In aller Stille. Wolfgang Breuer

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Название In aller Stille
Автор произведения Wolfgang Breuer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961360147



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eines Touristen aus Kopenhagen, der fürchtete, es habe einen Anschlag auf ein Mitglied der Fürstlichen Familie gegeben. Schließlich habe er beobachtet, dass ein aufgeregter Prinz Gustav von Polizeibeamten umringt gewesen sei. Er wähnte darin eine Art Personenschutz für den Mann, dessen Mutter immerhin die Schwester der dänischen Königin ist.

      Die Polizeibeamten an den Absperrungen konnten einem leid tun. Denn sie wussten weder konkret, was dort vorne vorgefallen war, noch hätten sie es den Leuten sagen dürfen. Auch nicht dem freien Journalisten Clemens Finger aus dem Ruhrgebiet, der mit seiner Fotokamera ganze Bilderserien machte und immer wieder versuchte, in bessere Schussposition zu kommen.

      Christian Retter hatte sich da eine bessere Stelle ausgesucht. Weiß der Himmel, woher der Lokalreporter die eher detaillierte Info über den Tatort hatte. Jedenfalls war er von der Unterstadt her den steilen Hang des Schlossbergs hinaufgeklettert und hatte mit dem Teleobjektiv die Bergung des bedauernswerten Mannes im Plastiksack fotografiert. Ihm drehte sich gerade der Magen um, als er wieder unten auf der Straße stand und die Fotos im Display seiner Kamera kontrollierte. Da würde er einiges „verpixeln“ müssen.

      Der hagere Mann an der Pommesbude in der Limburgstraße hatte es eilig, seine Currywurst und die Fritten mit Ketchup und Majo zu verdrücken. Ständig schaute er abwechselnd auf seine Armbanduhr und auf sein Handy, das er vor sich auf den Bistrotisch gelegt hatte. Er war wohl einer der fünf, sechs Trucker, die hier noch einen Happen aßen, um sich für die nächsten Stunden auf ihrem Bock zu stärken. Schon allein der Weg raus aus Wittgenstein war eine Aufgabe für sich. So schön dieser Flecken Erde auch ist, so miserabel ist er an das Fernstraßennetz angebunden. Von Berleburg bis zur nächsten Autobahn mit dem Lastzug mindestens eineinhalb Stunden. Und dann muss man verdammt viel Glück haben, auf den wenigen Bundesstraßen dort hin, die streckenweise diesen Namen nicht mal verdient hatten. Aufgereiht hinter einander harrten ihre Brummis auf dem Parkstreifen dieser Herausforderung.

      Wieder schaute der Mann angespannt auf die Uhr und schaufelte die letzten Kartoffelstäbchen in sich hinein. Er schien richtig Druck zu haben. Schweiß rann über jede seiner erkennbaren Hautpartien. Und das offenbar nicht erst neuerdings. Er müffelte, als habe er seit Tagen weder eine Dusche gesehen, noch frische Wäsche.

      Plötzlich entspannten sich seine Gesichtszüge. Es hatte leise „kling“ gemacht. Auf seinem Smartphone war eine WhatsApp angekommen, die er wohl sehnlich erwartet hatte. Sofort öffnete er sie. Dann grinste er wie ein Honigkuchenpferd. Es schien ihm zu gefallen, was er dort sah.

      Schnell schmiss der Hagere die Pappschalen in den Abfallkorb und wandte sich zum Gehen. Da rief der Pommeskocher: „Hey, Du müsstest noch zahlen.“ Der Mann zeigte keine Reaktion, kramte in der Hosentasche nach irgendetwas und wandte sich ab. Da kam plötzlich aus dem Knäuel dreier zusammenstehender und mampfender Fernfahrer ein mächtiger Arm hervorgeschossen. Die Riesenpranke am vorderen Ende griff den Hemdkragen des Davonstrebenden und zerrte kurz daran. „Trzeba zaplacic´ za!“ Eine ziemlich perfekte Übersetzung der Zahlungsaufforderung ins Polnische.

      Mit ungeheurer Geschwindigkeit schoss der klapperdürre Kutscher herum und hielt dem schrankbreiten Berufskollegen ein spitzes Klappmesser unter die Nase. Was den wiederum dazu veranlasste, sofort seine Mordspfote zurück zu ziehen. „Is’ ja gut, is’ ja gut“, beschwichtigte er und hielt seine Handflächen wie kleine Bratpfannen nach außen. Ein Schutzmechanismus, der keine Fragen offen ließ. Auch die Danebenstehenden bevorzugten die Passiv-Variante und murmelten alles mögliche in ihre nicht vorhandenen Bärte.

      Hannes Schöler, der Mann hinterm Grill, stand da wie angewurzelt. Mit offenem Mund und entsetztem Blick beobachtete er, was seine Kundschaft da so veranstaltete und wollte gerade in Deckung gehen, als ihm der aggressive Hungerhaken einen zusammen geknüllten Zehneuroschein über die Theke fast ins Gesicht warf und rief: „Is gutt so. Chab ich vargässen. T´schuldigung.“ Verstohlen nestelte Hannes das aufgefangene Geld auseinander und wisperte tonlos: „Is´ okay … Danke. Gute Fahrt.“

      Dann war der Mann auf der Straßenseite, entlang der Schlange stehenden Trucks, verschwunden. Neugierig hielten die Zurückgebliebenen Ausschau nach dem Gespann, das der „vermutliche Pole“ dort heraussteuern würde. Aber es passierte nichts. Minutenlang nur vorbeifahrende Autos oder neue Hungrige an der Pommesbude.

      „Was war´n das, was Du dem da vorhin hinterhergerufen hast?“, wollte ein nicht gerader baumlanger Trucker von dem Hünen wissen.

      „’Du musst noch bezahlen’ auf Polnisch.“

      „Aha. Woher kannst´n das?“

      „Ach, Junge. Zweimal die Woche Berleburg – Krakau. Und das seit fast vier Jahren. Da hast Du das drauf, sag´ ich Dir.“

      „Ja, und wo ist er jetzt hin?“

      „Keine Ahnung. Der hat ja nix gesagt. Und ich weiß ja noch nicht mal, ob er mich überhaupt verstanden hat. Ist mir auch egal. Eigentlich müsste ich ihn anzeigen, wegen der Sache mit dem Messer. Aber ich glaub´, das lass´ich.“

      „Wieso denn das?“ Der dritte Mann der Runde schaltete sich ein. „Der war doch drauf und dran dich abzustechen.“

      „Ich denke, der hatte Angst, dass ich ihm die Luft abdrehe mit dem Kragen. Deshalb ist der ausgerastet.“

      „Ja, ja. Kann sein. Aber hast Du Dich nicht gefragt, warum der gleich so´n Messer in der Hand hatte?“

      „Meinste, der hätte mit ’nem Taschenmesser ’ne Chance gegen mich gehabt?“, grinste der Hüne. „Außerdem habe ich keine Lust auf Polizei und auf blöde Fragen. Krakau wartet, Jungs. Ich pack´s mal. Macht´s gut.“ Sprach´s, zahlte schnell und verschwand. Zwei Minuten später zog sein Fünfachser aus der Parkreihe heraus und glitt röhrend vorbei. Beladen mit Elastiksportböden aus Bad Berleburg, wie die Planenaufschrift verriet.

      „Ja, okay, dann hau´ ich jetzt auch ab. Muss noch nach Aachen heute und bis 23 Uhr abgeladen haben. Scheiß A4 da hinter Köln. Eine Baustelle nach der anderen. Und morgen dann nach Antwerpen und sofort retour. Ochsentour, verdammte“, raunte der 1,68-Mann und machte sich ebenfalls ans Bezahlen. Er musste jedoch noch einen Moment warten. Weil jemand vor ihm gerade offenbar die Bestellung für ein Konzern-Abendessen aufzugeben schien. Hannes bat um Geduld.

      „Buff“, machte es ziemlich fies jenseits des zweiten Trucks auf der Limburgstraße. Gefolgt von dem Geräusch blockierender Räder. Dann Stille. Fünf Sekunden ganz hässliche Stille. Und dann ein hysterischer Frauenschrei, der nicht mehr enden wollte. Entsetzt rannten alle Gäste des Imbisses gleichzeitig zur vermeintlichen Unfallstelle.

      Auf der Fahrbahn links ein weißes BMW-Cabriolet mit offenem Dach, demolierter Frontscheibe und beträchtlicher Delle in der Motorhaube. In der offenen Fahrertür eine schlanke Mitvierzigerin in elegantem Sommerkostüm und auf offenen roten High Heels. Vorstandssekretärin mindestens. Und, gemessen an der Höhe ihres Schreis, leistungsfähige „Sopranette“. Sie war gerade verstummt, als die Armada der Neugierigen und Hilfsbereiten um das Führerhaus des ersten Lastzugs herum auftauchte.

      Etwa fünf Meter vor dem BMW liegend ein eigentümlich verrenkter Männerkörper. Reglos und blutend aus allen Knopflöchern. Sofort beugten sich gleich zwei Männer über den Bedauernswerten, der jetzt von einem der beiden ganz langsam von der Bauch- in eine Seitenlage gedreht wurde. Der andere versuchte, den Puls zu ertasten. Mit nachdenklicher Miene und immer wieder mit dem Tastfinger am Handgelenk rauf und runterfahrend. Ein dritter Mann brachte einen Verbandkasten heran und telefonierte parallel mit der Rettungsleitstelle. „Limburgstraße heißt das hier. Direkt vor einem Schnellimbiss. … Ja, sehr schwer verletzt.“

      „Ist er tot?“ Die brünette BMW-Fahrerin fragte zaghaft nach und kam näher. Der Mann am Puls hörte sie offenbar nicht, suchte jetzt an der Halsschlagader. „Ist der Mann tot? Sagen Sie doch was!“

      „Nein“, der Gesichtsausdruck des Ersthelfers hellte sich auf. „Nein, ich fühle Puls“, rief er euphorisch. „Und der Mann atmet.“

      „Oh Gott, bin ich froh. Bin ich froh. Ich dachte schon …“, dann stockte sie und begann leise zu weinen. Passanten stützten die plötzlich Zitternde und führten sie zu