Sepp Kerschbaumer. Josef Fontana

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Название Sepp Kerschbaumer
Автор произведения Josef Fontana
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788872838051



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vorbei, erfasste ihn eine neue Welle. Anfang September 1939 brach der Krieg aus. Sepp Kerschbaumer machte sich Vorwürfe, weil er immer noch daheim war, während andere schon im Feld standen. „Vor lauter Deutschtum im Kopf“, erzählt seine Frau, „hat er gesagt: Ich muss für die Heimat etwas tun. Ich sehe nicht ein, daß die anderen alle einrücken müssen, und wir sitzen bequem daheim. Er wollte ins Feld und hatte sich mit anderen Eppanern schon freiwillig gemeldet.“ Ihr soll es dann aber gelungen sein, diesen voreiligen Schritt rückgängig zu machen und Sepp vor dem Einrücken zu bewahren.

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       Sepp Kerschbaumer Ende der dreißiger Jahre

      Mit der Zeit kühlte die Begeisterung Kerschbaumers für das Deutsche Reich ziemlich ab. Einen ersten nachhaltigen Dämpfer erhielt sein Enthusiasmus im Jänner 1942, als er in Berlin mit Willy Alessandri und Sepp Kaseroler einen landwirtschaftlichen Lehrgang besuchte. Da war Schmalhans Küchenmeister, zu essen gab es wenig, und das wenige war mager.

      Das Arbeitsprogramm war aber streng und dicht. Für viele Beobachtungen fand sich weder Zeit noch Gelegenheit.10 Aber eines war nicht zu übersehen: Die Versorgung mit Nahrungsmitteln war nicht mehr die allerbeste im Reich, und Sepp Kerschbaumer war sichtlich froh, wieder zu Hause zu sein, wo an Kartoffeln noch nicht gespart werden musste. Er ist von Berlin recht bedrückt und nachdenklich zurückgekommen, erzählen einige Familienangehörige.

       Die große Verweigerung?

      Eine neue Wende ins Positive schien die Politik für Südtirol im Sommer 1943 zu nehmen. Italien scherte aus dem Bündnis mit Deutschland aus. Die Wehrmacht besetzte Südtirol und Italien. Wie für die meisten Südtiroler war dieser Tag auch für Sepp Kerschbaumer ein Festtag. Jahrzehnte der Demütigung und Erniedrigung, der gewaltsamen Entnationalisierung schienen wie weggeblasen. Man war allgemein der Auffassung, das nunmehr von den Deutschen besetzte Land werde nie mehr unter italienische Oberhoheit kommen. Kurzum, die Südtiroler fühlten sich wieder als Herren im eigenen Lande. Dass aber nur Beelzebub den Teufel verjagt hatte, das sahen die allerwenigsten.

      Es dauerte denn auch nicht lange, dass alles ganz anders kam als erhofft und erwartet. Wohl erhielt man wieder deutsche Schulen, konnte man in den Ämtern wieder Deutsch sprechen, nahm das kulturelle Leben im Lande einen neuen Aufschwung. Aber Südtirol blieb nach wie vor bei Italien. Hitler wollte seinen Bundesgenossen Mussolini nicht vor den Kopf stoßen. Sepp Kerschbaumer gefiel aber noch so manches andere nicht. Da war schon einmal der schnarrende Ton, den nicht wenige Landsleute von den deutschen Behörden und Militärs übernahmen. Dieser Ton war dem empfindsamen Menschen bis in die Seele hinein zuwider. Die plötzliche Machtfülle schien manchem zu Kopf gestiegen zu sein. Am meisten aber litt Kerschbaumer, wenn er zusehen musste, wie Leute von den neuen Behörden mit zweierlei Maß behandelt wurden. Ihn plagte mehr und mehr die Angst, eines Tages in irgendeine Schweinerei hineingezogen zu werden. Ob man schuldig wurde oder nicht, hing damals ja vielfach nicht vom eigenen Willen, sondern vom Zufall ab. Sepp Kerschbaumer war erleichtert, als er mit einer Kompanie des Polizeiregiments Bozen nach Belluno zum Partisaneneinsatz kam. Er war zwar vorher ausgebildet worden, doch ein tüchtiger Soldat dürfte er nicht gewesen sein. Ihm haftete nicht nur bei der landwirtschaftlichen Arbeit eine gewisse Ungeschicklichkeit an, ihm bereitete alles, was mit Technik zu tun hatte, Schwierigkeiten. Daher war er auch zum Sprengen nicht zu gebrauchen. Pepi Fontana fragte ihn einmal: „Sepp, soll ich dir zeigen, wie man das macht?“ „Nein, nein“, wehrte er ab, „das hat keinen Sinn, i derlearn deis decht nit.“ Schwer vorzustellen, wie er mit einem Schießgewehr zurechtkam. Wie er Pepi Fontana erzählte, kam er nie zu einem eigentlichen Partisaneneinsatz. Er musste viel Posten schieben und eingefangene Partisanen bewachen. „Jetzt erst weiß ich, was es heißt, mit erhobenen Armen stundenlang dastehen zu müssen“, meinte er einmal. Was das heißt, hat er nämlich im Juli 1961 in der Carabinieri-Kaserne von Eppan an sich selbst erlebt. Im Übrigen hatte er auch in Belluno erfahren müssen, dass nicht immer Tatbestände, sondern oft Zufälle oder gewisse Verbindungen über Leben oder Tod eines Menschen entschieden. Es kam vor, dass mehrere Partisanen eingeliefert wurden. Plötzlich kam ein Befehl, der und der seien sofort freizulassen. Sie seien irrtümlich verhaftet worden. In Wirklichkeit hatte die Schwester eines dieser Männer mit dem Kommandanten ein Verhältnis.

      Im Zusammenhang mit Kerschbaumers Einsatz in Belluno ist ein Ereignis erwähnenswert, das allerdings nicht endgültig rekonstruiert werden konnte. Sepp Kerschbaumer soll dort laut Aussage seines Schwiegersohnes Peter Kerschbaumer zu einer Hinrichtung abkommandiert worden sein. Kerschbaumer hätte aber Gewissensgründe geltend gemacht und die Teilnahme an der Erschießung verweigert. Peter Kerschbaumer hat diese Information von einem gewissen Ernst Deisinger aus Roßdorf bei Darmstadt, der damals Bursche des Kompaniechefs gewesen war. Deisinger war nach dem Krieg mit seiner Familie öfters Gast bei Sepp Kerschbaumer in Frangart, unter anderem auch in den Tagen der Verhaftung. Er ist aber schon im Jahre 1990 gestorben. Es ist daher nicht möglich, diese Aussage zu überprüfen. Kerschbaumer selbst soll in seiner Familie nie über diese Episode gesprochen haben. Er erwähnte sie auch nie in den Gesprächen mit seinen Mithäftlingen im Gefängnis. Dies hat aber nichts zu sagen. Sepp Kerschbaumer war in allen Dingen, die ihn selbst betrafen, ein außergewöhnlich verschlossener Mensch. Es könnte daher durchaus sein, dass er diesen Vorfall in seiner Bescheidenheit verschwiegen hat.

      Eines jedenfalls scheint sicher zu sein: Der Charaktermensch Sepp Kerschbaumer, dem später dann als Angeklagtem vor Gericht selbst die Richter und Staatsanwälte Respekt bekundeten, scheint in diesen beiden letzten Kriegsjahren seine endgültige Lebenslinie gefunden zu haben. Aus dem „recht heftigen Hitlerschreier“ von 1939 ist in den Jahren 1943 bis 1945 ein entschiedener Hitlergegner geworden. 1961 sagte er einmal zu Pepi Fontana im Gefängnis: „So wie wir jetzt alles überblicken, müssen wir froh sein, dass Deutschland den Krieg verspielt hat. Nicht auszudenken, wie das Leben heute in Europa wäre, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte.“

      Enttäuschte Hoffnungen

       Der Neubeginn von 1945

      Vornehmlich Männer aus Dableiberkreisen gründeten am 8. Mai 1945 in Bozen die Südtiroler Volkspartei. Nach über zwei Jahrzehnten Fremdbestimmung bekamen so die Südtiroler wieder eine eigene politische Führung. Das Programm der jungen Partei war kurz, aber durchdacht und klar. Sie setzte sich zum Ziel:

      1. Nach 25jähriger Unterdrückung durch Faschismus und Nationalsozialismus den kulturellen, sprachlichen und wirtschaftlichen Rechten der Südtiroler auf Grund demokratischer Grundsätze Geltung zu verschaffen.

      2. Zur Ruhe und Ordnung im Lande beizutragen.

      3. Ihre Vertreter zu ermächtigen – unter Ausschluß aller illegalen Methoden – den Anspruch des Südtiroler Volkes auf Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes bei den alliierten Mächten zu vertreten.

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      Am 5. Mai 1946 demonstrierten auf Schloss Sigmundskron rund 20.000 Südtiroler für die Rückkehr ihres Landes zu Österreich.

      Im Aufruf, der zugleich mit dem Programm erschien, hieß es: „Nicht Haß, Gewalt und nationale Überheblichkeit, sondern gegenseitiges Verstehen, Freiheit der Persönlichkeit, Achtung vor der Menschenwürde und ein auf ewigen, göttlichen und menschlichen sittlichen Gesetzen beruhendes Handeln sichern nicht nur dem einzelnen, sondern auch einem Volke die Kraft, sich zu behaupten und zu erhalten.“11 Dies waren Grund- und Leitsätze ganz nach dem Herzen Sepp Kerschbaumers.

      Es finden sich keine Unterlagen, die Aufschluss darüber geben könnten, wie Sepp Kerschbaumer diese Zeit des Hoffens und Bangens erlebt und beurteilt hat. Man geht aber sicher nicht fehl in der Annahme, dass er sich Hoffnungen machte, Hoffnungen auf eine grundsätzliche Wende, konkret auf die Gewährung des Selbstbestimmungsrechtes, noch genauer: auf die Rückkehr Südtirols zu Österreich. Doch es kam