Название | In aller Stille |
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Автор произведения | Wolfgang Breuer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783961360147 |
Frank Drescher stieß einen leichten Fluch aus, als er die Polizeistreife in Bad Laasphe am Straßenrand sah und erkannte, dass er anhalten sollte. Die rote Kelle am hoch gestreckten rechten Arm des Polizisten und die ausgestreckte Linke in Richtung Bordstein waren unmissverständlich. ‚Was ist denn jetzt schon wieder los? Haben mich die Armleuchter etwa am Forsthaus Bracht geblitzt?’ Er hatte es etwas laufen lassen auf der recht verkehrsarmen Strecke. Und seit die Fahrbahn vor ein paar Jahren nach einer halben Ewigkeit des Dahingammelns endlich saniert worden war, konnte man hier auch mit dem Lastzug gefahrlos etwas zügiger fahren.
„Guten Tag, allgemeine Verkehrskontrolle. Bitte Ihren Führerschein, Fahrzeugschein und die Ladepapiere.“ Drescher hatte das Seitenfenster heruntergefahren, herausgeschaut und zurückgegrüßt. Der Beamte, der mit Blick zu ihm hinauf die ganze Litanei stereotyp heruntergeleiert hatte, machte keinen sonderlich freundlichen Eindruck. Sein Kollege, der drei Meter weiter vorne stand, im Übrigen auch nicht. Mit der rechten Hand am Pistolenholster, sicherte der die Kontrollaktion des Kollegen mit langem Gesicht ab. ‚Arme Bullen’, dachte Drescher, während er die Papiere nach draußen reichte, ‚Euch macht der Job offensichtlich keinen Spaß’. Ihm schwante Übles. Denn mit griesgrämigen Polizeibeamten hatte er in der Vergangenheit immer wieder mal Probleme gehabt.
Als der eine mitsamt den Papieren zum Streifenwagen gegangen war, rückte der andere etwas näher an den Truck heran. Frank Drescher wollte aussteigen. Aber der Polizist erhob die Hand und rief: „Bleiben Sie bitte sitzen.“
„Oh wei, was wird das denn?“, entfuhr es dem Trucker. „Was habe ich denn angestellt? War ich zu schnell – oder was?“
„Warten Sie´s ab“, kam die lapidare Antwort aus dem langen Gesicht.
„Na, das kann ja heiter werden“, bemerkte Drescher und fügte in Gedanken noch ‚Du bist vielleicht ein Blödmann’ an, während er sein Radio ausschaltete, um so vielleicht etwas von dem Funkverkehr aus dem Polizeiwagen mitzubekommen. Aber Fehlanzeige.
Sein Gegenüber, mit der Hand auf der „Wumme“, blieb weiter ungerührt und ließ ihn nicht aus den Augen. Das konnte gar kein Spaß sein, so bei dieser Hitze auf der Straße zu stehen und Brummifahrer in Schach zu halten, dachte sich Drescher. Viel mehr aber marterte ihn der Gedanke, welcher Untat er jetzt bezichtigt werden würde. Überladen hatte er auf gar keinen Fall, der Zug war gerade erst ohne Mängel durch den TÜV, die Bereifung einwandfrei. Und wenn er tatsächlich geblitzt worden wäre, hätte er das doch sehen müssen. Er wusste doch, wo sie die Radarfalle immer aufstellten. „Scheiße Mann, Scheiße“, fluchte er leise vor sich hin. Doch jede weitere Gewissenserforschung brachte ihn keinen Schritt weiter. Er konnte sich einfach nicht erklären, was die Polizei von ihm wollte.
Bis ihm plötzlich klar wurde, dass das hier mit Stoppen nach einer Geschwindigkeitskontrolle nichts zu tun haben konnte. Da waren sie in der Regel nämlich mindestens zu viert und mit zwei Fahrzeugen. Und überhaupt, die anderen Autos, die das Laasphetal durch die Wasserstraße herunterkamen, durften unbehelligt weiterfahren. Nein, da war was anderes im Busch.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Polizist Nummer eins wieder zurück, reichte ihm seine Papiere hoch und fragte ihn: „Kennen Sie einen Mann namens Kamil Czoch?“
Frank Drescher überlegte einen Augenblick – ziemlich angestrengt sogar. Denn er war ja nun häufig in Polen. Und der Name hörte sich schon ziemlich polnisch an. Aber an gerade diesen konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. „Nein, kenne ich nicht.“
„Sind Sie sicher?“
„Ja, ganz sicher!“
„Seltsam, Sie haben heute Nachmittag noch mit ihm geredet“, ereiferte sich der Bulle und schaute Drescher tief in die Augen.
„Wo?“, wollte der Fernfahrer wissen.
„Das müssten Sie doch am besten wissen.“
„Verdammt noch mal, jetzt wird mir das Ganze hier zu blöd. Ich weiß es nicht. Und wenn Sie behaupten, ich hätte es doch getan, dann sagen Sie mir …“ Drescher unterbrach sich. „Oh, Kacke. War das etwa der durchgeknallte Typ, der vor der Pommesbude mit dem Messer auf mich los ist?“
„Das sagten zumindest Zeugen, wie wir hörten.“
„Ja, aber den kannte ich doch gar nicht. Der wurde nur auf einmal aggressiv, weil ich ihn aufgefordert habe, seine Rechnung bei Hannes, dem Budenbesitzer, zu bezahlen.“
„Allerdings in polnischer Sprache. Woher wussten Sie, dass er Pole ist, wenn Sie ihn nicht kannten?“
„Weil er auf dem Display seines Smartphones, mit dem er ständig rumhantierte, in großen Lettern den Namen seines polnischen Providers stehen hatte. ‚Polkomtel’. Den würden Sie hier in Deutschland sicher auch nicht als Ihren Netzbetreiber wählen. Und weil der Vogel auf die Zahlungsaufforderung von Hannes einfach nicht reagiert hat, habe ich ihn am Hemdkragen festgehalten und es einfach mal auf polnisch probiert. Wissen Sie, der Hannes is´n prima Kerl. Den bescheißt man nicht.“
„Aha. Und woher können Sie so gut polnisch?“, wollte der Polizist wissen.
„Kann ich gar nicht. Aber wenn Sie, wie ich, mehrfach im Jahr nach Polen fahren müssten, dann würden selbst Sie zumindest die Floskeln kennen, die mit Bezahlen zu tun haben“, meinte Drescher nett lächelnd. „Denn Einkaufen und Essen müssen Sie unterwegs ja auch gelegentlich. Ach so, nee, Sie haben da ja eher Glück“, fügte er eine Spur zu süffisant an, „bei Ihnen ist ja immer Deutschland.“
„Wir machen auch nur unseren Job, Herrrrr Drescher“, überbetonte der Beamte. „Warum haben Sie den Mann eigentlich nicht angezeigt?“
„Weil ich mir genau diesen Zinnober hier ersparen wollte, Herrrrr Wachtmeister“, gab der Angesprochene angefressen zurück. „Ich glaube, das war ’ne Reflexhandlung bei dem, als ich ihn von hinten angefasst habe. Sie wissen doch, dass es Menschen gibt, die schnell mal überdrehen. Und das war bei dem genauso. Aber als der sich umdrehte und mich sah, ist dem aus Angst fast die Klinge aus der Hand gefallen. Diese halbe Portion hätte ich beim tief Luft holen quer unter der Nase hängen gehabt, verstehen Sie.“ Drescher fühlte sich obenauf.
„Mag ja sein, aber eine Anzeige wäre absolut richtig gewesen.“ Der Polizist wollte offenbar partout das letzte Wort haben.
„Hören Sie“, begann Drescher wieder und jetzt eine Spur eindringlicher, „ich bin auf dem Weg nach Krakau in Polen. Das sind rund 980 Kilometer und etwa 13 Stunden reine Fahrzeit bis dort hin. Wenn alles gut geht. Dazu meine Rast- und Ruhezeiten. Morgen spätestens um 17.30 Uhr muss ich dort sein, habe einen festen Abladetermin und vorher mindestens fünf bis sechs Staus. Meinen Sie, da könnte ich mir noch große Anzeigen- und Protokollarien bei der Polizei leisten? Ich muss los, Mensch! Kommen Sie, hier haben Sie meine Karte, da stehen meine Mobil- und meine Festnetznummer drauf und meine E-Mail-Adresse.“
Wie ein Gentleman überreichte er dem reichlich baff dreinschauenden Polizisten die Visitenkarte aus seinem Truckfenster von oben herunter. „Ich bin in spätestens drei Tagen mit einer Rückladung wieder zuhause. Ich wohne in Hemschlar, haben Sie ja gesehen in den Papieren. Dann komme ich gerne auf die Wache in Berleburg und gebe alles zu Protokoll. Und wenn noch was unklar ist, rufen Sie mich einfach auf dem Handy an. Ich hab‘ ’ne Freisprecheinrichtung auf meinem Bock. Da verrutscht nix.“
Der eine Polizist schaute den anderen an. Irgendwie schien beiden diese ganze Geschichte einzuleuchten. Und irgendwie hatten beide auch keine Lust, hier noch den großen Larry raushängen zu lassen. War bald Schichtwechsel. Irgendwann musste es ja gut sein.
„Okay, Herr Drescher. Sie können fahren. Wenn noch Fragen sind, werden sich die Kollegen von der Wache in Berleburg an Sie wenden. Gute Fahrt.“
„Danke, schönen Abend noch“, entgegnete der und startete den Truck. Da fiel ihm etwas siedendheiß ein. „Ääh, Moment, Herr Wachtmeister. Moment bitte noch. Was war denn jetzt eigentlich? Hat mich jetzt etwa der Pole angezeigt? Oder warum wollten Sie das alles so genau wissen?