Название | Mords-Stünzel |
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Автор произведения | Wolfgang Breuer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961360222 |
Die drei vorgezeigten jungen Leute, alle offenbar in gleichem oder ähnlichem Alter wie die Getötete, saßen eindeutig im selben Festzelt und hatten scheinbar richtig Spaß. Zwei Bilder weiter vorne in dem Archiv saß Kathrin Kögel sogar mit in der Runde.
„Hier, in der Lücke da, zwischen ihr und Holger, habe ich gesessen. Bin aber aufgestanden, um das Foto zu machen. Und danach ist sie zu mir rübergekommen und wir haben uns eine Weile abgesetzt und draußen ein bisschen rumgeknutscht. … Wie die Pennäler, Mensch.“ Sven schniefte wieder und wandte sich ab. „Ich hab’ mich dermaßen verknallt, ey. So was gibt’s normalerweise gar nicht. Ich hab’ geschwebt. Ich war wie in Trance. Wisst Ihr überhaupt, wie das ist?“
Ein tiefer, gequälter Seufzer entfuhr seiner Kehle. „Und jetzt liegt sie da vorne. Tot. Diese schöne, tolle Frau. Totgemacht. So eine verfluchte, unmenschliche Schweinerei!“
Die beiden Kollegen schauderte es. Sie wussten nicht so genau, wie sie mit dem von einer Schluchz-Attacke übermannten Sven umgehen sollten. Aber sie brauchten noch mehr Informationen. Wie waren zum Beispiel die Nachnamen der drei Bekannten, wo genau wohnten sie und in welcher Beziehung standen sie zu Kathrin?
Es dauerte eine Weile, bis sich der Kollege wieder erholt hatte und vermutlich weitere Fragen ertragen konnte. Dass er der Mörder dieser jungen Frau sein sollte, diese Frage stellte sich den beiden Kriminalbeamten ohnehin nicht. Oder besser: nicht mehr. Denn Corinna hatte sich seit Svens Outing die ganze Zeit über gefragt, warum er ihr von seinem neuen Glück nicht schon während der Fahrt von Bad Berleburg hinauf zum Stünzel erzählt hatte.
Aber mittlerweile war ihr klar, dass er dieses zarte Pflänzchen der Liebe und des Glücks wohl noch eine Weile für sich bewahren wollte. Sie erinnerte sich, wie unglücklich der Kollege im vergangenen Jahr war, nachdem ihm seine damalige Freundin eröffnet hatte, sie würde dann doch ein Leben mit ihrem Ex am Bodensee vorziehen. ‚Und jetzt war seine demolierte Seele wieder versöhnt’, dachte sie. ‚Aber leider nur für einen Augenblick. Der arme Kerl.’
„Sag mal, wie geht denn das jetzt hier weiter?“ Rüdiger Mertz war es, der kurz angeklopft und dann einfach die Schiebetür des Bullis aufgerissen hatte. „Die Leute von der Rechtsmedizin sind fertig und wollen fahren. Sie werden die Leiche mit nach Siegen nehmen. Zur Obduktion.“
Erst in diesem Moment begriff er, dass Sven mit im Wagen saß und ob der letzten Worte wieder heftig zu schlucken begann. ‚Scheiße’, dachte Mertz. ‚Das hätte jetzt nicht passieren dürfen. Dieser arme Hund.’ „Sorry, Sven“, sagte er und hob eine Hand zu Entschuldigung. „Du weißt, unser Geschäft …“ Mehr fiel ihm augenblicklich nicht ein. Aber der junge Kollege hatte verstanden und nickte nur stumm.
Corinna stieg aus und begleitete Rüdiger rüber zum Fundort. „Ist schon okay“, klopfte sie ihm auf die Schulter, „konntest Du ja nicht ahnen. Sven ist ganz schön angezählt. Der wird eine Weile brauchen“, legte sie nach. „Wie ist denn eigentlich die Personenbefragung gelaufen? Gab’s was Auffälliges?“
„Nee, sonst hätten wir uns schon gerührt. Die Leute waren alle mehr oder weniger geschockt. Obwohl der eine oder andere das nicht zum ersten Mal erlebt zu haben scheint. Tote auf Rummelplätzen sind dann wohl doch nicht ganz so selten. Und Mordopfer sollen dabei nicht unbedingt die Ausnahme sein.“
Nur gesehen hatte sie wohl keiner von ihnen. Oder man konnte sich schlicht nicht erinnern. Die Aussagen der Leute inklusive ihrer Wohnadressen und Erreichbarkeiten unterwegs seien von den Kollegen aufgezeichnet werdenund würden nach Rückkehr ins Revier protokolliert.
Es war ein ergreifendes Bild, das sich Corinna und Rüdiger am Fundort der ermordeten Studentin bot. Und das die Oberkommissarin noch intensiver daran glauben ließ, dass die meisten Menschen, vor allem auch Polizeibeamte, Anstand und Seele besitzen. Ihre Kollegen und Winfried Stremmel standen Spalier, als der Zinksarg zum Leichenwagen gebracht wurde. Ihre Kopfbedeckungen in der Hand neigten sie ihr Haupt, als die beiden Männer von der Gerichtsmedizin die traurige Last vorübertrugen. Sie hätte weinen können. Aber sie blieb einfach nur tapfer stehen und schaute versonnen dem Sarg nach. ‚Ein vernichtetes Leben. Was für ein Wahnsinn.’
„Gab es noch Besonderheiten, auf die Sie gestoßen sind, Doc?“, empfing sie den Leiter der Rechtsmedizin.
„Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich glaube, wir haben es hier mit einem Fall einer abgewehrten Vergewaltigung zu tun.“
Die Kriminalistin wurde hellhörig. „Abgewehrte Vergewaltigung? Wie muss ich das verstehen?“
„Die Frau hat Einblutungen in Form von blauen Striemen um die Hüfte herum. Das zeigt, dass irgendjemand versucht hat, ihr die Hose vom Leibe zu reißen. Dazu sind einige ihrer Fingernägel abgebrochen. Was bedeuten könnte, dass sie sich massiv gewehrt und eventuell gewaltsam ihre Hose am Bund oder an den Gürtelschlaufen oben gehalten hat.“
„Und Sie können wirklich ausschließen, dass sie vergewaltigt wurde?“ Corinna insistierte, um für den Verlauf ihrer Ermittlungen mehr in der Hand zu haben.
„Also verzeihen Sie mir meine inkomplette Diagnose. Doch ich wollte, vor allem aus Gründen der Pietät, darauf verzichten, diesen jungen Körper in dem Viehanhänger komplett zu entkleiden. Aber ich bin zumindest zu der Erkenntnis gekommen, dass es weder Verletzungen im vorderen Genitalbereich noch austretendes Sperma gab. Dafür habe ich aber kleine Kratzer und einige Hämatome an ihren Brüsten gefunden. Alles weitere wie üblich nach der Obduktion.“
„Todesursache?“
„Ziemlich sicher Tod durch Erwürgen.“
„Todeszeitpunkt?“
„Wie der Kollege Notarzt bereits festgestellt hat. Zwischen 21 und 23 Uhr plus, minus eine halbe Stunde.“
„Danke Doktor. Wann werden Sie mit der Obduktion beginnen?“
„Ich werde heute noch öffnen. Lassen Sie doch vielleicht einen der Kollegen aus Siegen kommen. Die Fahrt von Berleburg rüber nimmt halt viel Zeit.“
„Mal sehen, was geht. Mir wäre auf alle Fälle recht, wenn wir schnell zu den Ergebnissen kämen.“
„Okay, dann bis später. Egal wie. Wir fahren dann mal. Tschüss.“
Schlagartig wurde es leer auf dem Stünzelplatz. Die Budenbesitzer waren längst weg. Und auch die wenigen Schaulustigen, die das Polizeiaufgebot aus dem kleinen Ort angelockt hatte, verdünnisierten sich langsam wieder. Lediglich die Monteure am Fliegerkarussell waren noch bei den Abbauarbeiten. Aber auch sie würden im Laufe des frühen Nachmittags fertig sein.
Nachdem auch die SpuSi-Leute ihre Fundbeutel und Werkzeuge eingepackt und sich verabschiedet hatten, gab Oberkommissarin Lauber, in Abstimmung mit ihrem Kollegen von der Schutzpolizei, das Zeichen zum Abrücken der uniformierten Kollegen. Zwei Teams waren ohnehin schon vorher verschwunden. Irgendwo hatte es Stress gegeben bei einer Frühschoppen-Fete.
„Okay, Kolleginnen und Kollegen. Das war’s erstmal. Ich danke Euch für Euren Einsatz und bitte um zügige Protokolle über die Personenbefragungen. Tschüss, wir sehen uns auf der Wache.“
Born, Winter und der bedauernswerte Lukas waren ‚übrig’ geblieben. Corinna hatte sie gebeten zu bleiben. Weil es jetzt galt, so schnell wie möglich die drei Bekannten ausfindig zu machen, mit denen die später Getötete zu Fuß nach Bad Laasphe laufen wollte. Holger, Vivien und Bastian. Drei junge Leute, die, so meinte sich der ‚Freak’ zu erinnern, allesamt in Laasphe wohnten. Aber Nachnamen … „Nee, ich kann mich nicht erinnern, auch nur einen genannt bekommen zu haben.“
Nur wegen Vivien habe es einen Lacher gegeben, der eventuell weiterhelfen könnte. Ein an ihrer Bierbank vorbeikommender Mann habe erst der wenig erfreuten Kathrin, dann aber der jubelnden Vivien seinen Hut mit Gamsbart aufgesetzt und „Halali – habe die Ehre“ gerufen. Daraufhin habe die gemeint: „Aha, ein Jäger. Das trifft sich gut. Ich wohn’ nämlich im Hubertusweg.“ Alle