Название | Eine Tote im Fluss |
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Автор произведения | Wolfgang Breuer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961360635 |
Bis auf zwei mittelgroße Rollkoffer mussten die Klinkerts später nur noch zwei Kartons Wein aus dem Kofferraum ausladen. Das war alles. Denn in ihrem Feriendomizil an der Via Mattarone in Stresa waren sie seit Jahren mit allem ausgerüstet, was das Herz begehrt. Auch mit vollen Kleiderschränken. Die, wegen der Nähe zu Mailand, immer wieder mal durchforstet werden mussten, um nicht aus allen Fugen zu geraten.
Umständlich puhlte Reinhard Klinkert die Hausschlüssel aus der Tasche seiner luftigen Sommerhose und schloss auf. Angenehme Kühle umlullte das Paar, als es das Foyer betrat. „Wow!“, rief Desiree, „welch‘ eine Wonne.“
„Jahaaa, die Klimaanlage arbeitet hervorragend“, lachte Reinhard. „Die Investition hat sich mehr als gelohnt.“ Doch diese These entpuppte sich im wahrsten Sinne des Wortes als heiße Luft, als er nämlich die Tür zum großen Wohnbereich öffnete. Denn dort empfing sie eine Wärme, die hier drin noch unangenehmer war als vor dem Haus. „Was ist denn hier los?“, wetterte der Hausherr. „Verdammt noch mal, Hanna, was läuft hier?“
Doch es rührte sich nichts. Lediglich aus den Lüftungsschlitzen der Klimaanlage war ein beständiges Pusten zu hören. Ein ungleicher Kampf gegen die Hitze, wie sich schnell herausstellte. Und als Frau Klinkert um die Kaminecke bog, fand sie den Grund für die Misere. Die große Schiebetür zur Gartenterrasse war sperrangelweit offen. „Ooooh Kind“, dachte sie mehr, als dass sie es aussprach, „wo hast Du nur manchmal Deinen Kopf?“
Ihr Mann hatte es trotzdem gehört und spielte schnell den verständnisvollen Vater. „Komm, reg‘ Dich nicht auf“, lächelte er. „Sie wird zu heftig in ihren Geburtstag rein gefeiert haben und liegt jetzt irgendwo, um ihren Rausch auszuschlafen. Womöglich dort draußen in ihrer Lieblingsecke.“
„Da bin ich ja mal sehr gespannt“, lächelte Desiree, die nun auch zur mütterlichen Milde zurückgefunden hatte. Mit einem Griff fischte sie ein kleines Päckchen aus ihrem Koffer, um dann spornstreichs in den Garten hinauszumarschieren. Doch als sie, gefolgt von ihrem Mann, einen Bogen um die große Thuja-Hecke gemacht hatte, schreckte sie zurück und lachte in ihre vorgehaltene Hand.
„Was ist“, zischte Reinhard, den sie mit der anderen Hand festgehalten hatte, „ist was passiert?“
„Das kann man so sagen, ja. Da passiert gerade was.“
„Oh, lass mal gucken“, wollte der Gatte sich gerade losmachen.
„Besser nicht. Oder willst Du Deiner Tochter beim Sex zuschauen?“
„Beim WAS?“
„Pssst“, hielt sie ihm schnell ebenfalls den Mund zu. „Du hast mich schon richtig verstanden.“
„Ja, aber sie kann doch nicht einfach im Garten …“ murmelte er in ihre Hand.
„Kann sie doch“, gluckste Desiree und zerrte ihren Mann zurück zum Haus. „Sie ist volljährig. Geht das da oben bei Dir rein?“, tippte sie mit einem Finger an seine Stirn. Und im Übrigen wissen wir beide sehr genau, was im Garten geht und was nicht“, lachte sie richtig los, als sie wieder im großen Wohnzimmer waren. Hinter zugezogener Tür. „Da hinten kann doch keiner reingucken.“
„Stimmt! Eigentlich hast Du recht. Aber unser Platz ist ja nun ‚verbrannt‘, wenn ich das mal so sagen darf“, sagte er grinsend. „Außerdem haben alte Menschen wie wir ganz andere Bedürfnisse an ganz anderen Orten.“ Mit einem schwungvollen Griff umfasste Reinhard Klinkert die Hüften seiner noch sehr jugendlich wirkenden Frau und gab ihr einen langen Kuss.
„Uuuuh, fühle ich da vielleicht etwas heraus?“, fragte sie mit verklärtem Blick und drehte sich aus dem Arm ihres Mannes heraus, um ihren Koffer Richtung Treppenhaus zu fahren. „Aber vorher möchte ich noch etwas essen und mich frisch machen.“
‚Da ist sie wieder, diese frappierende Nüchternheit, mit der sie dich innerhalb von Sekundenbruchteilen herunterkühlen kann‘, dachte Klinkert bei sich und folgte ihr, seinen Koffer ebenfalls hinter sich herziehend.
Klaus Klaiser brummelte Unverständliches in seinen nicht vorhandenen Bart. Gerade erst waren seine kleine Familie und er aus dem Münsterland zurückgekommen. Stippvisiten bei Verwandten. Die waren so nötig, passierten aber leider viel zu selten. Von Freitagmittag bis Sonntagnachmittag. Das war auch viel zu kurz.
Aber es hatte Spaß gemacht, mal wieder in längst vertraute Gesichter zu schauen und deren Geschichten zu lauschen. Und dabei den guten Katenschinken auf dem dort so angesagten Pumpernickel zu essen. Natürlich gab‘s dazu auch das typische Münsterländer Altbier.
Und jetzt? Jetzt jagte er seinen Dienst-A5 mit Kojak-Lampe auf dem Dach und ordentlich „Tatü-tata“ die Landstraße von Berghausen nach Arfeld herunter, um sich, wie der ‚Freak‘ angekündigt hatte, eine der „widerwärtigsten Leichenfundsachen“ anzusehen, die er je zu Gesicht bekommen habe.
„Klasse Job, so für einen Sonntag ohne Dienst“, maulte er, während er, von Dotzlar her kommend, die Ederbrücke beim Arfelder Bahnhof überquerte. „Hat dich aber auch keiner gezwungen, Chef zu werden, du Rindviech.“
Insgeheim aber musste er ob seiner Selbstkasteiung grinsen. Denn Chef zu sein, war ja nun so schlecht auch wieder nicht.
Mit Vorsicht durch eine 30er Etappe und danach durch zwei Kurven bergab. Kurz darauf war er schon raus aus dem Ort und am Ziel. Kurz hinter dem Ortsschild standen zwei Einsatzfahrzeuge am Straßenrand und jede Menge Neugieriger, die hofften, von oben herunter einen Blick auf die Tote im Edertal erhaschen zu können.
Als der verschwitzte Finkbeiner an der Straßensperre Klaiser erkannte, ließ er das blau-weiße Flatterband fallen, um den Kripo-Chef durchzulassen.
Aber der blieb stehen, stieg aus und holte aus seiner Tasche auf dem Rücksitz eine Flasche Mineralwasser. „Hier“, sagte er und drückte dem verblüfften Kollegen die Pulle in die Hand. „Kannst Du behalten. Du siehst nicht so aus, als hättest Du schon ausreichend Abkühlung gehabt heute.“ Dann stieg er wieder ein und fuhr den abschüssigen Weg hinunter.
Unten, hinter der nächsten Brücke, hatte Klaus schnell einen Parkplatz gefunden. Es waren nur ein paar Meter zum Fundort zu laufen. Die renitenten Gaffer am Ederufer waren verschwunden. Denn Rüdiger Mertz war ihnen gehörig auf die Zehen gestiegen und hatte von jedem die Personalien erfragt und notiert. Gesehen oder gehört hatte von denen ohnehin keiner was. Jedenfalls nichts, was zur Aufklärung des Mordes hätte beitragen können.
Vorne, am Ufer der Eder, waren die Herren in Weiß im Einsatz. Rechtsmedizin und KTU in prominenter Besetzung. Doktor Julius Kölblin und Gerd Steiner. Alte und von Klaiser sehr gemochte Bekannte. Entsprechend herzlich fiel auch die Begrüßung aus. Soweit das unter den gegebenen Umständen überhaupt möglich war.
„Wollen Sie‘s wirklich wagen?“ Der Kummer gewohnte Doc Kölblin war sich nicht ganz sicher, ob der Kriminalist den Anblick der Leiche so einfach wegstecken würde.
„Wieso? Ist es so schlimm? Der Kollege Lukas hat schon solche Andeutungen gemacht. Wo ist denn der überhaupt?“
„Der spricht vorne im VW-Bulli gerade mit den beiden Jungs, die die Leiche entdeckt haben“, antwortete Steiner. „Und ja, der Anblick ist grausam. Da muss ich dem Doc beipflichten. Ich glaub‘, der will Sie nur schützen.“
„Das ändert ja nichts. Ich muss mir ja ein Bild machen können. Von Leichen- und Tatortfotos allein halte ich nicht so besonders viel. Also bringen wir‘s hinter uns.“
„In Ordnung. Wie Sie wollen“, fügte sich Kölblin, öffnete den Reißverschluss am Leichensack von oben bis unten und legte dann mit einem Ruck den gesamten Leichnam der jungen Frau frei, der lediglich einen Slip trug.
Klaus Klaiser schrak zurück und schlug eine Hand vor den Mund. Entsetzt starrte er in den Leichensack und schüttelte nur den Kopf. Dann drehte er sich herum und holte tief Luft. „Wie ist denn so was möglich?“, stammelte er. „Wer zerstört denn, aus welchem Grund auch immer, derart einen so jungen Körper?“
Fassungslos