Название | Am laufenden Band |
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Автор произведения | Joseph Ponthus |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783751800518 |
So wie es nicht mehr »Arbeiter« heißt sondern
»Produktionsmitarbeiter«
Werd ich nicht »Chef« sein sondern »Leitender Begleiter«
In diesem Fall bei einem Dutzend Ferienfreizeiten für »Menschen mit
Behinderung«
»Behinderte« sagt man nicht mehr und »Mongis« schon gar nicht
Im Norden Frankreichs zwischen Belgien und Paris
Dienstwagen Hotels und Spesen wenn alles gut läuft
Eine endlose Strecke wenn es sechshundert Kilometer von mir
entfernt Probleme gibt
Aber darum gehts jetzt nicht
Heut hatte ich im Kaff von Ker Breizh dem Zentrum vom Arsch der
Welt der Bretagne eine Schulung um meine Cheffitüde zu trainieren
und meine Teams in spe zu treffen die Teamer und Begleiter
Von heut auf morgen vom Rhythmus der Fabrik zu dem der
Sozialarbeit zu wechseln
Ist als wechselte man von einem Arbeitsbegriff zu einem anderen
und zwar im marxistischsten Sinn des Wortes
Kaffee Kippe Pause Kaffee Kippe Pause »Austausch unter Kollegen«
Kippe Kaffee und so weiter Pause
Garnelen Wellhornschnecken Garnelen Garnelen Kisten und weitere
Kisten und wieder diese Scheißgarnelen und auf die Pause warten die
der Chef zuteilt und wieder Garnelen Wellhornschnecken Garnelen
Garnelen
Hier wie dort Unterordnung und Verkauf meiner Arbeitskraft
Unter der Woche untergeordneter Arbeiter
Diesen Samstag frischgebackener Chef
Eine meiner zukünftigen »Mitarbeiterinnen« in Hippielook wie frisch
vom Festival Vieilles Charrues die Haare in Dreadlocks wie
selbstgedrehte Kippen will mich kurz unter vier Augen sprechen
»Also du bist hier mein Leitender Begleiter«
»Ja«
»Na ja also ich glaub ja unsere Freizeitteilnehmer sollten echt ne gute
Freizeit haben weil ist halt ihre Freizeit«
»…«
»Weil schau uns selbst an wenn man keine gute Freizeit hat ist es halt
auch keine echte Freizeit«
An manchen Samstagen bedauert man seine Arbeitskraft nicht an die
Garnelen und Wellhornschnecken verkauft zu haben die zumindest
nicht ganz so viel reden
9.
Die Cheffitüde bei den Mongis
Ist vorbei
Drei Wochen »work ’n’ travel«
Wie junge Leute sagen
Fünfzehn Tage Workation
Ich habe viel am Steuer gesessen
Sehr viel
Habe an Le Conscrit des cent villages von Aragon gedacht
Das Defilee von Glockentürmen und klingenden Ortschaftsnamen
Von der Normandie über die Region Nord-Pas-de-Calais
Die ich wohl nie Hauts-de-France nennen werde
Bis nach Belgien
Habe mehr Käffer und Straßen gesehen
Als Leute
Dunkerque Saint-Valéry-en-Caux Fécamp Berck-sur-Mer
La Roche-Guyon Étampes Trouville Verviers Westrozebeke und
Ostende und bei den belgischen Vettern Vétheuil Vernon
Verneuil-sur-Avre Beuvron-en-Auge
Ein Frankreich der Unterpräfekturen
Der Marktplätze mit Kopfsteinpflaster und Fachwerkhäusern
Der flämischen Glockentürme
Und Erinnerungen an die Kriege
Dem von 1914
Passendale die Somme Péronne der Wettlauf zum Meer Ypern wo
ich das tägliche Gedenkläuten abends um acht für die Gefallenen
verpasst und die englischen kanadischen sogar indischen und
maorischen Friedhöfe nur aus der Ferne gesehen habe because ich
saß am Steuer
Dem von 1939 in der Normandie
Also eher von 1944
Am Steuer sitzen
Ist fast so eintönig
Wie Fische Kisten Garnelen sortieren
Aber natürlich anders
Chef sein von Leuten die Freizeitteilnehmer mit Behinderung
begleiten
Dagegen kann man nichts sagen
Man sitzt am Steuer
Sonst nichts
Die geplanten Besichtigungen
Waren schneller gemacht als ein Blitzkrieg
Étretat
Giverny
Honfleur
Postkartenidyllen von denen
Die Blumen in Monets Garten
Übrig bleiben
Und die Satiehäuser
Eines der schönsten Museen der Welt von dem man mir oft schon
vorgeschwärmt hat
Zu Recht
Eine fliegende Birne
Ein Zimmer in Montmartre
Ein elektrisches Klavier
Ein Tretkarussell das einen riesigen Regenschirm öffnet
Zurück auf der Straße
Auf der Autobahn
Streifte das Abendlicht in der Ferne den Mont-Saint-Michel
Ich fuhr an Villedieu-les-Poêles vorbei einem Dorf mit Messingwaren
und Gehörlosen von dem schon Rabelais im Gargantua spricht weil
von dort das Metall fürs Besteck seines Helden stammt
Dann quer durch die Bretagne und heim
Es war die Nacht der Sternschnuppen der Laurentiustränen
Zurück in Lorient die letzten Dudelsackklänge vom interkeltischen
Festival
In der Ferne ein Feuerwerk
Ich schaute zum Himmel und wünschte mir was
Heut Morgen
Habe ich in der Zeitarbeitsfirma meinen Scheck vom letzten Monat
und einen neuen Vertrag abgeholt
Bingo
Vier Wochen Nachtschicht in einer neuen