Am laufenden Band. Joseph Ponthus

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Название Am laufenden Band
Автор произведения Joseph Ponthus
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783751800518



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Erkenntlichkeit halte

      Ich schweife ab

      Zurück zum Schreiben

      »Ich schreibe wie ich spreche wenn der Feuerengel des Gesprächs

      mich zum Propheten macht« schrieb in etwa ich weiß nicht mehr wo

      Barbey d’Aurevilly

      Ich schreibe wie ich denke an meinem Förderband schwirre alleine

      unbeirrbar durch meine Gedanken

      Ich schreibe wie ich arbeite

      Am Fließband

      Am laufenden Band

      Die Schicht

      Beginnt zwangsläufig am Anfang des endlosen weißen kalten Gangs

      Bei den Stechuhren um die wir uns nachts drängen

      Um vier

      Um sechs

      Um sieben Uhr dreißig morgens

      Je nach Arbeitsauftrag

      In der Entladung also beim Fischkistenleeren

      In der Verarbeitung oder Enthäutung also beim Fischezerlegen

      In der Garung also bei allem was mit Garnelen zu tun hat

      Noch hatte ich zum Glück keine Nachmittags- oder Abendschicht

      Beginn sechzehn Uhr Ende um Mitternacht

      Hier

      Sind sich alle einig

      Und bis jetzt sehe ich das auch so

      Je früher

      Desto besser – auch wenn es nachts zwanzig Prozent mehr gibt –

      Dann »haste deinen Nachmittag«

      »Wenn schon früh

      Dann richtig früh«

      Ach was

      Acht Stunden Arbeit

      Sind acht Stunden Arbeit egal wann

      Und dann

      Geht man heim

      Feierabend

      Kommt nach Hause

      Gammelt

      Döst

      Und denkt schon an den Wecker

      Egal wann er klingelt

      Er klingelt immer zu früh

      Nach dem Tiefschlaf

      Den Kippen und dem heruntergekippten Wachmachkaffee

      Gehts in der Fabrik

      Knallhart los

      Als hätte es kein Aufwachen gegeben

      Gleitet man wieder in einen Traum

      Oder Albtraum

      Das Neonlicht

      Die mechanischen Griffe

      Die im Halbschlaf umherschweifenden Gedanken

      Das Ziehen Schleppen Sortieren Heben Wiegen Räumen

      Wie beim Einschlafen

      Versteht man nicht wie diese Griffe und Gedanken ineinanderfließen

      Am laufenden Band

      Wundert man sich immer wieder dass Tag ist wenn man Pause

      machen rausgehen rauchen und einen Kaffee trinken kann

      Ich kenne nur wenige Orte mit einer so

      Kompromisslosen existenziellen radikalen Wirkung wie

      Griechische Heiligtümer

      Gefängnisse

      Inseln

      Und die Fabrik

      Kommt man heraus

      Weiß man nicht kehrt man zurück in die echte Welt oder verlässt

      man sie

      Obwohl man ja weiß eine echte Welt gibts nicht

      Aber egal

      Apoll hat Delphi nicht zufällig zum Zentrum der Welt gewählt

      Athene hat die Agora zwangsläufig zum Geburtsort einer

      Weltvorstellung gewählt

      Das Gefängnis hat das Gefängnis gewählt das Foucault gewählt hat

      Licht Regen und Wind haben die Inseln gewählt

      Marx und die Proletarier haben die Fabrik gewählt

      Geschlossene Welten

      In die man willentlich hineingeht

      Entschlossen

      Und aus denen man nicht mehr herauskommt

      Oder wie soll ich sagen

      Ein Heiligtum verlässt man nicht unversehrt

      Ein Gefängnis verlässt man nie wirklich

      Eine Insel verlässt man nicht ohne zu seufzen

      Eine Fabrik verlässt man nicht ohne in den Himmel zu schauen

      Feierabend

      Was für ein schönes Wort

      Das man kaum noch benutzt und wenn dann nicht wörtlich

      Denn abends

      Ist man körperlich

      Nicht in der Lage zu feiern

      Will nur noch loslassen loswerden duschen die Fischschuppen

      abwaschen doch wenn man endlich im Garten sitzt ist es zu mühsam

      zum Duschen aufzustehen nach acht Stunden Fließband

      Der nächste Tag

      Ist für einen Zeitarbeiter

      Nie garantiert

      Die Verträge laufen zwei Tage höchstens eine Woche

      Man könnte meinen wir sind bei Zola

      Schreiben das 19. Jahrhundert die Epoche der Arbeiterhelden

      Doch wir sind im 21.

      Ich hoffe auf Arbeit

      Ich warte auf Feierabend

      Ich warte auf Arbeit

      Ich hoffe

      Warten und Hoffen

      Fällt mir ein sind die letzten Worte im Graf von Monte Christo

      Mein guter Dumas

      »Mein Freund, hat der Graf uns nicht gesagt, die ganze menschliche

      Weisheit bestehe in diesen beiden Worten: Warten und Hoffen!«

       2.

      Für wen produzieren wir täglich die vierzig Tonnen Garnelen deren

      Haltbarkeitsdatum jeden Tag wieder in einem Monat abläuft

      Sechzig Millionen Franzosen müssten also täglich vierzig Tonnen

      Garnelen essen

      Mit Verlusten würde die Fabrik nicht laufen

      Vor vier Jahren wurde die Fabrik zerstört und in

      dreihundertvierundsechzig Tagen wiederaufgebaut ganz im Rahmen

      der gesetzlichen Versicherungsfrist

      Ein Chef hat sie zweimal absichtlich angesteckt munkelt man

      Wie fackelt man eine Fabrik ab deren Höchsttemperatur acht Grad