Zwischen Aufbruch und Randale. Geralf Pochop

Читать онлайн.
Название Zwischen Aufbruch und Randale
Автор произведения Geralf Pochop
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783947380718



Скачать книгу

verteidigen? Oder im Sinne von „Wehret den Anfängen!“ auch angreifen? Der Song einer Hallenser Punkband beschreibt diese Situation treffend:

       KVD: „Anti Inti“

       Für die wahre Freiheit ohne Kompromisse

       brauchen wir den Kampf und keine klugen Sprüche. Oberschlaue Quatscherei kann uns nicht retten

      und wenn ihr’s nicht begreifen wollt, behaltet eure Ketten.

      Ihr redet vom Kampf und wenn’s mal kracht,

      abhau’n ist das Erste, was ihr dann macht.

      Wenn alles vorbei ist, man glaubt es nicht,

      sind sie alle wieder da und halten noch Gericht.

      Dann wird verurteilt an einem Ausmaß von Klugheit, unvorstellbar die Blicke der Bosheit.

       Dann bist du für sie ein primitiver Verbrecher

      und überlegt handelnder Messerstecher.

image

       Weil du für sie den Kopf hinhältst

      weil ja so’n Inti lieber Reden hält.

      Engstirniges Labern hat bis jetzt noch nichts geändert, kein Klugscheißer hat jemals Systeme verändert.

       Und merkt euch eins:

      Wollen wir gewinnen, gibt’s keine Wahl,

       Männer und Frauen seid radikal!

       Seid radikal! Lebt radikal! Radikal!

      Am 21.10.1992 wurde Silvio Meier in Berlin von Neonazis ermordet. Die Diskussionen über die Legitimation von Gewalt als Verteidigungsstrategie wurden nach diesem Mord bedeutend weniger. In vielen Teilen Deutschlands und besonders auch in Halle (Saale) gab es viele Reaktionen, Wandsprühereien und auch Racheaktionen. Silvio war hier bekannt und beliebt, da der gebürtige Quedlinburger in den 80er Jahren oft zu Besuch war. (Siehe auch das Kapitel „Krieg in den Städten“ und im Buch Untergrund war Strategie. Punk in der DDR: Zwischen Rebellion und Repression das Kapitel „Die-Käng-Guru-Sekte. In Erinnerung an Silvio Meier“.) Aber auch hier ging das Leben weiter.

      Halle (Saale) war in der Nachwendezeit eine subkulturelle Hochburg. Es gab zahlreiche Konzerte. Die alten Kneipen, in die sich kaum noch jemand verirrte, waren froh, wenn wir dort Veranstaltungen organisierten. Unsere Szene war für einen hohen Konsum an Getränken bekannt. Außerdem zogen Punkkonzerte damals zahlreiches Publikum an. So gab es am 17.9.1991 selbst in der Kröllwitzer Traditionsgaststätte Bergschänke ein Antifa-Fest, das erst für die Gaststätte Zum Reileck geplant war, bei dem u. a. Die Zusamm-Rottung und No Respect spielten.

image

      Punkband Samenhändler

image

      In einem besetzten Haus in Halle (Saale) 1991

      Hallenser Bands wie KVD, Müllstation, Fuck’n’Die, Samenhändler, N.F.P., Klabusterbären, Uprising, Skacoholics, Rattheads, Ladehemmung, Oi! Bier, Terror, Shit in the Corner, Kurzschluss, Gossenbonzen, Jan Rebell & die Popmöser waren sehr aktiv. Es gab den Schallplattenladen Schlemihl Records, den Bootsladen Trittfest, den Grufti-Shop Temple of Cult. Die Hallenser Gothic-Band Stoa stürmte sogar die mexikanischen Indie-Charts, und die Sängerin der Hallenser Indie-Band Bobo in White Wooden Houses sang zusammen mit Rammstein den Song „Engel“ ein. GWAR verwüsteten den Schlachthof und nicht nur ich verließ geschockt und mit Blut, Eiter und sonstigen ekligen Körperflüssigkeiten durchtränkt das Konzert. Überall eröffneten neue Szenekneipen. Immer war etwas los. Selbst solche Größen wie Die Ramones oder Prodigy spielten in unserer Saale-Stadt. Sogar Helge Schneider schrieb hier Geschichte. Genervt von den unentwegten „Katze(n)-Klo“-Rufen seiner zahlreichen neuen Proll-Fans, die ihm der enorme Erfolg des gleichnamigen Songs beschert hatte, brach er mit dem legendären Satz „Ich bin doch nicht eure Hure“ ein Open Air auf der Hallenser Peißnitz-Insel ab. Es war eine Zeit des Umbruchs. Eine Zeit voller Träume, Hoffnungen und grenzenloser neuer Möglichkeiten.

       N.F.P.: „Saalepower“

       Halles Straßen – unser Platz, abends beginnt die nächtliche Hatz. Endlich vereint, endlich die Macht, von allem Scheiß losgesagt. Passt bloß auf! Saalepower! Brüllen, pöbeln, Bürgerschreck, die Leute rennen vor uns weg. Unser Ziel: Spaß und so und die kleine Horrorshow. Viele hielten uns für verloren, im Beton gelebt – im Gift geboren. Die Straße hat uns stark gemacht. Passt bloß auf, weil es sonst kracht! Passt bloß auf! Saalepower!

image

      Poster vom 1. Antifa-Fest in Halle (Saale). Die Veranstaltung fand letztendlich in der Traditions-Freiluftgaststätte Bergschänke statt.

      ZEITZEUGENINTERVIEW: ROMAN AKA CAPTAIN ROMANTIC AKA ROMANTIKK

      ABRAUM, SKALCOHOLICS, N.F.P., MÜNCHEN 72, BRILLE, KLABUSTERBAREN

      Jahrgang 1972, war (und ist wieder) Sänger der Wolfener Punkband AbRAUM, die ihre Anfänge noch zu DDR-Zeiten nahm. Er gründete mit anderen Hardcore-Enthusiasten in der Wendezeit die Band N.F.P., die es zumindest lokal zu einigem Ruhm brachte. In den 90er Jahren war er auch bei den Bandprojekten Skalcoholics, München 72 und Brille aktiv. Er schrieb in dieser wilden Zeit für das Fanzine Arbeitslosenkurier 47 und veranstaltete Konzerte u. a. mit Terrorgruppe und Hammerhead. Seit 1998 und bis heute ist er Schlagzeuger und Songwriter bei den Klabusterbären. Außerdem hat er ein kleines Soloprojekt namens Romantikk am Start. (Guckst du mal bei YouTube!)

       Du stammst aus der DDR-Punkszene. Was faszinierte dich damals daran am meisten?

      Naja, da muss ich ein bisschen relativieren. Ich war ja 1989 17 Jahre jung. Also so ein richtiger DDR-Punk wie du oder Shanghai war ich nicht; als wir zum Punk kamen, hattet ihr schon die Schlachten geschlagen. Wir waren die Kid-Punx!

       Wie veränderte sich aus deinem Blickwinkel die DDR-Punkszene nach der Wende?

      Ich sag mal so: Sie öffnete sich für Zuspätkommer wie mich, es war ja nicht mehr so konspirativ, und selbst als Plattenbau-Kind aus Wolfen bekam man raus, wo welches Konzert lief. Außerdem ging es ja dann bald los mit den „Westbands“ in Leipzig, die ganzen Hardcoreshows in der naTO und im Eiskeller, die Ami-Bands, das war genau mein Ding damals.

      Was ich gut fand damals, dass alle möglichen Szenen, ob nun Hip-Hop/Graffiti, Punk, Hardcore, Skinheads, Skater, Indie, selbst Techno, alles, was irgendwie nicht massenkompatibel und irgendwie schräg und nicht-fascho war, war irgendwie zusammen, traf sich im VL (Kellnerstraße) und vor allem im GiG. (damals noch AfA oder Antifa). Das hat sich dann später ganz schön immer weiter aufgesplittert in kleinere Subszenen oder jeder dachte, er sei was Besseres.

       Was waren deine krassesten Erlebnisse in der Nachwendezeit?

      Gleich Silvester 1989 fuhr ich mit einigen Leuten, die teilweise bis heute in der Szene aktiv sind, mit dem Zug nach Westberlin, nach Kreuzberg. Untergekommen sind wir in einer WG, wo angeblich auch der Sänger der Band Deutsche Trinkerjugend wohnte. Keine Ahnung, ob das stimmte, uns kamen die mehr vor wie Junkies, aber wir hatten auch keine Ahnung. Jedenfalls war das da in Kreuzberg gleich das volle Programm, mit brennenden Autos, fliegenden Steinen, knüppelnder Polizei und Tränengas. Wir schauten uns das an und waren beeindruckt!

      Und