Nie wieder Apfelkorn. Rich Schwab

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Название Nie wieder Apfelkorn
Автор произведения Rich Schwab
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871872



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Spiel zum Meditieren. Besser als Patiencen, Schach oder auf ’nem Nagelbrett liegen. Irgendwo zwischen dem bunten Geflacker und Geblitze siehst du verschwommen Die Magische Silberne Kugel herumflitzen und knallst die Mittelfinger auf die Knöpfe, um das Ding oben zu halten. Wie einer von den Glorreichen Sieben mit einem Schuss nach dem andern den Dollar in der flirrenden Luft von Texas tanzen lässt, ziehst du wieder und wieder ab, bis deine Trommel leer geschossen ist, und ganz entfernt hörst du das Klacken der Freispiele wie das beifällige Raunen der dummen Siedler vor dem Saloon. Fast so gut wie Schlagzeug spielen. Oder Vögeln.

      »Probleme, Büb?« Werner stellte die unvermeidliche Flasche Apfelkorn und zwei Gläser auf die Glasplatte des Flippers und schenkte ein. Ich sah ihn an, als wäre ich gerade aus einem dieser klebrigen Mittagsschläfchen voller Ken-Russell-Träume erwacht. Sah ihn an, dann die Flasche, sah mich im Laden um. Alle Stühle standen schon auf den Tischen, und wir waren nur noch zu fünft – Werner, zwei seiner Thekenmädels und ich. Und Chet Baker, der gerade Heroin in Blues verwandelte.

      »Wie spät isses denn?«

      »Halb sieben«, unterdrückte Werner ein Gähnen. »Wa’s los?«

      »Gehen die beiden mit?«, fragte ich ihn mit einem Kopfnicken zur Theke hin.

      Er zuckte die knochigen Schultern: »Haste Lust?«

      »Trinken wir erstmal einen.«

      »Sowieso. Prost, Büb.« Wir tranken drei, vier Gläschen, und ich erzählte ihm, was am Abend im Schrebergarten gelaufen war.

      »Nijinsky«, sagte Werner und schenkte nach, »und Brikett-Fuss. Haste schwer Schwein gehabt.«

      »Hä?«

      »Nijinsky, weil er so gut springen und die Füße hochkriegen kann, auch wenn man’s bei seiner Figur kaum glaubt, und Brikett-Fuss, weil der sich seit Jahren Briketts auf die rote Tolle knallt, um seine Stirn abzuhärten. Geh nie näher als auf einen Meter an den ran. Der hat schon mehr Nasenbeine auf dem Gewissen als Joe Frazier und die Müllers Aap zusammen. Und weißte, wo du jetzt mal anrufen solltest, wenn der Zak seit mehr als fünf Stunden an denen dranhängt?«

      Na klar! Ich griff mir das Telefon. Es war die dritte Notaufnahme, die des Marien-Hospitals in Ehrenfeld. Ich bestellte mir ein Taxi, trank noch einen und umarmte die beiden an der Theke.

      »Bestimmt ein andermal«, sagte ich. Sie nickten beide lächelnd und hielten Händchen.

      »Ruf an«, sagte Werner, »wir warten.«

      ***

      Den Werner kannte ich seit ungefähr drei Jahren, seit ich entdeckt hatte, dass man sich bei und mit ihm ganz wunderbar die Nacht um die Ohren schlagen konnte. Auch er mischte einen vorzüglichen Apfelkorn – kein Wunder, er trank kaum was anderes. Er war eins von diesen Handtüchern, wo man sich immer fragt: Wo tun die eigentlich all das hin, was sie saufen? Er war immer braungebrannt, weil er zwei-, dreimal im Jahr in Urlaub fuhr, und hatte tief eingegrabene Kerben um die Mundwinkel; vom Schnaps, vom Nachtleben, von zwölf Jahren Ehe, von den Problemen, die vier eheliche und mindestens neun uneheliche Kinder so mit sich bringen, von dem Zynismus, in den man sich dann gerne flüchtet. Und er hatte eine Macke: Ficken.

      Wer den Spruch von der Nase des Mannes und seinem Johannes in die Welt gesetzt hat, war wahrscheinlich vorher mit Werner in der Sauna gewesen, denn der hatte einen wirklich riesigen, dicken Adlerzinken. Im Nachtschalter arbeiteten immer nur Blondinen, die alle paar Wochen bis Monate wechselten. Von fünfzehn bis fünfundzwanzig, von Einsfünfzig bis Zweimeter, von vierzig bis hundertvierzig Kilo, vom Typ Wenn-ich-ein-Junge-wär bis zum Typ Rauschgoldengel – Hauptsache, jung und blond. Und es arbeiteten immer so viele davon, dass es nicht geschäftsschädigend war, wenn eine mal ’ne Weile nicht da war. Alle zwei, drei Stunden kriegte Werner nämlich seinen Rappel, dann verschwand er mit einer von ihnen in der Wohnung ein Stockwerk drüber. Und dann wurde auf seinem Dreimal-drei-Meter-Bett erstmal ein Stündchen gerammelt – ein Nähmaschinchen war nix dagegen. Wir waren ein paar Mal zu viert dort oben versackt, deswegen kannte ich das aus eigener Anschauung – die Mädels stöhnten und schrieen, und er machte ihnen ächzend den Rammler. Wenn ich heute ’ne Frau »Ich kann nich’ mehr!« sagen höre, assoziiere ich immer sofort dieses Schlafzimmer.

      Ich hatte mal eine gefragt, wieso sie das eigentlich mitmache.

      »Ich steh auf den Werner«, war die verständnislose Antwort. Ich fragte nicht weiter nach. Ich hatte damals zwar schon ’ne Menge feministische Bücher gelesen, aber junge Frauen missionieren war deswegen noch lange nicht mein Bier. Außerdem war »Muss ja jeder selber wissen« schon lange einer meiner Leitsätze. Und ich hatte ja nix gegen Werner. Ein paar Wochen, nachdem wir uns kennen lernten, hatte ich ihm verklickert, dass Sterilisation nicht im Geringsten was zu tun hat mit Impotenz oder gar Kastration. Er hatte sich daraufhin erfolgreich einem Eingriff unterzogen und konnte jetzt nach Lust und Laune in der Gegend herumvögeln. Seitdem war ich sein Freund. Von AIDS hatte man damals noch nichts gehört.

       3

       Zak

      Gegen halb acht traf ich im Marien-Hospital ein. In der Notaufnahme war nicht mehr viel zu tun. Oder noch nicht. Nur ein Typ in Motorradklamotten auf einer Bahre im Gang störte die Ruhe ein wenig. Er schrie wie am Spieß. Er hatte sich offensichtlich ohne Helm auf die Fresse gelegt und sah nicht sehr schön aus. Als er den blutdurchtränkten Klumpen Mull mal kurz von seinem Kopf wegnahm, sah ich, dass er sich das halbe Gesicht und das halbe linke Ohr weggescheuert hatte.

      Ich fragte mich zu Zak durch und musste erstmal tief durchatmen, als ich ihn fand. Von seinem Gesicht sah man nur die geschlossenen Augen, eins davon blutunterlaufen, seine Nasenspitze und einen schmalen Schlitz, wo sein Mund sein sollte. Er schlief und stöhnte leise im Schlaf. Ich suchte den Arzt, der ihn behandelt hatte, gab mich als Zaks Bruder aus und tat aufgeregt. Der Arzt war ein junger Schnösel mit teurer Brille und noch teurerer Armbanduhr. Ich war sicher, dass sein Alter auch Mediziner war – die Uhr konnte er sich so kurz nach seinem Studium sonst sicher nicht leisten. Er war entsprechend blasiert und kurz angebunden.

      »Unterkieferfraktur«, verkündete er von oben herab und als sei das nichts Besonderes, »mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen. Gehen Sie zur Polizei!«

      »Aber da war ich doch schon; die wollen mir auch nix sagen!«, greinte ich, »was soll ich denn jetzt machen?«

      Er guckte mich zwar skeptisch an – sein Chef hätte mir das bestimmt nicht abgekauft – aber er war wohl schon seit gestern Abend im Dienst, und der Motorradfahrer wartete draußen hörbar auf ihn.

      »Schau’n Sie«, ließ er sich in seinem Villa-in-Hoffnungsthal-Tonfall herab, zu mir langhaarigem Proleten zu dozieren, »viel weiß ich auch nicht. Der Patient ist wohl Taxifahrer und hat sich letzte Nacht bei seiner Zentrale nicht abgemeldet. Daraufhin haben seine Kollegen nach ihm Ausschau gehalten und ihn bewusstlos in seinem Taxi auf der Oskar-Jäger-Straße gefunden, wo er einen parkenden Lastwagen gerammt hatte. Wie er sich dabei aber so den Kiefer gebrochen hat, ist mir allerdings auch in Rätsel.«

      »Was meinen Sie mit ’so den Kiefer geb–’«, wollte ich nachhaken.

      »Das kann ich Ihnen jetzt auch nicht detailliert erklären«, unterbrach er mich ungeduldig, »aber wenn er mit dem Kinn aufs Lenkrad geschlagen wäre, müsste der Bruch ganz anders aussehen. Mir scheint eher, dass es ihm den Unterkiefer von der Seite weggeschlagen hat. Aber Genaueres wissen wir erst morgen, wenn die Röntgenaufnahmen ausgewertet sind. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.« Drehte sich auf einem Gummiabsatz rum und quietschte Richtung Straßenfeger.

      Ich überlegte einen Augenblick lang, ob ich zurück zu Werner und den beiden Mädels fahren sollte. Nein – morgen würde es einiges zu tun geben, und es wäre bestimmt nicht schlecht, dafür halbwegs ausgeschlafen zu sein. Ich rief an, berichtete und wünschte