Das Ziel von Nationalstaaten ist es aber immer, das eigene Überleben zu sichern, koste es, was es wolle. Daher versuchen Staaten, ihre politischen, militärischen und wirtschaftlichen Kapazitäten immer weiter zu erhöhen. Erst wenn das gesichert ist, kann sich ein Staat nachrangigeren Interessen zuwenden. Bündnisse mit anderen Staaten werden nur eingegangen, wenn es dem Ziel der eigenen Selbsterhaltung dient.
Nachfolgende Theorien, wie der Neo-Realismus, auch struktureller Realismus genannt, betonen, dass das Streben nach Macht dabei aber nicht als Selbstzweck verstanden werden dürfe, sondern sich aus dem Sicherheitsstreben der Staaten heraus erkläre: „In crucial situations, the ultimate concern of states is not for power but for security.“ (Waltz 1979, S.37).
Vertreter*innen der realistischen Schule, wie Myron Weiner, sehen Migration vor diesem Hintergrund vor allem als Sicherheitsbedrohung für die soziale Stabilität eines Nationalstaats (Weiner 1985). Dabei wird der Nationalstaat von außen durch Einflüsse der Globalisierung und von innen durch einen wachsenden Multikulturalismus bedroht (Schlesinger 1998). Auch Samuel L. Huntington vertrat in seinem letzten Buch “Who are We? The challenges to American identity“ eine solche Auffassung, indem er argumentierte, die zunehmende „Latino culture“ sei eine Bedrohung der amerikanischen Identität, die er vor allem als angelsächsisch-protestantisch begreift (Huntington 2004) (→ 8 Migration und Sicherheit). Solche Ansichten haben auch weit über den akademischen Bereich Auswirkungen – etwa in den Arbeiten von Peter Brimelow, der Immigration als „Krieg gegen den Nationalstaat“ (Brimelow 1996, S.222) betrachtet (dabei aber selber aus Großbritannien in die USA eingewandert ist). In Deutschland schlug das Buch von Thilo Sarrazin (2010) „Deutschland schafft sich ab“ einen ähnlichen Tonfall an. So unterschiedlich diese Autoren sind, so eint sie die Einordnung von Migration als Bedrohung und eines drohendes Kontrollverlusts des Nationalstaates.
2.2.2 Der neoliberale Institutionalismus
Neoliberale Institutionalist*innen stimmen zwar der Einschätzung des internationalen Systems als anarchisch zu, unterscheiden sich aber von den Neorealist*innen hinsichtlich der Bewertung von Kooperationen. Zwar betrachten auch Realist*innen diese als möglich, gehen aber davon aus, dass Kooperationen nur so lange funktionieren, wie die mächtigen Staaten ein Interesse daran haben. Aus neoliberaler Sicht haben Kooperationen jedoch einen Wert an sich und versprechen Gewinne, die ohne Kooperationen niemals möglich wären und selbst bei ungleicher Verteilung jedem Staat Zugewinne bescheren könnten. Ziel der Staaten müsse es daher sein, Kooperationen auf supranationaler Ebene anzustreben. Aus Sicht eines der prominentesten Vertreter des neoliberalen Institutionalismus, Robert Keohane, sind Kooperation aufgrund der zunehmenden Interdependenz in einer globalisierten Welt für Staaten unabdingbar.1 Obwohl sich institutionelle Regeln im anarchischen internationalen System nicht hierarchisch durchsetzen lassen, argumentiert Keohane, dass Veränderungen in der Institutionalisierung der Weltpolitik signifikanten Einfluss auf das Verhalten von Regierungen haben (Keohane 1989) und diese ihr Handeln zu einem beachtlichen Grad von bestehenden institutionellen Einrichtungen abhängig machen. So führte beispielsweise die Aussicht auf Gewährung von Einreisevergünstigungen oder Zugang zum EU-Binnenmarkt zu Veränderungen im staatlichen Verhalten. Abweichendes staatliches Verhalten wird dadurch nicht unmöglich, aber die Kosten-Nutzen-Rechnung verschiebt sich zugunsten regelgeleiteten Verhaltens.
Relative oder absolute Gewinne?
Umgangssprachlich ist oft von einer „Win-win“-Situation die Rede, im Bereich der Internationalen Beziehungen gestaltet sich die Sache aber etwas komplexer: Dass Staaten bei internationalen Verhandlungen und Abkommen an ihren eigenen Vorteil denken, ist weitgehend unumstritten. Eine Kontroverse gibt es aber darüber, wieweit dabei auch der Vorteil der anderen Partei(en) eine Rolle spielt: Realist*innen glauben, dass hier relative Gewinne entscheidend sind, Staaten also nur zur Kooperation bereit sind, wenn sie daraus mehr Vorteile ziehen als der oder die anderen Beteiligten. Institutionalist*innen gehen dagegen davon aus, dass Staaten bereits kooperieren, solange sie selber davon einen Nutzen haben, selbst wenn dieser für die anderen Beteiligten größer ist. In beiden Fällen folgen die Akteur*innen der Theorie der rationalen Entscheidung (rational choice theory), treffen dabei aber eine andere Kosten-Nutzen-Abwägung.
Die Kosten-Nutzen-Abwägung kann auch dann zugunsten einer Kooperation ausfallen, wenn diese für einen Staat nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile mit sich bringt, und zwar dann, wenn dieser Staat die Vorteile höher einschätzt als die Nachteile.
Am weitesten ist der Gedanke der internationalen Kooperation in der sog. Regimetheorie entwickelt worden. Unter Regimen versteht man ein Geflecht von Normen, Regeln und Entscheidungsverfahren auf internationaler Ebene, an denen sich Nationalstaaten und andere Akteure orientieren und anpassen. Beispiele für internationale Regime finden sich etwa in Bereichen wie Handel, Umwelt, Menschenrechte und Abrüstung. Auch im Bereich Migration spielen sie eine wichtige Rolle, besonders im Schutz von Geflüchteten, wie wir weiter unten noch sehen werden. Regime können Bausteine einer Global Migration Governance werden; hier spielen Staaten nicht mehr die alleinige – oder sogar nur eine sehr geringe – Rolle und die Bedeutung von privatwirtschaftlichen und (zivil)gesellschaftlichen Akteur*innen nimmt zu (→ 13 Global Migration Governance).
Regime
Die weitgehend anerkannte Definition von Regimen stammt vom Stephen D. Krasner (1982, S.186): „Implicit or explicit principles, norms, rules, and decision-making procedures around which actors’ expectations converge in a given area of international relations. Principles are beliefs of fact, causation, and rectitude. Norms are standards of behavior defined in terms of rights and obligations. Rules are specific prescriptions or proscriptions for action. Decision-making