In aller Stille. Wolfgang Breuer

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Название In aller Stille
Автор произведения Wolfgang Breuer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961360147



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wie ein Gummimännchen. Born stierte fassungslos auf ihn herunter.

      Diese Schrecksekunde nutzte der gerade noch Festgesetzte und wollte sich um die Motorhaube seines Trucks herum verdünnisieren. Aber der Polizist hatte geschaltet und stellte dem Flüchtenden ein Bein, so dass der sich selbst in die Hacken trat und stürzte. Direkt vor dem neugierigen Schöler. „Halt´ den mal grad´ am Boden fest. Arm einfach nach hinten drehen. Das geht schon. Ich muss schnell nach meinem Kollegen gucken!“, rief Born. Doch da war bereits ein Rettungssanitäter aus dem Wagen gesprungen und zu dem Beamten herübergelaufen, der sich gerade aufrappeln wollte. „Nix, nix, liegen bleiben. Erst mal sehen, was mit Ihnen los ist.“

      Born, der sich mit Blick aus dem Augenwinkel versicherte, dass Schöler den Mann am Boden unter Kontrolle hatte, schilderte dem Sanitäter kurz, was mit Winter passiert war und fragte: „Sagen Sie, wissen Sie, wie es dem Unfallopfer geht?“

      „Ich sitze auf dem anderen Wagen, habe mich um Frau Homrighausen gekümmert. Aber so viel ich mitgekriegt habe, nicht besonders gut. Der hat richtig was abbekommen. Mehrere Knochenbrüche wohl, innere Verletzungen und, so wie es aussieht, vermutlich auch einen Schädelbruch. Sie haben Christoph 25 bestellt. Der muss gleich hier sein. Landet vermutlich am Ende der Parkkolonne.“

      „Was für eine verfluchte Scheiße“, entwich es dem sonst eher besonnenen Pattrick Born. „Und das alles noch zusätzlich zu dem Leichenfund von heute Mittag. … Passen Sie gut auf meinen Kollegen auf.“ Von letzterem verabschiedete er sich wie ein Hipp-Hopper, Faust auf Faust. „Wird schon, Alter. Ich drück´ Dir die Daumen.“ Dann drehte er ab, um Schöler den am Boden liegenden Trucker zu entreißen. Der Sünder lag auf dem Bauch, den rechten Arm auf den Rücken gedreht und ein Knie des Pommesbarons im Kreuz.

      „Danke, kannst loslassen. Und bitte, steig von ihm ab.“

      Wadim Plosicz rannte wie von tausend Teufeln gehetzt. Immer wieder dreht sich der Mann beim Laufen um und schaute wie ein gejagtes Tier nach hinten. Mit Ach und Krach war er unentdeckt von dem Lastzug weggekommen, war zwischen ein paar Büschen durchgewutscht und über den Lidl-Parkplatz zu einer Parallelstraße herübergerannt. Mitten in einem Industriegebiet war er gelandet und hatte nicht die geringste Ahnung, wo genau, in welcher Stadt. Noch bis vor einer halben Stunde hatte er tief geschlafen, in der Koje des Lastzuges. Direkt hinter dem Fahrer. Zum ersten Mal seit fast drei Tagen.

      Der Mann aus Kaunas in Litauen war wieder mal durchgefahren, von Malaga in Spanien bis nach Frankfurt. Ohne Schlaf. Dafür aber mit jeder Menge gekauter Kaffeebohnen. Und auf drei verschiedenen Lastzügen, die immer im lockeren Konvoi hinter einander herfuhren. Malaga, Barcelona, Lyon, Neuenburg am Rhein, Frankfurt. Das machten sie schon immer so bei seiner Spedition. Durch den Fahrerwechsel auf der Strecke hätte ihnen keine Polizei der Welt etwas wegen Überziehung der gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten anhaben können. Seit Jahren verdiente er sein Geld mit Lebensmitteltransporten. Einmal die Woche mit Tiefkühltorten von Frankfurt nach Malaga, dann sechs Stunden Schlaf. Und zurück mit einer Ladung Früchte für den Frankfurter Großmarkt.

      Von dort hatten sie ihn einfach entführt. Ihm völlig unbekannte Typen. Angebliche Inspizienten seines Arbeitgebers, der Spedition TruckiTRANS aus Vilnius. Sie waren auf dem Großmarkt aufgetaucht, hatten ihm ein Papier mit dem Briefkopf von TruckiTRANS unter die Nase gehalten und sich durch reichlich Interna aus dem Unternehmen legitimiert. Ein Info-Gespräch sollten sie mit ihm führen. Wie mit all seinen Kollegen auch, denen sie angeblich schon vorher begegnet waren. Natürlich hatte er nichts gegen eine gute Tasse starken Kaffees und ein ordentliches Frühstück gehabt und war ihnen in ein Straßencafé gefolgt. Aber dort endete seine Erinnerung nach zwei, drei Schlucken Kaffee und nicht mal einem halben Schinkenbrötchen. K.-o.-Tropfen vermutete er.

      Wadim Plosicz musste anhalten, sich auf eine Gartenmauer setzen. Sein Puls hämmerte in den Halsschlagadern. Sterne tanzten vor seinen Augen. Die Kondition spielte einfach nicht mehr mit. Tief atmete er durch und versuchte so, seinen Puls zu beruhigen. Sein kariertes Hemd war nur noch durch zwei Knöpfe vor der Brust gehalten. Die anderen hatte er aufgemacht, um Luft an seinen muskulösen, schwitzenden Körper zu lassen. Wieder schaute er sich sichernd um. Drüben auf der anderen Straßenseite spielten drei Kinder auf dem Rasen vor einem Mehrfamilienhaus. Ansonsten kamen lediglich Passanten und Autofahrer vorbei. Desinteressierte. Niemand kümmerte sich um den Mann auf der Mauer. Dass er am linken Handgelenk eine Handschelle trug, hatte wohl keiner bemerkt.

      Was war das für eine widerwärtige Aktion, die sich da vor seinen Augen abgespielt hatte. Der Fahrer hatte ihn ziemlich unsanft geweckt, die Handschelle am Haltegriff in der Kabine gelöst und ihn aufgefordert, sofort aus der Koje heraus zu klettern. Als das dem Trucker nicht schnell genug ging, half er mit zwei markigen Faustschlägen in Rippen und Magengrube nach. Dann war er auf die Ladefläche des Zuges getrieben worden, wo ihn der Fahrer ganz nach vorne nötigte. „Mach´ mal links die Plane zurück, damit man hier mehr sieht“, hatte er ihn auf Russisch angeherrscht. Und Plosicz gehorchte mit schmerzendem Körper. Danach war er wieder angekettet worden.

      Plötzlich war ein zweiter Mann auf der Ladefläche. Den hatte der andere offenbar erwartet und war mit ihm ohne große Worte auf den Kistenstapel geklettert, wo sie nun gemeinsam das obere Behältnis öffneten. Der Trucker hatte einen Schlüssel dafür. Eifrig räumten sie in der Kiste jede Menge Teile beiseite. Wohl, um weiter unten fündig zu werden. Doch dann hatte der Fahrer plötzlich eine Eisenstange in der Hand, die er dem anderen kurzerhand auf den Hinterkopf schlug. Der Aufschlag der Stange auf die Schädeldecke hörte sich für Plosicz an, als wäre ein Kürbis beim Herabfallen auf den Fußboden geborsten. Ekelhaft. Vor seinen entsetzten Augen war der klapperdürre Mann blutend zusammengebrochen und auf dem Rand der offenen Kiste liegen geblieben. Er rührte sich nicht mehr. ‚Um Gottes Willen. Ist der Mann tot? Was soll der Scheiß? Warum schlägt dieser brutale Hund hier einfach einen Menschen tot?’ Ihm wurde schlecht vor Angst.

      Als der gnadenlose Fahrer auf ihn zukam, dachte der Mann aus Litauen, sein Ende stehe bevor. Er wollte schreien. Doch dieser Schweinehund drückte ihm von vorn so heftig die Kehle zu, dass er glaubte, jeden Moment werde der Knorpel im Hals brechen.

      „Du chilfst mirr jetzt“, herrschte ihn der Mann an. „Sonst bringe ich dich um. Wie den da.“ Dann schloss er die eine Handschellenhälfte auf, befreite ihn so von der Ladebordwand und schleppte ihn mit Karnickelfanggriff zum Kistenstapel. Hustend und röchelnd war Plosicz, die Pranke des Irren im Genick, stolpernd mitgelaufen und am Fuß des Kistenberges angelangt. „Rauf mit Dirr“, brüllte dieser Unmensch und folgte ihm die zwei, drei Stufen auf der Seite mit der offenen Plane. Immer wieder schaute er nach hinten durch die offene Ladetür, bis er auf einmal brüllte: „Komm, ancheben! Nun los, mach! Schneller!“ Dann lud er mit Plosicz´s Hilfe den Leblosen über seine rechte Schulter, drehte sich zur offenen Seite des Trucks hin und warf sein Opfer mit beiden Armen einfach hinaus. Als wenn der Mann gar nichts wöge. Er warf ihn einfach so weg.

      Plosicz erstarrte. Als er dem Niedergeschlagenen hinterher schaute, sah er über die Kante der Seitenbordwand hinweg von links eine Cabrio-Frontscheibe und einen Frauenkopf mit brünettem Haar vorbeikommen. Im selben Augenblick krachte es. Reifen blockierten, gefolgt von einem leisen ‚pflatsch’. Dann war es für einen kurzen Moment still. Bis die Frau ganz entsetzlich schrill zu schreien begann.

      Der Killer war von der Öffnung zurückgewichen und mit einem Satz von dem Kistenstapel heruntergesprungen. Dann hatte er mit einem Ruck die Plane zugezogen. Er lauschte nach draußen, wo man jetzt aufgeregte Stimmen hörte. Rufe nach Rettungsdienst und Polizei wurden laut.

      Für Plosicz die Chance, aus diesem Wahnsinn heraus zu kommen. Schnell war er von den Kisten heruntergestiegen, durch den Frachtraum gesprintet und aus der Ladetür gesprungen. Draußen warf er den offenen Flügel zu und legte kurzerhand den Riegel um. Er hatte gehofft, dass sein Peiniger hinterhergekommen wäre und dabei in die Tür eingeklemmt, zumindest aber von ihr getroffen würde. Doch der große Aufschrei blieb aus. Auch ein fast ersehntes Geräusch brechender Knochen war nicht zu vernehmen.

      Immerhin aber war der Drecksack jetzt für einen Moment gefangen. Denn er würde sich angesichts des Menschenauflaufs draußen nicht trauen, die Plane wieder zurückzuziehen und seitlich über die Ladebordwand auf die Straße herunter zu klettern. Zumal es