Sepp Kerschbaumer. Josef Fontana

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Название Sepp Kerschbaumer
Автор произведения Josef Fontana
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788872838051



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Band für den plebiscito tricolore. Im Hause Kerschbaumer in Frangart ist es Basl Moidl, die jedes Jahr vor dem Andreas-Hofer-Tag und dem Herz-Jesu-Sonntag Tiroler Fahnen herstellt.

      Diese tolerante Haltung im Hause des Chefs der Südtiroler Untergrundbewegung war aber im damaligen Südtirol gewiss nicht die Regel und hätte auch noch heute Vorbildcharakter. Die Haltung Kerschbaumers mag vielleicht auch ein bisschen damit zusammenhängen, dass er sein Tirolertum trotz aller Einschränkungen stets in aller Offenheit zur Schau trug und deshalb auch keine versteckten Aggressionen zu entwickeln brauchte.

      Aber Sepp Kerschbaumer hat nicht nur italienische Industriearbeiter unterstützt, indem er sie in seinem Geschäft immer tüchtig aufschreiben ließ. Er hatte noch einen weiteren Wesenszug: die tätige Nächstenliebe. „Manchmal hat es uns schon gestört, dass er so großzügig war“, erzählt Helga Kerschbaumer. „Er hat immer alles verschenkt für wohltätige Zwecke, und selbst aus dem Gefängnis hat er immer wieder geschrieben, dass die Mama ja fleißig spenden soll.“ Der Ärger ist mehr als verständlich, weil er seiner Familie gegenüber eine Sparsamkeit an den Tag legte, die manchmal schon an Geiz grenzte. „Brauchten wir ein Paar neue Schuhe“, erinnert sich seine Tochter Helga, „so mussten wir ihn ein Jahr lang bearbeiten, bis wir sie kaufen durften.“ Kann sein, dass er seine Kinder vor Verschwendungssucht bewahren wollte. Bevor sie etwas erwarben, sollten sie ganz sicher sein, ob sie es auch wirklich benötigten.

      Für Arme und Hilfsbedürftige gab Sepp Kerschbaumer jedenfalls mehr als den berühmten Zehnten. „Einmal“, so Tochter Helga, „da ist es sogar dem Pfarrer zu viel geworden.“ Sepp Kerschbaumer hatte nämlich im Gefängnis vernommen, dass der Pfarrer das Kirchendach in Frangart neu decken wollte. Sofort ließ er seine Frau wissen, dass er den Jahresertrag seiner Obstwiese für diesen Zweck spenden wolle. Sepp Kerschbaumer schreibt am 30. Oktober 1964 vom Trienter Gefängnis aus nach Hause:

      Helga hat mir gestern auch erzählt, daß der Herr Pfarrer das Kirchendach reparieren lassen muß, weil es vielfach nicht mehr regendicht ist. Mit dieser Arbeit sind freilich große Auslagen verbunden, und wo soll er das Geld auch hernehmen als von den Dorfleuten. Und schließlich ist es eine heilige Pflicht eines jeden Christen, im Dorfe mitzuhelfen, dass das Gotteshaus gut und fest dastehe. Diese Ausbesserung soll anscheinend einige Millionen Lire kosten. Gut, es wird nicht gerade von alleine gehen, aber wenn überall, besonders bei den Besitzern und Gutstehenden der gute und christliche Wille vorherrscht, dann darf es keine großen Schwierigkeiten machen. Auch ich möchte mich dieser Hilfeleistung gerne anschließen. Es ist also mein Wunsch und Wille, dass der Franz dem Hochw. Herrn Pfarrer als Spesenbeitrag 250.000 Lire übergibt. Ich hoffe, daß Ihr als meine Kinder auch dafür seid. Wenn schon, ist es nur zu unser aller Segen, und den brauchen wir notwendiger als manche andere.24

      Doch dem Pfarrer ging diese Spende zu weit, und er erinnerte seine Frangarter Schäfchen daran, dass es ja nicht nur den Kerschbaumer gebe. Und so wie er vom Gefängnis aus die Familie immer wieder angehalten hat, „tut, wenn die Stunde es verlangt, ein gutes Werk an armen Menschen“, hat er auch im Gefängnis selbst gehandelt. „Ob Schwerverbrecher oder nicht, vom Kerschbaumer hat jeder einen Teil erhalten“, bezeugt Luis Gutmann. Dass Sepp Kerschbaumer auch die Tätigkeit des BAS, soweit es nur irgendwie ging, mit gar einigen Millionen aus der eigenen Tasche mitfinanziert hat, ist zwar nicht seiner Nächstenliebe zuzuschreiben. Von einem gewissen Hang zum Altruismus zeugt aber auch diese Haltung.

      Von der zivilen Auflehnung zur Gewaltanwendung

       Todesmarsch und Existenzängste

      Rom und Trient machten von ihrer Macht über Südtirol einen denkbar schlechten Gebrauch. Wie bereits angedeutet, hatte das Pariser Abkommen eine Auslegung erfahren, die seinen Sinn und Zweck in das Gegenteil verkehrte. An Stelle einer Region Südtirol war die Doppelregion Trentino-Tiroler Etschland mit je einem Landtag in Bozen und Trient und einem übergeordneten Regionalrat geschaffen worden. Im Regionalrat waren die Südtiroler im Verhältnis zwei zu fünf vertreten, daher den Launen der Italiener völlig ausgeliefert. Vor allem aber waren es die Trentiner, die bestimmten, was wie über die Bühne ging. Dies begann schon bei der Zuteilung der Gelder. Mit ihrem Übergewicht konnten sie den Hauptanteil des Budgets in ihre Provinz verlagern. Zwar räumte das Autonomiestatut den Südtiroler Abgeordneten die Möglichkeit ein, gegen das Regionalbudget Einspruch zu erheben. Diese Bestimmung hatte aber nur einen dekorativen Wert. Denn immer, wenn die Südtiroler von diesem Recht Gebrauch machten, genehmigte der Innenminister den Haushalt so, wie ihn die Trentiner erstellt hatten.25 Ähnlich war es mit Artikel 14 im Regionalstatut. Die Region konnte auf die Provinz, auf die Gemeinden und auf andere Körperschaften bestimmte Verwaltungsbefugnisse übertragen.26 Dies war aber keine Muss-, sondern nur eine Kann-Bestimmung, eine Kann-Bestimmung freilich, die lange Zeit die Hoffnung aufrechterhielt, dass wenigstens auf dem Gebiet der Verwaltung ein gewisses Maß an Autonomie zugestanden werde. Aber bis 1960 blieb dieser Artikel toter Buchstabe; später wurde er nur in Ausnahmefällen angewandt.27

      Zur Enttäuschung über die verweigerte Autonomie kam die Sorge über die Zuwanderung, die bereits 1945/46 massiv eingesetzt hatte und in den 1950er-Jahren beängstigende Ausmaße annahm. Dieser Zustrom aus dem Süden folgte nicht einem Naturgesetz, sondern war gelenkt. System steckte auch hinter der Praxis, den Südtirolern den Zugang zu den staatlichen und halbstaatlichen Stellen zu versperren. Diese Ausgrenzung erzeugte allmählich einen gefährlichen Druck. Bedingt durch den Einzug der Technik in die Landwirtschaft, setzte der Bauernstand immer mehr Arbeitskräfte frei. Zudem strebten Jahr für Jahr stärkere Geburtenjahrgänge in das Erwerbsleben. Stellen hätte es ja in Südtirol gegeben, aber sie waren Italienern vorbehalten. Und so blieb oft nur mehr der Weg ins Ausland offen. Um 1958 verließen jährlich rund 7.000 Südtiroler ihre Heimat, um in Deutschland oder in der Schweiz Arbeit zu suchen.28 Nur ein kleiner Prozentsatz von ihnen kehrte nach Südtirol zurück; die meisten blieben für immer weg. Potenziert wurde diese Verdrängungs- und Überfremdungstendenz durch eine gezielte Wohnbaupolitik. In den 1950er- und 1960er-Jahren war es für einen Südtiroler fast unmöglich, eine Sozialwohnung zu bekommen. In der Zeit von 1945 bis 1956 wurden in der Provinz Bozen 4.100 Volkswohnungen errichtet, aber nur 246 davon gingen an Südtiroler.29

      Auf die Gefahr, die Südtirol vom Süden her drohte, machte Kanonikus Michael Gamper schon im Oktober 1953 aufmerksam. Der Prozentsatz der einheimischen Bevölkerung sinke von Jahr zu Jahr steil ab, „gegenüber dem unheimlichen Anschwellen der Einwanderer“. „Fast mit mathematischer Sicherheit können wir den Zeitpunkt errechnen, zu dem wir nicht bloß innerhalb der zu unserer Majorisierung geschaffenen Region, sondern auch innerhalb der engeren Landesgrenzen eine wehrlose Minderheit bilden werden … Es ist ein Todesmarsch, auf dem wir Südtiroler seit 1945 uns befinden, wenn nicht noch in letzter Stunde Rettung kommt.“30 Michael Gamper, ein Mann des Volkes in des Wortes positivem Sinn, hatte hier die Problematik um Südtirol auf den Punkt gebracht. Dass Gamper mit der Parole vom Todesmarsch keine leere Worthülse in die Welt gesetzt, sondern ein Schlagwort mit Inhalt geprägt hatte, zeigte sich spätestens bei der Landtagswahl von 1956: Verglichen mit 1948 verzeichneten die italienischen Parteien einen Stimmenzuwachs von 32,8 Prozent (rund 16.000 Stimmen), die Listen der Südtiroler Parteien hingegen nur einen Stimmenzuwachs von 16 Prozent (17.000 Stimmen).31 Zu diesen Fakten kam dazu, dass sich in den 1950er-Jahren ganz allgemein das politische Klima verschlechterte. Es wurde für die Südtiroler zusehends unbehaglicher, in Südtirol zu leben. „Politik, Exekutive und Justiz arbeiteten Hand in Hand, um in Südtirol eine Atmosphäre präpotenter Repression zu erzeugen.“32 Reine Lappalien gaben Anlass für Anzeigen, umständliche Untersuchungen und für Verurteilungen. Jede Schwurgerichtssession hatte eine Reihe von Schmähprozessen im Programm, reine Grotesken im Nachkriegseuropa, in Südtirol aber harte Wirklichkeit. Die Erbitterung über solche Verfahren steigerte sich von Mal zu Mal, weil sich die Italiener den Südtirolern gegenüber alles leisten konnten – Verhöhnungen, Diffamierungen33, Störaktionen, Überfälle und Verprügelungen34 – ohne Gefahr zu laufen, von Polizei und Justiz jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden.

      Wie haben die Südtiroler auf alle diese Diskriminierungen und Provokationen reagiert? Die meisten