In aller Stille. Wolfgang Breuer

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Название In aller Stille
Автор произведения Wolfgang Breuer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961360147



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Hof“ gekauft. Seit Jahren war dieses einst renommierte Haus geschlossen. Und noch war nicht klar, ob das altehrwürdige Haus umgebaut oder durch einen Neubau ersetzt werden sollte. „Wir haben neulich noch jeden einzelnen Raum inspiziert, vom Keller bis zum Dachboden“, berichtete Kai Rompel. „Da ist nichts drin, was einen solchen Gestank provozieren könnte. Und in das Haus kommt auch nicht die kleinste Maus rein. Alles dicht.“

      „Haja, aber von Euch da drüben kommt der Geruch doch“, ereiferte sich der Nachbar. „Eindeutig. Oder vom Ökonomiehof.“

      „Nee, nee“, rief Prinz Gustav, der mittlerweile auch eingetroffen war. „Bei uns ist absolut nichts. Alles inspiziert, alles sauber. Aber der Gestank ist tatsächlich bestialisch. Ich würde jedoch auch eher sagen, dass der Grund dafür dort unten liegt.“ Er zeigte in die Gasse, in der das Trio verschwunden war. „Wäre das weiter drüben bei uns, könnte die Ostluft an dieser Stelle hier nicht einen solch infernalischen Mief verbreiten.“ Wieder trieb eine leichte Böe den Hang hinauf und provozierte die Anwesenden zu allen möglichen Ausweichbewegungen.

      Schwer lastete die für Wittgensteiner Verhältnisse ungewöhnliche Hitze auf der Szenerie, in der sich die Männer ratlos ansahen. Johannes Röhl schnupperte mit angewidertem Blick. „Ich habe einen solchen Geruch schon einmal erlebt“, sagte er. „Dieses fiese Süßliche darin kriegt man nicht mehr aus der Nase. Im Teutoburger Wald war das. Damals wurde dort ein seit Monaten vermisster …“

      Weiter kam er nicht. Denn in diesem Moment tauchte Uwe Rompel zwischen den Häusern wieder auf und schrie wie irre. „Um Gottes Willen, lieber Gott im Himmel, wie ist denn so was möglich.“ Das pure Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Dann drehte er ab und kämpfte sehr mit seinem Mageninhalt.

      Johannes Röhl wollte nachschauen, was den Mann so entsetzt hatte. Doch da fing sich der Geschockte ein wenig, griff nach des Forstrats Arm und rief: „Nicht. Geh´ nicht runter. Das ist ganz furchtbar. Wir müssen sofort die Polizei rufen.“

      In diesem Moment kamen auch die beiden Mitarbeiter der Stadtwerke und rissen sich die Gasmasken vom Gesicht. Einer würgte. „Oh Leute, das ist ja Wahnsinn. So was habe ich noch nicht gesehen. Und ich wünschte, ich hätte es auch nicht gesehen.“

      „Ja was ist denn da unten passiert?“ Der Café-Besitzer schob sich nahe an den Mann heran und schaute ihm tief in die Augen. „Ihr tut ja gerade so, als wäre Euch der Leibhaftige begegnet. Was ist denn da unten? Was stinkt denn da so bestialisch?“

      „Es ist nicht die Frage, was da stinkt, sondern wer“, brachte der Mann stockend hervor. ‚Jonas Kreidel’ stand auf dem Namensschild seines Overalls.

      „Was heißt das, Herr Kreidel? Wer stinkt?“

      „Ein Mensch! Eine Leiche stinkt dort, Herr Kirchhof. Eine stark verweste Leiche, verdammt noch mal! Und jetzt lassen Sie mich bitte einen Moment in Ruhe.“

      Kreidel drehte ab, dem Kaffeehausbesitzer verschlug es die Sprache. Seine Augen weiteten sich. Dann griff er sich an die Brust. Man hatte den Eindruck, die Nachricht sei geeignet, Herzflimmern bei ihm auszulösen. Aber er setzte sich nur mit leerem Blick auf einen der leeren Stühle vor seinem leeren Café und nahm einen Schluck Mineralwasser.

      Im Hintergrund vernahm man energisches Reden. Johannes Röhl hatte, etwas abseitsstehend, zum Smartphone gegriffen und den Polizei-Notruf angewählt. „Natürlich werden Sie eine Spurensicherung brauchen. … Woher ich das weiß? Jetzt stellen Sie bitte nicht so seltsame Fragen. Hier liegt ein halb verwester Mensch herum, sagen die Männer, die ihn gefunden haben. Da werden sie wohl kaum die Verkehrspolizei mit Putzlappen und Schaufel vorbeischicken, nehme ich an. … Wie bitte? Ja, genau. … Ja, der bin ich. … Okay. Natürlich, wir warten hier.“

      „Unglaublich, wirklich unglaublich“, murmelte er vor sich hin, als er das Smartphone wieder wegsteckte. „Da hätte ich doch besser gleich hier auf der Wache in Berleburg angerufen. Da kennt man die Leute wenigstens. Der Mensch am zentralen Notruf hat gedacht, ich würde ihn auf den Arm nehmen.“

      Wenig später wurde es laut unten in der Stadt. Polizeisirenen. Erst eine, dann zwei oder drei, sendeten ihre enervierenden Töne durch das Tal der Odeborn. Hausfronten reflektierten den sich überschlagenden Klang-Wirrwarr und ließen die Oberstadt mithören.

      „Das gibt es überhaupt nicht. Wie der Mann daliegt. Das ist unglaublich.“ Jonas Kreidel berichtete mit bleichem Gesicht von der entsetzlichen Entdeckung, die sie im Hang am Rainchen gemacht hatten. Direkt unterhalb des alten Hotels, an einem Zaun. „Die Leiche muss die ganze Zeit über in einem Plastiksack gesteckt haben. Und der Sack ist wohl jetzt erst geplatzt oder aufgerissen. Vermute ich jedenfalls. Mann, das ist so furchtbar da unten.“

      Seine Zuhörer schauderte es ordentlich. Zumal gerade wieder ein Windstoß den Hang hinauf neuen Fäulnisgeruch verbreitete.

      „Was meinen Sie, wie lange der Mann schon tot ist?“ Kriminalhauptkommissar Klaus Klaiser hatte sich gerade der Plastiküberschuhe entledigt und auf einen der Stühle vor dem Café gesetzt. Ihm gegenüber saß, im weißen Ganzkörperkondom, Dr. Julius Kölblin vom Rechtsmedizinischen Institut. „Ich habe im Moment nicht die geringste Ahnung. Dazu müssen wir deutlich mehr von dem Leichnam sehen und untersuchen. Bisher kann ich Ihnen nur sagen, dass der Mann eventuell an einer Schnittverletzung am Hals gestorben ist. Aber auch das nur ganz vage. Weil das in diesem, verzeihen Sie, verwesenden Haut- und Gewebematsch vor Ort nicht eindeutig zu erkennen war.“

      „Oh, das ist wirklich nicht viel“, entgegnete Klaiser. Der Anblick des Toten hatte ihm unglaublich zugesetzt. „Ich nehme an, es wird eine Zeit dauern, bis Sie klarer sehen“, fügte er an. Der andere nickte. „Das bringt uns natürlich gewaltig unter Druck.“

      „Ist mir schon klar. Aber ich kann es wirklich nicht ändern. Wir werden hier vor Ort auch nichts weiter an der Leiche unternehmen. Um nicht etwa Gefahr zu laufen, dass uns irgendwelche Spuren oder Hinweise verloren gehen.“

      „Ja, ja, verstehe“, sagte Klaiser, halb abwesend. Er überlegte gerade, wie er die Suche nach der Identität eines Mannes in Gang bringen könnte, ohne auch nur den Ansatz einer Information zur Person zu haben. Schwarzes Haar hatte der Tote. Das war im aufgefallen. Mehr hatte er nicht erkennen können – und auch nicht wollen.

      „Warum sich allerdings der Mann, der, ich schätze mal, zwischen Mitte 30 und Anfang 40 Jahre alt gewesen sein dürfte, in diesem Zustand befindet, dazu kann ich Ihnen einiges mehr sagen“, holte ihn der Rechtsmediziner wieder zurück. Der Hauptkommissar schreckte richtiggehend hoch. „Ja? Und warum?“

      „Sehen Sie. Der oder die Täter haben den Leichnam mehr oder weniger zusammengefaltet, ihn in diesen Sack aus Kunststoffgewebe gesteckt und regelrecht eingeschweißt. Anders kann man es gar nicht bezeichnen. Damit war so etwas wie Luftdichtigkeit hergestellt. Weil aber unter den hohen Temperaturen der vergangenen Tage die Verwesung zügig voranschritt, sich Faulgase noch und nöcher gebildet haben und der Druck innen anstieg, muss der Sack irgendwann geplatzt sein. Wahrscheinlich heute Vormittag. Kurz darauf wurde der Gestank das erste Mal in der Nachbarschaft der Fundstelle wahrgenommen.“

      Klaiser schüttelte sich unweigerlich. Nicht nur wegen der Schlussfolgerungen des Pathologen. Die Bilder vom Fundort schossen ihm immer wieder durch den Kopf. Der junge Kripobeamte hatte zwar schon einige Leichen gesehen. Vor allem bei seinem vorherigen Job im Münsterland. Diese hier aber war mit Abstand die Entstellteste von allen. Es war einfach nur grausig anzusehen, dieses schmierige, nackte Knäuel, das einmal ein Mensch gewesen war.

      Für die Bergung der sterblichen Überreste hatten die Männer von der Rechtsmedizin einen luftdicht verschließbaren Spezialbehälter eingesetzt. Ein einfacher Zinksarg hätte weder die förmlich zusammengeklappte Leiche aufnehmen, noch die erforderliche Geruchsdichte garantieren können. Der Spezialbehälter allerdings wirkte Wunder. Der widerwärtige Geruch war fast wie weggeblasen.

      Während die Männer in den weißen Anzügen den Behälter durch die Gasse zwischen Hotel und Café nach oben brachten und in ihren Transporter verluden, war die Parkstraße weiträumig abgesperrt. Und das erwies sich auch als dringend nötig. Denn es hatten sich genügend Neugierige eingefunden.