Hundert Geschichten. Quim Monzo

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Название Hundert Geschichten
Автор произведения Quim Monzo
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783627021467



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rein gar nichts zum Dinieren, und einem starken Esser kappt man die Eichel mit dem Messer, und ein Arbeiter lässt einen fahren, und ein Bürger gehört ins Kittchen, und ein neues Flittchen legt ihre Schenkel hin und verlangt Salate, und man gibt ihr die Zitzen der Teufelin, und sie sagt, wow, Granate, und sie geht in die Bar an der Ecke (mit Orgasmus auf halber Strecke), und ein ganzer Stamm Apachen findet keinen passenden Reim, und sie sterben direkt am Tresen, nun kommt der Straßenkehrer (aus den Vogesen) und führt sie zum Weiden, und es folgt die Schlacht am Wounded Knee, und fast alle sterben, nur Charles Bronson und Karen Black nicht, die sind beim Vögeln und schenken der Welt viele Kinder, und eines von ihnen (schon groß) bestellt Milchkaffee, und der Kellner sagt, er habe nur Tee, und bestellt dann ein Aspirin und erhält Kokain und berauscht sich ein wenig in der Annahme, es sei ein großer Rausch, und dann nehmen sie den Bus, und ein plumper Homunkulus killt sie mit einem Haubitzenschuss und verlangt ein Wörterbuch, mit Senf oder ohne?, und da er zögert, gibt es eine Melone, und sie schmeckt ihm sehr und macht ihm Lust auf mehr, er rülpst und bellt einen Hund an (der ist entsetzt), alldieweil er eine Katze hetzt, die Milch verlangt und Fisch kriegt, doch wählerisch, wie sie ist, läuft sie ins Ritz und bestellt Reis, doch man bringt ihr ein Schwein, sie frisst die Augen auf und stirbt (weil sie verseucht sind), man beerdigt sie rasch an einem schlüpfrigen Abend, der in morgendliche violett-gelb-graue Töne getaucht ist, die den Himmel mit Sehnsuchtsflecken bestücken und die Flügel der Vögel schwarz färben, die immer leiser piepsen, bis sie gar nichts mehr sagen (vielleicht weil sie nichts zu sagen haben), und sie kaufen sich einen Zeitlupenprojektor und verschlingen alle Filme von Claude Lelouch und sterben (offensichtlich) auch, man wirft sie dann ins Meer mit Kapitäns- oder Generalsehren, mit dreizipfligen Fahnen, die es nachts mit dem Fahnenmast treiben und um eine geflohene Zeit weinen, die nie wiederkommen wird, bis sie dann doch wiederkommt und Hallo sagt, und alle tun, als sei nichts geschehen, als seien die vergangenen Jahre wiederherstellbar, und doch ist sie vergangen, stellt eine dunkle, unheimliche Stimme klar, es ist die Stimme des Gewissens, die sich einen blauen Porsche gekauft hat und Alka-Seltzer, und sie verlangt Geduld, man jagt sie zum Teufel, wohin sie auch geht und nicht zurückkommt, stattdessen schickt sie exotische Postkarten und Liebesbriefe, solche, wie du mir geschickt hast, erinnerst du dich?, und sie hören France Inter, Abend und Hoffnung, und eine Blondine in der Nacht kommt auf mich zu und lacht: hvor meget skal man give for en pähaengsmotor?, en kompomisløs pris, vil Johnson-ejerne sige, und ich zweifle (immer wenn ich zweifle, gucke ich meine Fingernägel an), dann blicke ich entschlossen auf und werfe ihr an den Kopf: og der er flere, der floretraekker Johnson-motorer, frem for noget andet maerke i prähaengemotorer, ein Satz, der sie Tränen aus geschmolzenem Glas weinen lässt, die bei der Berührung mit der Erde zu Gin-Flaschen kristallisieren, die ausgemergelte Hände (vergesst nicht: die Wüste tritt euch in den Rücken) an dürstende Münder führen, die mit einem einzigen Schluck den Inhalt leeren, und die Zungen schnalzen an den Gaumen, der so ausgetrocknet ist, dass er in tausend Stücke zerspringt, in denen sich in jedem Einzelnen eine Miniaturreplik unserer eigenen, kleinen, schäbigen Welt befindet und obendrein noch ein orangefarbener Volkswagen, aus dem es aus allen Ritzen qualmt, und vier Paparazzi, die alte Bettdecken in der lobenswerten Absicht schwenken, die Rauchwolken einzudämmen, die sich rosa färben und in die Himmel bis zu den Planeten, den Asteroiden und den Sputniks steigen, und in einem dieser Sputniks sitzt Gott, der mir die Hand schüttelt: Enchanté, sage ich zu ihm, Herr Gott, je suppose? Der große Gauner antwortet mir: Nein, Herr Rott, zu ihren Diensten. Er hält sich den Bauch vor Lachen und macht sich auf in Richtung Paradies, zwischen Wolken aus Engeln und Erzengeln hindurch, die mit Pimmeln und Muschis aus Plastik (da schau mal her, die alte Neigung zur Haarspalterei) auf die Erde pinkeln, und die Haarpracht der Engel und Erzengel ist aus gelber merzerisierter Baumwolle, sie kämpfen miteinander und fallen (oder steigen) durch die intergalaktischen Räume und stolpern über Sterne und Sternchen* und Punkte und Klammern und Buchstaben aller Art, sodass wir gezwungen sind, uns an die Wand zu quetschen, um aus der Druckerei herauszu-kommen, die nach Druckerschwärze stinkt, und wir nehmen ein Taxi und bitten es, uns nach Arrabassada zu bringen, und der Taxifahrer fährt (mit hundert!) los und wir sind umgehend am Hafen. Hier, sagte er, lagerte J. V. Foix Holz. Sie sind verrückt!, antworten wir ihm, Foix hat nie Holz an der Mole gelagert, er hat eine Konditorei in Sarrià! Außerdem hatte ich sie gebeten, mich nach Arrabassada zu bringen! Wütend zieht der Mann einen zerknitterten, in kleiner Schrift bedruckten Zettel voller roter Siegel und blauer Stempel aus der Tasche, die ihm einen offiziellen Anstrich geben. Sehen Sie, da, sagt er, hier steht, dass es verboten ist, nach Arrabassada zu fahren. Und schon gar allein! Sie können sich glücklich schätzen, dass ich Sie nicht anzeige! Los, geben Sie mir das Geld. Ich gebe ihm einen Fünfhundert-Peseten-Schein. Ich kann nicht herausgeben, auf Wiedersehen! Und er flüchtet wie ein Besessener mit dem Schein in der Hand, hui!, und lässt mich allein am Meer und in der sprichwörtlich urbanen Einsamkeit zurück, die genau in dem Moment mit einem norwegischen Seemann anbandelt, blond und hell wie ein Bier, und sie zieht mit ihm von dannen, um eine wahnsinnige Liebesgeschichte zu erleben, die an einem regnerischen Nachmittag an der Côte d’Azur zu Ende gehen wird, in voller, überbordender blauer Menstruation, während Schiffe ohne Heck die atlantischen Meere durchfurchen und die weißen Bierschaumkronen den Sand, die Häfen und Felsenküsten zärtlich lecken und die Möwen verschlingen, die knapp über den Wellen fliegen (die Wellen, die als Wasserscheitel die Mähne des Meeres zerzausen). All das am sechsten Tag. Am siebten Tag ruht Gott, unser Herr. Danach kommt Haydn und komponiert das Oratorium.

       Die deutschen Reime sind von Harald Bronstering.

      * »Sternchen: sternförmiges Kennzeichen in Texten, grafischen Darstellungen o. Ä. als Verweis auf eine Anmerkung, Fußnote«, Duden, Deutsches Universalwörterbuch. – 4., neu bearb. u. erw. Aufl., Mannheim 2001, S. 1517

      Über die Nichtigkeit menschlicher Wünsche

      Als ich die Insel erreichte, wähnte ich mich dem Tode nah und zweifelte an meiner Fähigkeit, so viel rote Sonne und ebenso viel Einsamkeit zu ertragen: überall Wasser, Wasser im Norden, im Süden, im Osten, im Westen, wohin auch immer sich mein Blick wandte, blaues oder graues oder grünes oder schwarzes Wasser, ein verschlafener Horizont und der kalte Klang der Wellen, die das Weiß des Sandes tränkten. Ich schwamm ans Ufer, völlig erschöpft, und als ich mich umdrehte, sah ich gerade noch, wie der hintere Teil des Schiffes (das man Heck nennt) endgültig in der Tiefe versank. Ein paar riesige Luftblasen stiegen vom Meeresgrund empor, und schon gab es kein Schiff mehr. Jetzt war ich völlig allein und überlegte, ob vielleicht irgendeine andere Person die Tragödie überlebt hatte, doch offenbar war ich der einzige Überlebende, der Einzige, der es geschafft hatte, diese Insel zu erreichen, auf der weit und breit keine Menschenseele zu sehen war. Demnach waren alle tot: der Tod, Herr der Dämmerung, die über meinen Kopf und meinen Körper hereinbrach. Wundgescheuert und zermürbt, war ich überzeugt, dass diese klitzekleine Insel nicht meine Rettung war, sondern vielmehr das Hinauszögern meines endgültigen Todes, mein zukünftiges Grab, der Stein, der mein Grab nach ein oder zwei Tagen verschließen würde, je nachdem, wie lange mein Körper kämpfte. In meiner Hoffnungslosigkeit nahm ich an, keine Nahrung zu finden, doch die Insel war voller Früchte und Pflanzen und seltsamer Tiere (beispielsweise Kaninchen mit Entenköpfen und Greifzungen). Am zweiten Morgen (ich hatte den ganzen Tag und die ganze Nacht geschlafen) schlug ich die Augen auf und hatte das Gefühl, Feuer peitsche meine Haut: Es war die Sonne, die mich verbrannte. Bald sah ich ein, der einzige Ausweg war Überleben. Und Überleben bedeutete zu lernen, mit dieser Einsamkeit, diesem heißen Wind und der ewigen über dem Meer vor meinen roten Augen schwebenden Zeit zu leben. Ich wanderte am Strand entlang, ging schwimmen, kühlte meinen verbrannten Rücken mit Wasser und kehrte an den Strand zurück. Und da fand ich die Leiche, eine alte, traurige Leiche, an eine glitschige Holzplanke geklammert, die genauso nutzlos war wie sie selbst. Ertrunken und namenlos lag sie nun ausgestreckt im Sand. Mit der Fußspitze drehte ich sie auf den Rücken und erkannte einen der Matrosen vom Schiff: mit Augen wie Nacktschnecken und einem dunklen, aufgeblasenen Kindergesicht. Ekel. Vielleicht würden noch weitere Leichen angeschwemmt werden, doch weit und breit war nichts zu sehen. Alle anderen sind im Meer, sagte ich zu mir und schubste ihn dabei mit dem Fuß ins Wasser, in der Hoffnung, die Wellen trügen ihn mit sich fort (eine sinnlose Hoffnung, denn die Leiche kam immer wieder, ein ums andere Mal, jeden Tag). Manchmal blieb sie eine Weile verschwunden,