Название | Der Traum vom Fremden |
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Автор произведения | Michael Roes |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783863003272 |
Erschreckt es Sie nicht?
Natürlich erschreckt es mich. Aber ich lasse mich von diesem Schrecken nicht zurück in die erstickenden Arme der Kirche treiben. Sie weiß von diesen Dingen ebenso wenig wie ich, auch wenn sie etwas anderes behauptet. Ja, ich denke: die Menschen hier wissen mehr vom Leben und Sterben als wir, und anstatt sie bekehren zu wollen, sollten wir ihnen erst einmal zuhören.
Beide Patres reisen, wie es sich dem Gelübde der Armut ziemt, ohne Dienerschaft und haben nur je einen Eselstreiber für einen so überhöhten Lohn gemietet, der zukünftigen Reisenden nicht wenig Verhandlungsgeschick abverlangen wird.
Beleidigt es denn nicht Ihren gesunden Menschenverstand, daß die Eingeborenen hier ihrem Bekenntnis zu dem einen Gott zum Trotz immer noch ihre Fetische, Masken und Rasseln anbeten?
Es beleidigt mich nicht mehr als das Holz, das Rauschgold, die Knochensplitter der Märtyrer und die unzähligen Vorhäute unseres Herrn, vor denen Christen in unseren Kathedralen sich niederwerfen.
Monsieur Brémond hingegen hat sich um so reicher mit allem zu einer beweglichen Haushaltung Nötigem versehen, vom Kissen bis zur Nähnadel, denn alle Bedürfnisse müssen bedacht werden, will man hernach nicht empfindlichen Mangel leiden. Er trägt einen schwarzen Rock und eine lange schwarze Hose aus schwerem Tuch, dazu ein Paar schwarzer, blankpolierter Stiefel. Und neben dem Eigenen an Kleidern, Eßwaren, Arzneien und Waffen führt er nicht weniger als fünf Lastkamele mit Handelsgütern bei sich, haushoch beladen mit Äxten, Sägen, Hämmern und Nägeln, Schußwaffen und Patronen (die hier auch als allgemeines Zahlungsmittel gelten), Stoffe, Perlen und Gewürze, Branntwein und Tabak und vermutlich auch eine Menge Dinge, derer hier niemand bedarf, aber einen geschäftstüchtigen Mann wie ihn zu raschem Reichtum zu führen versprechen.
Eine solchermaßen umfangreiche Karawane dient womöglich dem Schutze des Einzelnen, aber ist der Erforschung der Völkerschaften, ihrer Sitten und Gebräuche und ihrer Lebensumstände gewiß nicht förderlich, diktiert doch die Gemeinschaft und nicht wissenschaftliche Notwendigkeit den Rhythmus der Reise. So marschiere ich nun dahin, Haut an Haut mit Unbekannten, fast schon gelangweilt, wäre der Schmerz in meinem rechten Bein nicht, die ledrigen, leicht säuerlichen Gerüche, die sehnigen Bewegungen der Träger, nackt, barfuß, schweißglänzend, während mir das schweißnasse Hemd am mageren Leibe klebt und mein Schuhwerk im Dreck versinkt. Das Einerlei der Landschaft (was gibt es hier zu erforschen?); als wären wir beständig in einen Nebel aus Staub gehüllt. Vielleicht wäre es anders: wenn sie mich zurückließen, oder ich sie; dann könnten sich meine Augen an das trübe Licht gewöhnen und sehen, wohin ich den Fuß setze. Vielleicht könnte ich dann sogar wie sie, die Träger und Treiber, barfuß gehen und nackt und würde weniger schwitzen und weniger hinken; das mich plagende Knie wäre nur ein Schmerz unter anderen. Stattdessen verfluche ich diese Wildnis: Kein Wort bringt sie mir näher, kein Name, die rote Erde stinkt so sehr nach Pisse und Verwesung, daß ich mich selbst nicht mehr rieche. Ich schreie den armen Djami an, gebe einige unsinnige Befehle, damit mir der Zweck dieser Reise nicht abhanden kommt: die Rettung Sotiros; der Bericht für die Geographische Gesellschaft.
Natürlich sollte auch Sotiro die Augen offenhalten und soviel wie möglich über dieses noch unbekannte Gebiet in Erfahrung bringen. Aber vor allem sollte er seine eigentliche Aufgabe nicht aus den Augen verlieren: die Erschließung neuer Handelsquellen, Gummi, Elfenbein, Moschus, und neuer, gewinnbringender Handelsniederlassungen für die Gebrüder Bardey. Er reist, wie auch zuvor schon, in der landesüblichen Tracht unter dem Namen Hadsch Abdallah und nur in Begleitung seines Dieners, Hadsch Afi; er kennt sich mit den hiesigen Gebräuchen aus und ist sogar mit dem Koran vertraut, so daß man ihn gemeinhin für einen wodad, einen islamischen Gelehrten hält.
Aber im Ogaden gibt es nicht nur Stämme, die mit den Bewohnern der heiligen Stadt Harar den Glauben an Allah teilen, sondern auch noch jene, die Bäume, Berge oder Fabelwesen anbeten und in den Mohammedanern nur Besatzer und Sklavenjäger erkennen wollen. Sie sind Fremden so feindlich gesinnt, daß sie auch Perlen, Porzellan oder anderer abendländischer Flitter nicht verführt. Womöglich ist der infame Mkuënda einer von ihnen. Seine Götter mögen ihm gnädig sein, sollte er Sotiro etwas angetan haben!
SAMSTAG, DEN 6. OKTOBER 1883
Nächtliches Gewitter. Wir können den Fluß nicht überqueren. Es regnet sechzehn Stunden, ich verbringe die Zeit in meinem Zelt, fürchte um die Apparate. Nicht alle Kisten finden im Trockenen Platz. – Das Essen bleibt heute kalt.
Ich hätte nicht zulassen dürfen, daß sich M. Brémond mit seinen überladenen Kamelen unserer Karawane anschließt, um seine zweifelhaften Waren in den Dörfern des Ogaden zu verhökern oder gegen Felle und Elfenbein zu tauschen. Er hat ein Dutzend Träger angeheuert, die unsere Reise nicht nur schrecklich verlangsamen, sondern auch allenthalben für Schwierigkeiten sorgen, denn Brémond ist kein Dienstherr, wie man sich ihn wünscht, sondern ein wahrer Menschenschinder. Im Grunde betreibt er nur dasselbe Geschäft wie Bardey & Co., indessen ohne den Mut oder den Ehrgeiz, feste Niederlassungen zu gründen. Er sucht allein den raschen Gewinn, ehe die Einheimischen bemerken, daß dieser Hausierer sie mit ihren Glasperlen übers Ohr gehauen hat.
Aus schierer Langeweile (vielleicht auch Mordlust) will M. Brémond sich offenbar auf Hyänenjagd begeben, obgleich unter den Einheimischen ihr Fleisch als ungenießbar gilt. In Harar läßt man sie in Frieden, nicht nur, weil sie die Stadt von Aas und Unrat reinhalten, sondern weil viele Hararis – ihres Glaubens an den einen Gott und seinen Propheten ungeachtet – die Hyänen für verwandelte Menschen, für Zauberer oder Marabus halten. Solche Hexenmeister, so ihre Überzeugung, könnten allein durch ihren bösen Blick das Blut in den Adern eines Angreifers gefrieren, das Herz ihrer Feinde stillstehen und seine Eingeweide austrocknen lassen.
M. Brémond gibt nichts auf diesen Aberglauben, doch keiner seiner Bedienten oder Sklaven will ihn auf seiner Pirsch begleiten. Selbst Djami schaut beunruhigt
Indessen hält es M. Brémonds edles Reitkamel für angemessen, mit seinem gewichtigen Reiter durchzugehen und ihn in einem eine Viertelmeile entfernten Kakteenfeld abzuwerfen.
Nun sucht er Zuflucht in meinem Zelt und jammert mir die Ohren voll: Daß man bei all der Niedertracht und dem Ärger nicht auseinanderfällt! Eine Rotte aufsässiger, nichtsnutziger und nur auf ihren Vorteil bedachter Hunde sind diese Träger und Treiber! Scheuen kein Mittel, ihren Herrn und Brotgeber zu übervorteilen! Jedes freundliche Wort, das man ihnen gönnt, wird benutzt, um neue Forderungen zu stellen, jedes Lächeln als ein Zeichen von Schwäche angesehen. Mir scheint, dieses Gesindel ist zu keiner höheren Regung fähig. Nie Zufriedenheit, nie Arbeitseifer, nur Streitlust und Faulheit …
Djami sitzt an meiner Seite, läßt sich aber nichts anmerken von dem, was Antoine Brémonds Tirade in ihm auslöst. Was erwartet Brémond von seinen Trägern und Treibern: Männer, manche Knaben noch, die allein aus Zwang oder durch ihre Angehörigen gedrängt ihrer Heimat entrissen sind und diese schwere Arbeit zu leisten haben; die in unbekannte, furchterregende Regionen geführt werden und unsere Ziele und Zwecke nicht verstehen können, da wir uns nicht einmal die Mühe geben, sie ihnen erklären zu wollen?
Doch nicht nur ihr inneres Gleichgewicht ist gestört und ihre Gesundheit zerrüttet, auch Brémonds Kräfte schwinden, sein Haß gegen dieses Land und seine Bewohner nimmt ein unglaubliches Maß an: Sie trügen an allen Unfällen und Mißerfolgen die Schuld, als ob der reisende Kaufmann alles so behaglich und geebnet für seine Handelsreise vorfinden müsse wie daheim in der Bretagne. Ist es diese Art von Geschäft, die einen Ehrenmann am Ende zu einem Geschäftsmann macht? Möge Djami mich in Ketten legen und in die Sklaverei verkaufen, sollte ich je ein weiterer Brémond werden!
Brémond bekennt, daß ihm einige, längst verheilt geglaubte Geschwüre an delikater Stelle durch den langen, ungewohnten Aufenthalt im Sattel erneut zu peinigen begonnen hätten, außerdem mache ihn das unerwartet kalte und feuchte Klima hier in den Bergen zu schaffen: und tatsächlich wirkt sein Gesicht ein wenig fiebrig. Das erklärt allerdings, daß ihm jeder Zank und Lärm zum Aufruhr wird, der seine herausgeforderte Gesundheit noch mehr reizt.
Tatsächlich ist es wohl so: nicht nur Antoine Brémond, sondern alle in Abessinien ansässigen Europäer, so gering ihre Zahl auch