Название | Zwischen Aufbruch und Randale |
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Автор произведения | Geralf Pochop |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947380718 |
Irgendwann fingen die Hallenser an, extra für Partys Häuser zu besetzen. Eine Villa am Neuwerk war ideal. In dieser fand die erste „Villakonfiszierungsparty“ statt. Etwa 400 Punks und Alternative erschienen allein durch Mundpropaganda. Flyer oder Plakate gab es nicht. Soweit ich mich erinnern kann, spielten unter anderem Müllstation, N.F.P. und KVD. N.F.P. hatten hier den kürzesten Auftritt ihrer Bandgeschichte. Einer der Musiker fiel etwas angetrunken in die Anlage, direkt neben den Techniker. Hit des Abends wurde die Hallenser-Dialekt-Endlos-Party-Punk-Version „Keene Klääche haben mir“ (zu Hochdeutsch: „Keine Arbeit haben wir“) von der eben neu gegründeten Band Klabusterbären.
Mit meinen alten Freunden traf ich mich damals meist im AfA (auch Antifa – später in GiG umbenannt) in der Reilstraße, das besetzte Haus der alten DDR-Punkszene. Im AfA war immer was los. Jeden Tag Partys, Punkdiskos oder Konzerte. Als die Toten Hosen 1990 in der Hallenser Easy Schorre spielten, kamen sie nach ihrem Auftritt mit ins besetzte Haus. Dort spielten sie noch einmal ihr ganzes Set und feierten mit uns die ganze Nacht. Ohne Gage! Die Stimmung war noch besser als zuvor beim eigentlichen Konzert. Auch Die Goldenen Zitronen kamen nach einem Auftritt in der Easy Schorre mit ins AfA und musizierten im besetzten Haus noch einmal.
In der Easy Schorre spielten Musiker*innen und Bands wie Einstürzende Neubauten, Abwärts, Feeling B, Rio Reiser, Sandow, Anne Clark, Sonic Youth, Bad Religion, Toy Dolls, Knorkator, The Inchtabokatables, Phillip Boa und viele mehr. Sogar Nirvana spielten, und eines der ersten Konzerte von Rammstein fand dort statt. Besonders lustig waren vor allem die Feeling-B-Konzerte, da Auftritte dieser Band schon immer sehr speziell waren. Chaotisches Anarcho-Theater in einer Endlosparty!
Die Toten Hosen 1990 in der Hallenser Easy Schorre. Nach dem Auftritt kamen Campino und Co. mit zu einer Party ins besetzte AfA (GiG) und spielten dort spontan ihr Konzert nochmal gratis.
Phillip Boa 1990 in der Hallenser Easy Schorre. Zwischen den Monitoren sieht man den Kopf von „Südstadt-Schmidt“, dem Gang-Leader der Red Bombers.
Party/Konzert im AfA (GiG) 1990
Party in einem besetzten Haus in Halle (Saale) 1991
1988 war ich in Berlin bei einem Auftritt der Band Magdalene Keibel Combo, in der auch Paul und Flake von Feeling B musizierten. Nach dem Konzert ging ich mit anderen Gästen zu einer Party. Am nächsten Morgen begab ich mich dann zur Trampstelle. Mich begleitete derjenige, der mich am Vortag zur Party eingeladen hatte. Ich fragte ihn, wo er hinwolle. Er antwortete: „Nach Dresden. Da spielt heute Die Firma.“ Ich erwiderte: „Ach, du willst heute wieder zu einem Punkkonzert?“ Seine Antwort verdutzte mich: „Ja, ich spiele doch bei Die Firma.“ Es stellte sich heraus, dass er auch am Vortag bei der Magdalene Keibel Combo mit auf der Bühne gestanden hatte. Es war Paul von Feeling B. Von nun an lud Paul mich immer in den Backstage ein, wenn sie in Halle (Saale) spielten. Da traf ich dann auch Flake, den ich schon von diversen Untergrund-Partys im Prenzlauer Berg und Friedrichshain kannte.
Als Feeling B noch vor der Grenzöffnung in Westberlin spielten, war ich natürlich da. Das Ganze glich einem Treffen der DDR-Punk-Exilgemeinde. Richtige Westberliner waren nicht oder kaum vor Ort. Ich glaube, es war Paul, der damals sinngemäß zu mir sagte: „Es ist genau wie im Osten – ich kenne ja jedes Gesicht hier.“
Die Bühnenshows von Feeling B waren immer sehr ausgefallen. Eine Besonderheit war die Slamer-Maschine. Auf diese wurde ein Freiwilliger gelegt, der einen Helm aufgesetzt bekam. Nun wurden ihm mithilfe eines Trichters Sekt und Tequila eingeflößt. Danach schlug man entweder mit einem Hammer auf den Helm oder man hob den Kopf des „Opfers“ immer wieder hoch und ließ ihn mit voller Wucht auf das unter ihm liegende Holzbrett fallen. Der Feeling-B-Sänger Aljoscha sang einen Slamer-Song und der ganze Saal pogte dazu. Der Freiwillige bekam meistens nichts mehr vom weiteren Konzertverlauf mit.
Auch ich wollte einmal wissen, wie sich der Slamer-Rausch anfühlt und kletterte auf die Bühne. Als der Hammer dann immer wieder auf den Helm krachte, sah ich Sterne. Der Sekt schoss durch meine Nase. Es brannte fürchterlich. Als ich aufstehen wollte, stürzte ich. Nur mit viel Mühe erhob ich mich und torkelte zurück ins Publikum. „Mix mir einen Drink, mix mir einen Drink, mix mir einen Drink, der mich woanders hinbringt“, hörte ich Feeling B noch singen, war aber schon in einer ganz anderen Dimension angekommen.
Bei ihrer Maske-des-roten-Todes-Tour hatten sie in Halle (Saale) eine neue Slamer-Maschine auf der Bühne. Ein drehbares Holzkreuz oder Holzgerüst. An dieses wurde ein Freiwilliger angebunden. Wie gehabt wurden ihm dann Sekt und Tequila eingetrichtert. Dann wurde die Slamer-Maschine mit vollem Schwung gedreht. Doch irgendetwas lief schief. Blut spritzte aus Nase und Mund. Der Freiwillige schrie. Die Band stoppte die Rotation der Maschine. Der blutüberströmte Jugendliche bewegte sich nicht mehr. Es wurden Sanitäter herbeigerufen, die den leblos wirkenden Körper von der Bühne trugen. Dann ging das Konzert weiter. Mir war unwohl und vielen anderen ging es genauso. Sollte der Veranstalter oder die Band nach dem Geschehenen nicht besser das Konzert beenden? Die spielen einfach weiter, als wäre nichts passiert. Rufe nach Abbruch des Konzerts wurden laut. Da erschien plötzlich der Slamer-Freiwillige fröhlich grinsend auf der Bühne. Das Ganze war inszeniert. Mit Kunstblut. Ob wohl damals schon die Idee, eine Band wie Rammstein zu gründen, in den Köpfen einiger Feeling-BMusiker rumgeisterte?
1994 hatten Feeling B auf dem legendären Steinbrücken-Open-Air bei Nordhausen ihren letzten Auftritt, und Paul und Flakes neue Band Rammstein trat zum ersten Mal auf. Kurze Zeit später spielten Rammstein dann in der Hallenser Easy Schorre als Vorband von Sandow. Durch ihre Musik und ihre Feuer-Bühnenshow beeindruckten sie so stark, dass viele nach der Umbaupause gar nicht mehr zur Hauptband reingingen. Ich auch nicht.
1990 besetzten auch die Nazis ein Haus. Weit weg von der Innenstadt. Hinter Halle-Neustadt, in der Kammstraße. Das Haus fungierte als rechte Schaltzentrale und zog Neonazis aus ganz Deutschland an. Die Nazis versuchten, in Halle (Saale) und anderen ostdeutschen Städten immer wieder alternativ besetzte Häuser anzugreifen. Doch die Hallenser Hausbesetzerszene war darauf vorbereitet. Viele der Hallenser Punks und Hausbesetzer waren direkt nach der Wende von einem der Szene wohlgesonnenen Kampfsportler ausgebildet worden. So konnten die Angriffe auf die Häuser meist gut abgewehrt werden. In der Innenstadt hatten eh die Punks und Hausbesetzer das Sagen. In den Betonghettos Halle-Neustadt und Halle-Silberhöhe war es dagegen gefährlich, als Punk oder alternativ aussehender Jugendlicher rumzulaufen. Als den Bewohnern des AfA die immerwährenden Angriffe der Nazis zu viel wurden, holten sie zum Gegenschlag aus.
„Bei einem weiteren Angriff wehrten wir die Nazis nicht nur ab“, berichtet ein Zeitzeuge. „Alle rannten nach draußen und wir verprügelten jeden, den wir kriegen konnten. Ein paar der Angreifer wurden ins Haus gezerrt. Dort zeigten wir unser Sammelsurium an Dingen, mit denen wir zukünftige Angriffe abwehren würden. ‚Wenn