Название | Eine Tote im Fluss |
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Автор произведения | Wolfgang Breuer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961360635 |
„Wieso?“, fragte Klaiser nach. „Dass ihr Gesicht völlig zerstört ist, das habe ich ja gesehen.“
„Ja, aber wodurch das geschah und ob das todesursächlich war, lässt sich aus dem Stand auf gar keinen Fall sagen. Außerdem weist ihr Körper mindestens zwei Einstiche auf und hat überall Risswunden.“
„Dann waren die beiden Stiche doch wohl eher tödlich, Herr Doktor.“
„So wie es aussieht, stimmt das bei einem auf alle Fälle. Der ging vermutlich direkt ins Herz. Wofür aber hat man dann ihr Gesicht derart zertrümmert?“
„Fragen Sie mich bitte was Leichteres.“
„Wenn ich mich recht erinnere, wurde uns im Studium erzählt, dass es wohl Stämme im tiefen Afrika gebe oder gegeben habe, bei denen es üblich war, ihre getöteten Feinde so zu verunstalten. Damit sie aus dem Jenseits nicht mehr auf die Lebenden blicken konnten. Andere Stämme haben den Getöteten wohl deshalb auch die Augen ausgestochen. “
„Hören Sie auf, hören Sie bitte auf“, wandte sich der Kripo-Chef vehement gegen die Ausführungen des Mediziners. „Sie haben ja ein Gemüt wie ein Schlachterhund. Das gibt es doch gar nicht.“
„Moment, Moment! Ich kann ja verstehen, dass bei Ihnen Kopf und Magen gleichzeitig rebellieren“, brachte sich der Medizinmann in Abwehrstellung. „Aber den Schuh, den Sie mir da hinhalten, ziehe ich mir nicht an. Ich habe lediglich mein Wissen zu der höchst seltenen Praktik des zerschmetterten Gesichts preisgegeben. Das könnte nämlich durchaus auch eine Botschaft sein.“
„Wie?“, versuchte Klaus wieder auf die Höhe der Diskussion zu kommen. „Wollen Sie damit etwa andeuten, dass der oder die Mörder aus einem dieser Länder oder Stämme kommen könnten und so eine besondere Form von Rache üben?“
„Das könnte man so sehen.“
„Ja, aber für was denn bitteschön?“
„Keine Ahnung. Das ist Ihre Sache, verehrter Herr Klaiser. Ich wollte nur helfen“, endete Doktor Kölblin leicht indigniert und wandte seinen Blick ab. „Kann ich den Leichensack jetzt wieder schließen lassen?“
„Ja, natürlich.“ Klaus hatte den Unterton sehr wohl verstanden und bemühte sich um Wiedergutmachung. „Verzeihen Sie bitte meine Reaktion. Das war zu viel auf einmal. Sie hatten von Anfang an recht. Entschuldigung.“
„Schon gut. Alles wieder in Ordnung“, lächelte ihn der Doc etwas schräg an. „Wissen Sie, vielleicht liegen Sie ja richtig mit diesem ‚Schlachterhund‘. In meinem Beruf muss man gelegentlich eine Schwarte haben, gegen die sich eine Elefantenhaut wie Pergament ausmacht. Kann sein, dass man dann auch verbal ein wenig zu weit hinausrudert. Kann sein …“, murmelte er mehr in sich hinein und versuchte, den weißen Anzug vom Leib zu bekommen, der ihm durch den Körperschweiß zur zweiten Haut geworden war.
„Kommen Sie, ich helfe Ihnen“, bot Klaiser an. Doch sein Funkgerät rührte sich plötzlich. Harry Senftleben von der Schutzpolizei meldete einen Fund am Ederufer.
„Ihr müsstet mal hier raufkommen und jemanden von der Spurensicherung mitbringen. Das ist vielleicht so sieben-, achthundert Meter von Euch entfernt auf der rechten Uferseite. Hier geht ‘n Wiesenweg vorbei, der am einfachsten vom hinteren Ende der Stedenhofstraße her erreichbar ist. Dann zweimal links. Wo die Eder fast direkt an den Wald heranführt, stehen wir.“
Klaus Klaiser informierte noch schnell Sven Lukas per Handy und wenige Minuten später waren er, Rüdiger Mertz und Gerd Steiner schon vor Ort. Der KTU-Mann hatte sie zweckmäßigerweise in seinem fahrenden Labor mitgenommen. So hatte er alles dabei, was er unter Umständen brauchen könnte. Zwei seiner Leute mühten sich nach wie vor in der Flachwasserzone am Fundort ab, bedeutsame Funde zu machen. Bisher waren sie leer ausgegangen.
„Grüß Dich, Harry“, streckte Klaiser dem Uniformierten die Hand entgegen. „Was habt Ihr?“
„Och, ‘ne ganze Menge, würde ich behaupten. Da vorne auf der kleinen Lichtung, Frauen-Sommerkleidung, ein Badelaken, einen Bikini und, wenn ich das hier richtig sehe, getrocknete DNA in Form von Sperma.“ Senftleben wies dabei auf eine Stelle auf dem Badetuch, die jeder der Betrachter ebenfalls sofort als vertrocknete Samenflüssigkeit ausmachte.
Nicht weit davon ein Papiertaschentuch, das womöglich einen ebensolchen Inhalt einschloss. Musste man zumindest vermuten. Denn es ließ sich nicht auseinanderfalten. Ein fast untrügliches Zeichen für ‚Männerpattex‘.
„Prima gemacht“, lobte der Kripomann. „Seid Ihr auch sicher, dass die Besitzerin nicht noch irgendwo hier im Wasser sitzt oder herumschwirrt?“
„Na, hör mal“, empörte sich der Polizeikommissar künstlich, „das Zeug bröckelt ja fast. Frisch sieht‘s hier sowieso nirgends aus. Und überhaupt – würdest Du als Frau splitternackt in der Gegend rumlaufen?“
„Er sicher nicht“, schaltete sich Steiner grinsend ein und ging auf die Knie, um das Badetuch näher zu betrachten. „Ich muss Ihnen recht geben“, sagt er nach einer Weile. „Das Sperma ist schon ein paar Tage alt. Das ist knochentrocken. Und riechen tut‘s auch nicht mehr.“
Die anderen schauten ihn kopfschüttelnd und mit gerümpfter Nase an.
„Aber Sie meinen schon, dass sich daraus eine DNA erlesen lässt.“
„Und was für eine“, lachte Steiner. „Vielleicht sogar zwei.“ Dann drehte er ab. „So, jetzt isses aber gut“, beendete er das Thema.
„Hat eigentlich jemand irgendwelche Papiere der Dame hier gefunden? Oder einen Schlüssel, oder etwas in der Richtung?“, wollte Klaus schließlich wissen.
Allgemeines Kopfschütteln. „Auch in Sachen Kampf- oder Blutspuren, oder Gewebeteilen ist die Antwort ‚niente‘.“ Harry Senftleben schwitzte aus sämtlichen Knopflöchern. „War ‘ne ganz schöne Tortur durch das ganze Gestrüpp da.
Und deswegen sind wir flussaufwärts auch noch nicht weiter gekommen. Da wird‘s übrigens noch unwegsamer“, wies er auf eine geschlossene Buschgruppe.
„Habt Ihr denn auch mal reingeschaut?“, wollte Mertz wissen.
„Nein! Sag‘ ich doch. Wir haben Euch erstmal über den Fund hier informiert und ‘ne Pause eingelegt. Guck Dir doch mal die Kollegen an“, echauffierte sich Senftleben und wies auf die schwitzenden Polizisten des Suchtrupps, die mit roten Köpfen teilweise an Baumstämmen lehnten.
„Och Mann ey, das hätte doch einer mal gerade machen können. Die Büsche hören ja nach 20 Metern sowieso auf.“
„Ja, ja, mecker‘ Du nur. Weißt Du, wie kaputt wir sind? Das Gestrüpp macht Dich kirre, Mann“, motzte Harry, während er sich vornüberbeugte und beide Hände auf die Knie stützte.
Aber da war Mertz bereits im Dickicht verschwunden. Er musste alle Kraft aufwenden, um halbwegs aufrecht gehend in das Gewirr von Ästen, Zweigen und Blättern einzudringen. ‚Ganz schön dunkel hier‘, dachte er, während er sich vorkam wie von Humboldt im Regenwald. Drei, vier Meter weiter öffnete sich eine kleine Lichtung.
Und dort wich er unweigerlich zurück. So, wie schon vor zwei Stunden, als er die Leiche der jungen blonden Frau zu Gesicht bekommen hatte. Vor seinen Augen schwirrten Tausende von Fliegen herum.
„Hier!“, brüllte er. „Hierher! Schnell! Schnell!“ Mertz‘ Puls raste, Schweiß brach aus jeder seiner Poren, rann an seinem Körper herunter und ließ in Sekundenbruchteilen sowohl sein Uniformhemd als auch seine Hose an der Haut festkleben. Ihm wurde kotzübel.
Während er sich wegdrehte und gegen sein Unwohlsein ankämpfte, wurde es laut hinter ihm. Gleich vier Leute bahnten sich einen Weg durch das Gestrüpp und blieben plötzlich wie angewurzelt stehen.
„Nein! Das gibt es doch nicht“, schrie Klaiser auf. Wer sind denn diese Dreckschweine, die so was machen?“
Auch