Название | Der Traum vom Fremden |
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Автор произведения | Michael Roes |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783863003272 |
SONNTAG, DEN 7. OKTOBER 1883
Ein klarer Quell tritt zwischen den riesigen Granitblöcken zu Tage, ein fast undurchsichtiges Dickicht säumt das Bachbett, hohe Bäume: namentlich Sykomoren, verleihen ihm Schatten und lassen nur wenige Sonnenstrahlen auf sein Wasser treffen. Das Licht blitzt und glitzert in den Baumkronen, Tausende von Vogelstimmen untermalen das Lichterspiel, die Rufe der Glanzdrossel und des Würgers, das dumpfe Heulen der Helmvögel, das Girren und Gurren der Wildtauben: hier, in dieses schattige Dunkel haben Djami und ich uns zurückgezogen.
Einer der merkwürdigen Umstände in der Fremde ist, daß Landsleuten, die man in der Heimat nicht zu kennen wünschte, geschweige denn mit ihnen das Lager teilen wollte, hier plötzlich in einer unnatürlichen Nähe zueinander stehen. In der Wüste oder im menschenleeren Dschungel ergreift man selbst vor den gräßlichsten Zeit- und Sprachgenossen nicht die Flucht, sondern rückt gar eng zusammen.
Wissen Sie, was das Geheimnis eines guten Geschäftsmannes ist, mein Guter? versucht Brémond mich ins Gespräch zu ziehen: Man darf das Geschäftemachen nicht als Kunst betrachten; man darf nicht glauben, eine Idee sei nur für eine bestimmte Form geschaffen und könne nicht zweierlei Zwecken dienen. Wenn man Erfolg haben will, muß der Geschäftsfreund glauben, er allein sei der Herr dieses Erfolgs; er muß die Verhandlungen vorausahnen und annehmen können und glauben, er habe sie selbst in genau diese Richtung gelenkt.
Ist das nicht große Kunst?
Das ist Menschenkenntnis, das ist strategisches Geschick! ruft er mit hervorquellenden Augen aus, die Arme zu einer theatralischen Umarmung erhoben, auch wenn es außer meiner skeptischen Zuhörerschaft kein weiteres Publikum zu umarmen gibt.
Wenn ich irgendetwas wirklich verabscheue in dieser Weltgegend, fährt er vertraulich fort, dann ist es der Umstand, fast ständig nur unter Männern zu sein. Haben Sie die Dorfmädchen gesehen? Diese leuchtenden Augen, die gleich Licht und Wärme in diese kalte, dunkle Schwärze bringen! Ein Zauber, eine Schönheit, eine Morgenröte! Man möchte wieder an Engel glauben.
Da ich schweige, rückt er noch näher, als könne ich ihn nur nicht richtig verstanden haben: Eine reife Frau mag ihre Vorzüge haben, aber mit der himmlischen Unschuld eines jungen Mädchens ist nichts vergleichbar, finden Sie nicht auch? – Ich höre seine Stimme nicht nur, ich beginne sie zu riechen.
Ich habe da eine aus vielfältiger Erfahrung gewonnene Theorie und würde gerne, so von Mann zu Mann und unter uns, von Ihnen wissen, was Sie davon halten: Meiner Ansicht nach kann ein Mann nur wahre Lust mit einer Frau empfinden, die tief unter ihm steht. Denn mit einer schicklichen Frau, vor allem mit der eigenen, bleibt doch immer eine gehörige Portion Scham, die ihn vom Äußersten abhält, nicht wahr?
Ist das der eigentliche Grund, warum Sie hier im tiefsten Afrika Ihren Geschäften nachgehen?
Es wäre nicht der übelste, mein Guter, wenn unsereins denn die Wahl hätte, über die Nischen selbst zu befinden, die noch einigermaßen Erfolg versprechen. Aber wenn sich das Notwendige mit dem Amüsanten verbinden läßt, wäre ich der Letzte, der dieses glückliche Zusammentreffen ausschlüge. Hier muß man sich in der Tat nicht genieren: hier kann man sich den Liebesakten hingeben, wie man daheim in der prüden Provinz Holz spaltet.
Ich werfe einen verzweifelten Blick auf Djami, auf daß er mich aus diesem Gespräche rette, aber Djami gibt vor, von meiner Verzweiflung nichts zu bemerken (Landsleute unter sich! da darf man nicht stören, mögen die Gegenstände auch jeder Vernunft entbehren), also fährt Brémond ungerührt fort: Übrigens, werter Kollege, nehmen Sie es mir nicht übel, aber nach meinem Dafürhalten – und hier spricht jemand, der nach Jahren ja durchaus fast Ihr Vater sein könnte – scheint mir Ihre Liaison mit ihrem Domestiken für die hiesigen Verhältnisse unangemessen vertraulich. Das korrumpiert die Einheimischen nur und führt zu falschen Schlüssen und am Ende nur allzu rasch zu Aufsässigkeit und Eigensinn.
Ich bin zu verblüfft, um M. Brémonds Unverschämtheit gleich in aller Schärfe zurückzuweisen, und erwidere nach einem längeren schuldbewußten Zögern nur: Mir scheint das Wort Liaison in diesem Zusammenhang vollkommen unangebracht, Monsieur Brémond.
Wie dem auch sei: Sie sind zu gut; Sie lassen sich zu rasch erweichen, zu rasch täuschen; doch mit diesen Menschen darf man nicht zu gütig sein, sie legen es ihrem Herrn als Schwäche aus. Schauen Sie sich den Burschen an! schleicht jetzt schon gekrümmt wie unter der Furcht von Hieben daher, mit humpelnden Schritten, denen man das Gewicht der Sträflingskugel bereits anmerkt, immer im Schatten sich drückend, auf der Seite der Nacht.
Wer weiß, was er in seinen jungen Jahren schon hat erleben müssen!
Einem guten Wesen können die Schläge des Daseins nichts anhaben, sowenig wie Wohlwollen und Zuwendung den niedrigen Instinkten eines Galgenvogels Einhalt gebieten.
Das sind die Vorurteile eines Mannes, der seine Gesundheit allein mit Völlerei und Unzucht ruiniert hat. Aber Brémond hat Unrecht: ich bin kein gütiger Herr, bin nicht blind für die Schwächen und Abgründe anderer, lasse mich nicht leicht täuschen, ja bin meinem Wesen nach ein zutiefst argwöhnischer Mensch, der hinter allem Guten, das ihm widerfährt, stets eine opportunistische, wenn nicht gar böswillige Absicht wittert.
Wie habe ich mit Sotiro über Djamis Häßlichkeit, Dummheit und fehlende Anmut gespottet: Mir selbst gegenüber hätte ich mißtrauisch sein sollen. Er kennt alle meine Gewohnheiten; ist mir unwohl, bin ich krank, weiß er das Heilmittel oder findet zumindest die richtigen Worte. Er ist bereits jetzt ein fast unentbehrlicher Teil meines Lebens, voller Zärtlichkeit, Ergebenheit, aber auch Wachsamkeit und Stolz. Letzteres ist der einzige Grund, warum ich ihm nicht alles sage, nicht alles anvertraue. Sein Stolz ist mir ein Vorbild. Djami ist eines jener raren Geschöpfe, von denen man hofft, daß sie einem einmal am Ende des Weges die Hand halten und die Augen zudrücken werden.
Aber ich will Ihnen auf gar keinen Fall zu nahetreten! – Selbst ein Antoine Brémond spürt, daß er die Grenze des Schicklichen übertreten hat: Wer ohne Sünde ist, der – ach, Sie wissen schon, mein Guter!
Kann man einem derartigen Schmierenkomödianten wirklich böse sein? Ich erwidere sein versöhnliches Lächeln mit einem nicht weniger schmalzigen und wundere mich, wie leicht sich nach all den Jahren der Askese mein Gesicht noch diesbezüglich verformen läßt.
Feist, rotwangig, wohlgenährt wie die Zoten Rabelais’, bei näherem Hinsehen aber blutleer wie die Prosa de Sades: obgleich einige Jahre jünger, erinnert mich M. Brémonds Gesicht an das der Päpstin; aber damit endet die verwandtschaftliche Nähe auch schon: eine Landfrau, die in die Stadt eingeheiratet hat, sich städtisch kleidet und urban gibt, doch ihren bäuerlichen Argwohn und Geiz nie abgelegt hat. Von ihr habe ich den nüchternen Verstand, die Menschenverachtung, die Kränkbarkeit und die Habgier.
Ihre größte Angst war: ich könnte so enden wie ihre Brüder: der eine, der Afrikaner, ging mit siebzehn nach Algerien, wo er nach einem unsteten und glücklosen Leben kaum dreißigjährig starb; der andere war ein Prasser und Säufer, der am Ende als Vagabund auf der Straße landete. Indes waren alle ihre Ängste begründet, und die Gewalt, mit der sie mich den Tugenden der Provinz zu unterwerfen versuchte, war wohl vergeblich. Hier bin ich nun: auf dem Weg in mein Afrika.
Nur daß ich noch als Gymnasiast einen Mädchenhaarschnitt trug, hat sie nicht gestört. Wieviel Trotz und Spott hätte sie mir ersparen können, hätte sie die Männer nicht derart gehaßt! Dieser dunkle Mund der Pflicht, steif und blau vor Stolz, die Seele der Seele ihres Sohnes, der schon ganz verschimmelt war vor lauter Heuchelei und unterdrückten Tränen; der sich in die Frische der Latrinen flüchtet, wo er hingehört mit weit geöffneten Nüstern: hängt den Eingeweiden, den Seelendüften nach, leckt sich die gelben und braunen