Der Traum vom Fremden. Michael Roes

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Название Der Traum vom Fremden
Автор произведения Michael Roes
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783863003272



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eines Vagabunden halten könnte. Die Kälte eines Ardennenwinters könnte ich wohl kaum noch ertragen. Aber würde ich denn überhaupt noch, und sei es auch nur für einen Besuch, in jenes kalte Land zurückkehren wollen?

      Auch hier in den Bergen um Harar ist es in den Wintermonaten regnerisch und kalt; trotzdem trage ich aus Gewohnheit nur eine einfache Tuchhose und das hier übliche weite Hemd: daher vielleicht die arthritischen Beschwerden; manchmal trifft es mich wie ein Hammerschlag unter der rechten Kniescheibe, dann fällt das Gehen mir schwer, als sei das Gelenk vollkommen ausgetrocknet und statt mit einem gleitenden Mittel mit Sand geschmiert. Alles geht nunmehr ein wenig langsamer voran, ich hoffe, Sotiro wird es mir verzeihen. Aber das muß ja nicht zum Schaden dieses Unternehmens sein, meist ist es in diesem Land ja die Ungeduld, die den Eiligen ins Verderben stürzt!

      Ich komme bereits krank in Aden an. Dubar stellt mich fürs erste als Werkstattleiter ein. So dankbar ich ihm auch bin, die Aufgabe ist nicht gerade erfüllend: die Entgegennahme der Kaffeebohnen, die Megjee Chapsee und Almass von den Arabern in den Bergen um Mokka angekauft haben und die in unseren Handelsräumen von den Frauen der Soldaten aus dem indischen Eingeborenenregiment sortiert und gereinigt werden – aber bald macht sie mir, für mich selbst überraschend, große Freude. Ich muß wenig denken, und die Firmenchefs scheinen mit mir zufrieden, und bald schon spreche ich genügend Arabisch, daß ich meine Anweisungen in dieser Sprache erteilen kann, was mir sogleich eine gewisse Achtung unter den Arbeiterinnen verschafft, auch wenn sie mich fortan Karani nennen, den Bösen: aber ich mache mir nichts daraus, diesen Namen geben sie jedem leitenden Angestellten, mag er sie auch wie seinesgleichen behandeln.

      DONNERSTAG, DEN 4. OKTOBER 1883

      Der Abstieg von Ober-Egon nach Ballaoua gestaltet sich äußerst schwierig für die Träger, die bei jedem Stein hinschlagen. Ein Teil der Holzkisten ist schon halb auseinandergebrochen, kaum daß wir unterwegs sind, und die Leute sind vollkommen erledigt. Ich versuche, eine Weile zu Fuß zu gehen, wie ich es gewohnt bin, doch bald schmerzt mein Bein derart, daß ich auf mein Maultier steigen muß.

      Ein Mann von bescheidenen Ansprüchen wäre mit einem einzigen Dromedar aufgebrochen und hätte seinen Leibdiener oder Treiber hinter sich gehen lassen. Aber ich will auch Djami beritten, obgleich der Junge sich zunächst sträubt; nur so sind wir jedoch zu Gewaltmärschen fähig, sofern die Lage uns dazu zwingt. Und wer weiß, in welchem Zustand wir Sotiro antreffen!

      Der Gouverneur will uns zunächst nicht ziehen lassen, ehe wir nicht einige Papiere unterzeichnet haben, daß wir die Rettung Sotiros auf eigene Verantwortung unternehmen und im Falle einer Notlage nicht auf die Unterstützung der ägyptischen Behörden rechnen dürfen. Daß wir darüber hinaus (sozusagen im Vorübergehen) einige Forschungen hinsichtlich der Natur des Ogaden unternehmen wollen, lasse ich unerwähnt. Nachdem der Gouverneur sich derart abgesichert, bietet er uns eine kleine militärische Eskorte an, wohl kaum nur aus Großzügigkeit, sondern zweifellos, um uns zu überwachen und selbst dafür noch zahlen zu lassen. Da vertraue ich doch eher meinem guten Freund Omar Hussein, der mit einigen wehrbereiten Männern am Erer-Fluß zu uns stoßen will. Im übrigen fühle ich mich ohne martialischen Geleitschutz fast sicherer; daß unsere kleine Expedition durch die uns aufgedrängten Gefährten bereits zu einer veritablen Karawane angeschwollen ist und unserem raschen Fortkommen nur hinderlich sein wird, stößt mir bereits gallenbitter auf.

      Die angebliche Straße ins Innere ist ungangbar, zumindest für eine größere Karawane. Am besten käme man wohl zu Fuß voran. Die Siedlungen liegen zerstreut und in weiter Entfernung voneinander. Es scheint: als gehöre alles Land hier noch den wilden Tieren.

      Was wollen die beiden Stellvertreter Christi nur in dieser Wildnis? Noch haben sie sich ihre Rotwangigkeit bewahrt, aber die wird ihnen die Wüste, das Wechselfieber und die Dysenterie bald nehmen! – und der Rotwein und die Heilige Kommunion werden sie nur noch traurig stimmen.

      Ist es wahr, frage ich den jungen Franziskaner, der sich zwischen Djami und mich gedrängt hat, daß der Priester, wenn er die Hostie austeilt, in dem Moment, wo er sie hochhebt und dem Gläubigen in die Augen schaut, seine Gedanken lesen kann?

      Pater Maurice schaut einen Augenblick verdutzt, doch dann erwidert er lächelnd: Es kann zumindest nicht schaden, den Gläubigen in diesem Glauben zu lassen.

      Natürlich, selig die Einfältigen, denn ihrer ist das Himmelreich!

      Seien Sie herzlich zu unserem kleinen Gottesdienst heute abend eingeladen, Monsieur Rimbaud.

      Verzeihen Sie, Vater, Sie sollten sich mit derlei Zeremonien zurückhalten, sie gelten den Menschen hier als heidnisch.

      Er nickt und reitet eine Weile still und in Gedanken versunken weiter. Er tut mir ein wenig leid: bei soviel Zuversicht, die er ausstrahlt, bin ich mir fast sicher, daß er in diesen Landen nicht alt wird. Er sieht alles hier verkehrt herum: vom Himmel aus betrachtet; die Flüsse fließen hinauf, die Berge tragen Hosen, die Wolken sind von Öllachen überzogen. Aber wenn man über die nötige Technik verfügt, kann man das alles auf- und wegsprengen: ja, er kommt mir wie einer jener Sprengmeister vor, die ich in den Steinbrüchen auf Zypern kennengelernt habe. Man muß nur wissen, wo man das Dynamit zu deponieren hat; und den Leichengeruch aushalten.

      Übrigens ist er stark kurzsichtig, wie alle seine Brüder im Geiste, kurzsichtig zumindest, was das Göttliche betrifft.

      Offenbar hat Bischof Taurin meinen Rat, Missionare allenfalls nach Bubassa zu entsenden, als Empfehlung und nicht vielmehr als Warnung aufgefaßt: in Bubassa besteht wenigstens die Hoffnung, daß die Patres lebend zurückkehren werden, wenn sie dort auch wohl so wenig wie im übrigen Ogaden irgendjemanden bekehren werden. Ich wüßte auch keinen Sinn darin zu erkennen: entspricht der Islam nicht vielmehr den Sitten und Lebensgewohnheiten der hiesigen Bewohner; darüber hinaus war das Christentum ja nie fern: gibt es in direkter Nachbarschaft doch christliche Königreiche, um Jahrhunderte älter als die abendländischen.

      Aber da ich selbst es war, der Bubassa ins Spiel gebracht hat, kann ich die beiden Franziskanermönche nun nicht als einstweilige Reisegefährten zurückweisen, auch wenn Djami, Hadsch Afi und ich in Eile sind. Hadsch Afi kennt den Weg nach Bubassa, kennt die Noblen der Stadt, unsere Firma unterhält dort bereits eine kleine, von Sotiro und mir ins Leben gerufene Niederlassung, die Bewohner sind mit fremden Besuchern einigermaßen vertraut, alles weitere müssen meine Brüder in Christo mit den Bubassarun selbst aushandeln.

      Seit fast drei Jahren teile ich die Wohnung über unserem Kontor mit Constantin Sotiro. Fast könnte ich ihn einen Freund nennen, auch wenn er ein äußerst schweigsamer Mensch ist und wir außerhalb unserer Arbeit kaum Zeit miteinander verbringen. Doch ist er mit den Einheimischen zusammen, taut er sogleich auf und palavert mit ihnen ohne Ende: er hockt oder sitzt in ihrer Runde, und nach einer Weile scheint es, als gehöre er dazu, eingebunden in ihr Gelächter, ihren Streit, ihre Berührungen. Verläßt er sie, fällt er rasch in sein gewöhnliches Brüten zurück, als läge ein naher Verwandter von ihm in unserer Wohnung im Sterben.

      Ich hingegen, obgleich ich einige ihrer Sprachen inzwischen fast fließend spreche, weiche ihren Zusammenkünften und Geselligkeiten eher aus und verfalle in ihrer Gegenwart in Schweigen; weniger aus Scheu denn aus tiefer Abneigung gegen jede Art belanglosen Geschwätzes. So baut man natürlich kein Vertrauen auf. Bin ich hauptsächlich für die Rechnungsbücher zuständig, so liegt Sotiros Aufgabe im Aufbau und in der Pflege der menschlichen Kontakte.

      Mit der Ankunft des katholischen Bischofs bin ich nicht mehr der einzige Franzose in Harar. Die wenigen anderen Kaufleute hier sind vor allem Armenier oder, wie Sotiro, Griechen. Harar gilt als eine der heiligsten Städte des Islam. Erst seit der Besetzung durch die Ägypter ist der Zutritt Ungläubigen, wie ich einer bin, erlaubt, und die Herrschaft Rauf Paschas hat zu weiteren zweifelhaften Freiheiten geführt: Kaffeehäuser, Alkohol und ersten Missionsstationen. Sicher werden andere Kaufleute und Missionare bald folgen. Doch nur der Teufel weiß, was geschehen wird, wenn die ungeliebten Ägypter eines Tages Harar wieder verlassen müssen!

      Bischof Taurin Cahagne gibt sich indessen unbesorgt. Er geht wohl schon auf die Sechzig zu, und sein Haar war sicher schon vom Alter gebleicht, zumal er, soweit es eben möglich, die unbarmherzig brennende Äquatorsonne meidet: sein Gesicht ist